Ausstellungsbesprechungen

Tiere. Respekt/Harmonie/Unterwerfung. Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe, bis 4. März 2018

Eine außergewöhnlich vielseitige, interessante und anregende Ausstellung über das Verhältnis von Tier und Mensch kann man noch bis in das Frühjahr hinein im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe besichtigen. Stefan Diebitz ist dort einigen ganz großen Kunstwerken begegnet.

Das Verhältnis des Menschen zu den Tieren unterlag in den vergangenen Jahrtausenden starken Schwankungen, und seit vielleicht fünfzehn, zwanzig Jahren scheint es wieder einmal neu ausgerichtet zu werden. Eine Extremposition formulierte René Descartes, als er den Tieren eine Seele absprach, eine andere dominiert, wenn nicht unsere Zeit, so doch zumindest das Feuilleton, wenn dieses von »Menschen und anderen Tieren« spricht.

Kuratorin Sabine Schulze, gleichzeitig die Direktorin des Hauses, plädiert in ihrem Vorwort zum Katalog für einen »animal turn«, also dafür, das Verhältnis von Tier und Mensch neu zu verhandeln. Natürlich ist der Ausdruck dem »linguistic turn« der analytischen Philosophie nachempfunden, ähnlich wie der »iconic turn« von Gottfried Boehm. Im Vokabular des Kataloges findet diese Wende darin ihren Niederschlag, dass nicht mehr menschliches und tierisches, sondern menschliches und tierliches Verhalten einander gegenübergestellt werden. Und der Katalogbeitrag von Philipp Osten ist mit »Tier-Anthropologie« überschrieben, derjenige von Petra Brandt mit »Von Affen und anderen Menschen«.

Die ältesten Zeugnisse einer solchen Neubestimmung sind die Darstellungen von Affen, in denen deren Menschenähnlichkeit betont wird – ein erstes Mal geschah dies, als 1776 ein Orang-Utan beim Verzehr von Erdbeeren gemalt wurde. Später wurden immer wieder Schimpansen in Denkerpose porträtiert. Vielleicht nicht spektakulär, so doch mindestens sehr unterhaltsam sind Ausschnitte eines King Kong-Films von 1933 und kleine Porzellanfiguren, die äffisches Verhalten teils karikieren, teils menschliches Verhalten in den Affenfiguren aufs Korn nehmen. Die jüngsten Zeugnisse sind zwei längere Videos; das eine zeigt einen Dialog zwischen einem flötespielenden Menschen und einem Geier, das andere die Leiden eines Elefanten.

Als ein Höhepunkt der Schau wird von vielen Besuchern wahrscheinlich »Circle of Animals / Zodiac Heads« von Ai Weiwei angesehen werden, ist er doch der prominenteste unter den noch lebenden Künstlern dieser Ausstellung. Leider kann ich den zwölf Bronzegüssen der chinesischen Tierkreiszeichen nur wenig abgewinnen; weder scheint mir ein Bezug zum Tier-Mensch- Verhältnis vorzuliegen, noch übersteigt die Qualität dieser Figuren die von vergleichbaren Plastiken neben den Eingängen irgendwelcher China-Restaurants. In der Beschreibung im Katalog spricht Nora von Achenbach von einem »Monument komplexen Verwobenseins verschiedener Kulturen« (ursprünglich hatten Jesuiten die Figuren aufgestellt) und fügt »die Frage hinzu, was daran chinesisch sei.« Auch wenn man das so sieht: das Thema der Ausstellung trifft dieser Teil leider nicht.

Aber es wäre ungerecht, von einer Ausstellung zu sprechen, die eine These verkündet – dafür ist sie zu vielseitig, zu wenig einheitlich, auch in sich selbst zu widersprüchlich, insofern sie einerseits Zeugnisse aus der frühesten Geschichte bis zu unserer Zeit aneinanderreiht, andererseits Artefakte aller möglichen Art von der ganzen Erde präsentiert; nicht allein künstlerische Zeugnisse, sondern auch wissenschaftliche Dokumente oder schöne alte Bücher. Japan und China sind ebenso vertreten wie Afrika oder das südliche Amerika; manchmal sind es Zeugnisse der Hochkultur, manchmal der prähistorischen Kunst. So ist diese Ausstellung außerordentlich bunt und anregend.

Gleich beim Eintreten fällt der Blick auf ein riesiges Aquarell von Joachim Lutz (283 x 678 cm), das der damals dreiundzwanzigjährige Künstler 1929 auf einer Afrikaexpedition des berühmten Kulturhistorikers Leo Frobenius herstellte. Es dokumentiert ein Wandbild der Mutoko-Höhle in Simbabwe, auf dem afrikanische Tiere – Antilopen, Nilpferde, Zebras – neben Menschen abgebildet werden. Dass das Original mit Rötelfarbe gemalt worden zu sein scheint, könnte eine falsche Fährte legen, weil es an die Felszeichnungen Skandinaviens erinnert. Interessant ist, dass man die beiden riesigen Elefanten keinesfalls sofort sieht – manch einer muss sogar erst darauf gestoßen werden, vielleicht bereits deshalb, weil für ihre Darstellung keine Farbe benutzt wurde, vielleicht aber auch, weil sie einfach so viel größer sind als alle anderen Tiere.

Was bedeutet so ein Bild? Entstand es, weil Menschen Freude an der Abbildung der Natur besaßen? Oder war es Teil eines Jagdzaubers? Diente es irgendwelchen Zeremonien in der Tiefe der Höhle? Leider wissen wir nichts, aber auch wirklich überhaupt nichts über die Menschen, die für diese Bilder verantwortlich waren: nichts von ihrer Sprache, ihrer Alltagskultur, ihren Sitten… Das gilt auch für andere Zeugnisse aus Afrika, etwa für die zwar viel kleineren, aber ähnlich beeindruckenden Arbeiten Siegfried Shalom Sebbas oder den Aquarellen von Maria Weyersberg, die ebenfalls zur Afrikaexpedition von Leo Frobenius gehörten und Felszeichnungen dokumentierten.

Einen kulturellen Background besitzen wir, wenn es um halb tierische, halb menschliche Mischwesen aus europäischen oder asiatischen Kulturen geht, zum Beispiel die Sphingen, oder um die Okkupation der Menschen durch unheimliche Tiere wie den Fledermäusen. Beides wird ausführlich dokumentiert, wobei einerseits das naturhistorische Wissen über diese Tiere, andererseits ihre schiere Erscheinung eindrucksvoll dargestellt wird. Wenn man erst einmal weiß, wie sich diese Tiere orientieren – heutzutage lernt man dergleichen in der Schule oder aus irgendwelchen Tierdokumentationen, aber lange Zeit wusste das niemand –, ist der größte Teil des Unheimlichen wohl erst einmal beseitigt. Aber das eigenartige Gesicht bleibt ihnen trotzdem. Das zeigt sich bereits auf einem Aquarell, das eventuell von Albrecht Dürer stammt, mehr noch auf Zeichnungen Ernst Haeckels. Haeckel, in Deutschland der holzschnittartig argumentierende Chefpropagandist Darwins, aber zugleich ein künstlerisch hochbegabter Mensch, widmete diesem Tier ein schönes Blatt in seinen »Kunstformen der Natur«.

Andere Mischformen sind Medusen oder Sirenen, für die es in Hamburg Beispiele aus Griechenland zu bestaunen gibt. Ihnen stellt die Ausstellung die Kohlezeichnung »Der Kuss der Spinx« von Franz von Stuck (1863 – 1928) an die Seite. Dann wieder gibt es die Begegnung von Mensch und Tier; sei es der Hund auf der nackten Frau von Henri Rousseau, sei es der geflügelte Vampir, den Max Beckmann beim Akt verewigte, sei es schließlich »Die Windsbraut« von Max Ernst, die aus zwei grotesk verzerrten und zerteilten, anschließend aber wieder zusammengesetzten Pferdeleibern besteht.

Künstlerische Höhepunkte dieser Schau sind einige Ölbilder, unter ihnen Johann Heinrich Füsslis (1741 – 1825) »Der Nachtmahr« – ein Bild, das nicht jeder schätzt und das wohl kaum jemand, der nie von Füssli gehört hat, auf das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts taxieren würde. Würde man nicht auf einen surrealistischen Künstler tippen? Aus dem Katalog kann man lernen, dass der aus (blinden?) Augen starrende Pferdekopf wegen der klanglichen Verwandtschaft des Wortes »Mähre« mit Nachtmahr im Bild erscheint.

Ein anderes, nur unwesentlich jüngeres und thematisch sehr ähnliches Glanzlicht ist »Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer«, das Meisterwerk Francisco de Goyas, über das Hans Sedlmayr schrieb, dass es wesentliche Momente der modernen Kunst vorweggenommen habe. »Eine tiefe Erfahrung des Traumhaften, des Sinnlosen ist hier zum ersten Mal darstellungswürdig geworden. […] Goyas Visionen steigen aus einer anderen Zone auf als der moralischen.« Wie für Füssli, so ist auch für Goya das Tier nicht um seiner selbst willen dargestellt, sondern dient als ein Symbol für das Dämonische, dem wir im Schlaf hilflos ausgeliefert sind.

Ganz anders dagegen Paul Klees »Goldfisch« von 1925. Dieses Tier steht für nichts als für sich selbst. Wie erklärt sich die ungeheure Faszination, die von dem doch eigentlich ganz schlichten Bild ausgeht? Es versteht sich, dass es sehr gut gemacht ist. Das gilt sowohl für die einfache, klare Bildsprache wie für die wunderbaren Farben (ein tiefes Blau, der leuchtende Fisch), aber das allein beantwortet noch lange nicht die Frage, warum es eine fast magische Anziehungskraft ausübt! Vielleicht liegt es daran, dass ein Fisch ein vollkommen schweigendes Wesen ist und eben deshalb die animalische Natur in einer ganz reinen Form darstellt?

Kein Tier kann sprechen, sondern selbst die begabtesten unter ihnen gelangen allenfalls bis zu einem Moment kurz vor der Sprache, so dass Schelling angesichts dieser Stummheit vom »Schleier von Schwermut, der über die ganze Natur ausgebreitet ist, die tiefe unzerstörliche Melancholie alles Lebens« sprechen konnte. Selbst im Blick eines hochstehenden Tieres liegt immer noch etwas von dieser melancholischen Stummheit, ja, selbst im Menschen ist sie noch nicht ganz überwunden. Aber ein Fisch? Wer könnte besser das Geheimnis der Welt symbolisieren als ein Fisch in der Tiefe des Meeres? Und hätte man dieses Geheimnis besser einfangen können, als es Klee getan hat?

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