Rezensionen

125 Jahre Bildgießerei Noack. Bis 3. Februar 2023

Die Bildgießerei Noack zählt weltweit zu den fünf bedeutenden Bronzegießereien. Das Traditionsunternehmen ließ so berühmte Denkmale wie u.a. die Quadriga für das Brandenburger Tor oder den Heiligen Georg für die Kuppel des Kremls als monumentale Skulpturen entstehen. Zudem hat der britische Bildhauer Henry Moore nach dem Krieg hier rund 1.000 Großskulpturen gießen lassen. Kaum ein deutsches Unternehmen war jemals so eng mit dem internationalen Kunstmarkt durchweg verknüpft und konnte dabei Kunstgeschichte mitprägen. Nun feiert das Berliner Unternehmen seinen 125. Geburtstag. Sebastian Strenger war vor Ort.

© Bildarchiv Hermann NOACK; Courtesy: Werkstattgalerie Hermann NOACK, Foto: Roman März
© Bildarchiv Hermann NOACK; Courtesy: Werkstattgalerie Hermann NOACK, Foto: Roman März

Betritt man zum Jubiläum der Bildgießerei Hermann Noack in Berlin die auf dem Firmengelände auf zwei Ebenen eingerichtete gleichnamige Werkstattgalerie mit ihren musealen Räumen, um die von Sammlungsleiterin und Chefkuratorin Isabella Mannozzi zusammengestellte Retrospektive aus Skulpturenpositionen der vergangenen 125 Jahre zu besuchen, ergibt sich ein Überblick von der Moderne bis in die Gegenwartskunst. Ausgestellt sind bedeutende deutsche wie namhafteste internationale Künstler:innen und alle rund 50 gezeigten künstlerischen Positionen der Ausstellung eint dabei, dass sämtliche Werke ihre Geburtsstunde in der Bronzegießerei Noack, die zu den weltweit führenden zählt, hatten.

Für die Umsetzung dieses Ausstellungs-Vorhabens nutzte Noack mit seinem Team nahezu zwei Jahre in der Vorbereitung, um neben dem überwiegenden Teil an Werken aus der Unternehmenssammlung, diese durch seltene und wertvolle Exponate internationaler Sammler:innen zu ergänzen. Herausgekommen ist dabei eine Schau der Superlative, bei der die Kuratorin die Sichtachsen für einen Dialog gekonnt in Szene setzt. Hat man erst einmal den Eingangsbereich mit historischen Fotografien von Hermann I. vor den Wisenten von August Gaul aus dem Jahr 1913 mit Belegschaft sitzend, bis zum heutigen Hermann Noack IV. durchlaufen und die Installation mit Bronzeschlitten von Rolf Sachs der gegenüberstehenden Skulptur „Stürzender II“ (2006) von Rainer Fetting passiert, setzt sich in der rechten großen Halle der Blick auf die zeitgenössische Kunst fort.

© Bildarchiv Hermann NOACK
© Bildarchiv Hermann NOACK

Im Zentrum des neun Meter hohen Ausstellungsraums steht hier die in Aluminiumguss umgesetzte makroskopische „Tropfen“-Skulptur der deutsch-russischen Bildhauerin Anna Bogouchevskaia, die sich in ihrem aktuellen Werk mit Naturthemen im Spannungsfeld von Klimakrise und Energieknappheit befasst. Hier ein Ausstellungsstatement von der Urenkelin des Philosophen Karl Marx, dessen Hauptwerk „Das Kapital“ bereits den Aspekt von Effekten durch Umweltbelastung für eine Volkswirtschaft enthielt. Das Thema der letzten Generation dazu passend, findet sich bei der gegenüberliegenden Position des Künstlerduos Elmgreen & Dragset mit einem ironischen Statement durch deren goldpolierte Bronze „Dirty Socks“ von 2019. Sie erscheint als Fanal eines zur Schau getragenen Fatalismus einer hirnlosen Generation, bei der das Chillen und nicht zu viel Gedanken machen, zum wohlständischen Lebensmotto dazugehört.

Die als Stiefel von Georg Baselitz geformte und hier gezeigte Plastik „Pace Piece“ (2003) betrachtet dieser als Selbstportrait. Während der deutsche Neo-Expressionist die Analogie über das Bein mit Stiefel definiert, steht diesem ein abstrakter Kopf, als Ikone bekannt mit dem Titel „Skulptur 23“, von Rudolf Belling aus dem Jahr 1923 gegenüber. Beide Künstler eint die stilistisch abstrakte Ebene. Wenngleich Belling hier einen Assoziationsraum öffnet, in dem die Verheißung und der Schrecken des Maschinenzeitalters in ihrer Ambivalenz fühlbar wird, zeichnet beide Künstler, dass sie von den Nazis ins Exil getrieben wurden. Und so setzen sich die Dialoge in dieser sehr sehenswerten Ausstellung fort. Die hängende Skulptur des Norwegers Jone Kvie trifft auf eine Arbeit seines Landsmannes Per Dybvik, während die beiden Briten, Eduardo Paolozzi, mit seinem Relief „Stadtlandschaft“ von 1979, im kalkulierten Widerspruch der Plastik von Tony Cragg gegenüberhängt.
Steigt man die Treppe hoch auf die Galerie im Raum, vollzieht sich mit einer in Bronze polierten informellen Skulptur von Bernhard Heiliger der Kontrast eine Nachkriegsgeneration hin zu einer neuen Abstraktion, die in der Bronze von Lynn Chadwick erstmals wieder mit einem figurativen Mix aufspielt. Geht man hinüber in den zweiten der großen Ausstellungsräume links vom Eingang, verspricht Mannozzis kuratorisches Konzept ähnlich spannende kunstgeschichtliche Überraschungen in der Gegenüberstellung.

© Bildarchiv Hermann NOACK
© Bildarchiv Hermann NOACK



Während Alexander Archipenko neben Picasso zu den ersten modernen Künstlern zählte, die den Naturalismus und Neo-Klassizismus ihrer Zeit ablehnten, vielmehr ein radikal neues Formverständnis dem entgegensetzten und sich nicht auf Abbildung, Impression oder Naturvorbild reduzieren ließen, sondern sich auch mit Kubismus und Futurismus auseinandersetzten, schuf dies bei Archipenko eine ganz eigengesetzliche Form der Abstraktion, die in der antiken Bildhauerei ihre Anregung fand, sich jedoch klaren stilistischen oder schulischen Zuordnungen entzog. Aus dieser Zeit ist die in der Retrospektive bei Noack gezeigte Bronze „Flat Torso“ auf einem Standsockel unter einer Acrylhaube sicherlich ein heutiges Ausstellungs-Highlight. Die hier vergleichsweise erhabene kleine Skulptur, die der Künstler in Zusammenarbeit mit Noack bereits im Jahr 1910 gießen sollte, ist kuratorisch in direktem Bezug zu gegensätzlichen Auffassungen der deutschen Bildhauer Georg Kolbe durch dessen gezeigte Bronze „Auferstehung“ aus dem Jahr 1919 und Fritz Klimsch mit „Sitzendes Mädchen“ von 1936 in einer Reihung präsentiert. Während in der Rezeption von Kolbes Werk der Schwerpunkt heute immer noch auf die moderne und innovative Ästhetik der 1910er und 20er Jahre gelegt wird, in der eine lebensbejahende, vitale und optimistische Mission der Bildhauerei zu erkennen ist, zeichnet sich in der von Fritz Klimsch 1936 gefertigten Bronze bereits die Ästhetik einer später noch stärker ideologisierten Formsprache ab.

Ähnliche Kontraste ergeben die Tierplastiken in den Gegenüberstellungen der Positionen von Renée Sintenis und Ewald Mataré - sozusagen „Esel trifft auf liegende Kuh“. Die zentrale Position in diesem Ausstellungsraum nimmt aber Henry Moores mittelgroße abstrakte Skulptur ein. Sie ist ein Modell der Großplastik, die sich heute vor dem Berliner Haus der Kulturen der Welt aufgestellt befindet. In der Ausstellung ganz so wie in der Unternehmenshistorie, in der Moore aufgrund seiner Popularität und des Auftragsvolumens über lange Zeit zum wichtigsten Künstler bei Noack avancierte und für den die Bronzegießerei zu Lebzeiten des Künstlers seine rund 1.000 größten Bronzeskulpturen gießen sollte.

© Bildarchiv Hermann NOACK
© Bildarchiv Hermann NOACK

Die Bildgießerei Noack zählt im 125. Jahr ihres Bestehens heute zu den weltweit fünf bedeutenden Bronzegießereien. Das Traditionsunternehmen ließ so berühmte Denkmale wie u.a. die Quadriga für das Brandenburger Tor oder den Heiligen Georg für die Kuppel des Kremls als monumentale Skulpturen entstehen. Zudem wurde hier die nahezu gesamte deutsche Moderne gegossen. In jüngerer Zeit haben hier bedeutende Künstler wie ZERO-Gründer Heinz Mack und Neo-Dadaist Jonathan Meese ihr gesamtes skulpturales Oeuvre in Bronze gießen lassen, ebenso wie heute internationale Künstler wie u.a. Anselm Kiefer, Rosemarie Trockel, Tony Cragg, Nicole Eisenman, Georg Baselitz, Jonathan Meese, Bunny Rogers, Rainer Fetting und viele andere mit ihrer Produktion dem Unternehmen Vertrauen schenken.

Alles in allem verspricht diese gut in Szene gesetzte Ausstellung an der deutschen Wiege der Bronzeplastik einen vielfältigen Blick auf das Material und die Form. Gepaart mit interessanten Vergleichen verschiedener Kunstströmungen mit deren Protagonisten ergibt sich ein kaleidoskopischer Blick, wie er in einem Museum schon deshalb nicht zu sehen ist, da es den meisten Häusern an der einzigartigen Sammlung weltbester Bildhauer in einem Spektrum von der Moderne bis heute fehlt. Daher ist der Werkstattgalerie Hermann Noack mit ihrer kuratorischen Führung zum Jubiläum Einzigartiges gelungen. Hier erlebt man in Privatinitiative ohne öffentliche Förderung bei kostenfreiem Eintritt eine Ausstellung, wie es sie die weltweit bedeutendsten Ausstellungshäuser oftmals nicht umsetzen können, da letztlich Transporte von Metallskulpturen aufgrund ihres Gewichts und ihrer besonderen Transportbedingungen öffentliche Ausstellungsetats sehr leicht zu sprengen drohen.


Fazit: Selten & unbedingt sehenswert! Und mit etwas Glück erhält man vor Ort vielleicht auch noch den Zugang in die Produktionshallen und Künstlerateliers bei einer hin und wieder stattfindenden Führung und kann hinter den Kulissen beim Entstehen großer Werke live dabei sein.

Die von Chefkuratorin und Kunsthistorikerin Isabella Mannozzi kuratierte Ausstellung „125 Jahre NOACK“ ist noch bis zum 03. Februar 2023 zu sehen. Öffnungszeiten sind Montag bis Freitag zwischen 12 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist kostenlos.

Vom Berliner DISTANZ-Verlag wurde eine 208-seitige Ausstellungspublikation in Englisch und Deutsch veröffentlicht, zu der wir Ihnen zeitnah eine Buchrezension anbieten.

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