Kann man Tanz hören? Und haben Bewegungen einen Klang? Für die Choreografin Alma Söderberg bilden Tanz, Rhythmus und Stimme eine untrennbare Einheit. Alle Elemente gehen vielfältige Beziehungen miteinander ein, die sich nur durch den Akt des Zuhörens entschlüsseln lassen. Gemeinsam mit dem Cullberg Ballett aus Stockholm bringt sie nun »The Listeners« als Deutschlandpremiere auf die Bühne. Susanne Braun hat die experimentierfreudige Choreografin Alma Söderberg für PortralKunstgeschichte zum Gespräch getroffen.
Susanne Braun: Die acht Tänzer*innen experimentieren mit unglaublich vielen Elementen auf der Bühne. Entdeckt habe ich zum Beispiel Schauspiel, Gesang, Voice Acting oder Pantomime. In Ihrem Stück scheint es also um so viel mehr zu gehen, als um das reine Zuhören. Warum heißt es aber trotzdem »The Listeners«?
Alma Söderberg: Es heißt »The Listeners«, weil die Methode, die wir benutzt haben, um diese ganze Vielfalt an Materialien zu schaffen, das Zuhören war. Wir haben versucht, dem Rechnung zu tragen, was da war und nicht zu versuchen, die Dinge in eine bestimmte Richtung zu zwingen. Das ist eine Praxis der Immanenz: Sich nicht zu sehr zu bemühen, nicht zu viel zu dirigieren, nicht zu viel zu wollen, sondern eher mit dem zu gehen, was passiert, und das langsam durch Wiederholung zu verfeinern. Wenn eine Gruppe von Menschen sich kreativ zusammenfindet, kommt aus meiner Sicht immer etwas dabei heraus. Wir haben versucht, sehr offen zu bleiben für das, was dieses Etwas ist. Musikalität ist dabei oft mein Leitfaden. Solange dieses Etwas musikalisch ist, hat es einen Platz im Werk.
S.B.: Die Interpret*innen werden also zu Hörer*innen und reagieren aufeinander und ihre Umgebung. Beim Zusehen hatte ich aber den Eindruck, dass einige Darsteller*innen sich eher mit dem Tanzen wohl fühlten, andere eher mit dem Gesang, den Klängen und der Musik im Allgemeinen. Wurden die Interpret*innen bewußt danach ausgesucht?
A.S.: Ich habe die Darsteller*innen nicht ausgewählt. Sie waren diejenigen, die zu Beginn des Prozesses in der Kompanie zur Verfügung standen. Ich bin sehr froh, dass es so gekommen ist, denn ich musste mir die Mühe machen, sie und ihre Vorlieben kennen zu lernen. Ich musste ihnen zuhören, um diese Mischung aus Klang und Bewegung gestalten zu können. In der Tat sind einige mit dem Tanz und andere mit der Musik besser vertraut. Aber manchmal kam es mir so vor, dass mitten im Prozess jemand, der bisher gar nicht gesungen hatte, plötzlich in das Lied einstimmte, uns alle im Sturm eroberte und sich so eine ganze Reihe völlig neuer Möglichkeiten eröffneten.
S.B.: Menschliche Körper werden in »The Listeners« in einem Moment zu Instrumenten, die Klänge erzeugen und dann wieder Bewegungen. Was mir aufgefallen ist: die Szenen und Geräusche haben mich an nichts Typisches aus dem Alltag oder bekannte Melodien erinnert. Dennoch sind die Interpreten in der Lage, sofort miteinander in eine Art Dialog zu treten, zu kommunizieren. Wie ist das möglich?
A.S.: Ich denke, dass die Melodien und Rhythmen eigentlich ganz zugänglich sind. Sie sind nichts Besonderes in Bezug auf Harmonik oder Metrik, so dass sie für die Interpreten greifbar sind. Ich glaube aber, dass die Kommunikation zwischen ihnen [Anm.: den Darsteller*innen] sehr komplex ist. Sie lesen und fühlen sich gegenseitig, indem sie die Bewegungen des anderen betrachten. Aber auch, indem sie die Klänge des anderen hören und ich wage zu sagen: indem sie die Gegenwart des anderen spüren. Ich denke, das Wunderbare an den Tänzern ist ihre Fähigkeit, sich gemeinsam durch unbekanntes Terrain zu bewegen, auch durch Bereiche, die vielleicht manchen Regeln und Normen trotzen. Im Tanz müssen wir oft neue Worte und Konzepte erfinden, um zu beschreiben, was wir tun. That´s part of the fun!
S.B.: Apropos »Fun«: Sie arbeiten schon seit einiger Zeit an den Zusammenhängen von Tanz, Musik und Sprache. Warum ist das für Sie so interessant?
A.S.: Ich habe mich schon immer für Musik interessiert und in meiner Jugend viel Flamenco getanzt. Als Flamenco–Tänzer*in ist man Percussionist*in und Tänzer*in gleichzeitig. Im Grunde genommen habe ich mich so sehr an das Gefühl gewöhnt, Teil der Musik zu sein, wenn ich tanze, dass ich einen Weg finden musste, das auch im Kontext des zeitgenössischen Tanzes zu tun. Als ich mit meiner Choreographie–Ausbildung begonnen habe, wollte ich versuchen, die Rolle der Tänzerin und der Musikerin auf meine eigene Art zu kombinieren.
S.B.: Kann man Tanz hören und wie klingen Bewegungen, sind die zentralen Fragen Ihrer Arbeit. Neben Deborah Hay und Jefta van Dinther sind Sie noch bis 2021 eine der assoziierten Künstler*innen des Cullberg Balletts. In welcher Beziehung steht dabei Ihre Erforschung der Tanz–Ausdrucksformen?
A.S.: Ich denke, diese Frage könnte die künstlerische Leitung des Cullberg Balletts besser beantworten, als ich. Denn schließlich war sie es, die uns alle drei ausgesucht hat. Aber ich kann sagen, dass ich eine sehr starke Beziehung zu der Arbeit von Deborah Hay habe. Sie hat einen großen Einfluss darauf, wie ich Werke schaffe. Deborah Hay hat den Begriff der »Aufführungspraxis« geprägt, den auch ich in meiner Arbeit verwende. Man könnte diesen Begriff so beschreiben, dass man die Arbeit an einer Aufführung als die praktische Umsetzung dessen betrachtet, das es aufzuführen gilt. Man betrachtet es also nicht als Probe oder eine Konstruktion von Szenen. Es macht den Moment der Aufführung wertvoll und wichtig. Außerdem widersetzt es sich der Vorstellung, dass all das nur vor einem Publikum geschehen kann. Man kann die Aufführung auch üben, wenn man allein im Studio ist. Ich denke, es lässt sich auch auf das Musizieren übertragen. Wenn man allein zu Hause sitzt und ein Lied spielt, kann man die Musik genauso tief empfinden, wie vor einem Publikum. Das Musizieren füllt einen vollkommen aus, es ist keine Darstellung.
Das Vermächtnis von Birgit Cullberg und Mats Ek ist interessant. Ich denke, dass unsere Art zu Arbeiten nicht viele Gemeinsamkeiten aufweist, außer einem starken Sinn für das Handwerk und den Versuch, eine Sprache in Form eines Bewegungsvokabulars – und in meinem Fall eines Klangvokabulars – zu finden, das anders ist. Aber das ist vielleicht die Herausforderung, der sich alle Choreograf*innen stellen müssen.
Anmerkung:
»PACT Zollverein. Choreografisches Zentrum NRW« war nicht nur Aufführungsort von »The Listeners«, sondern ist neben Norrlandsoperan in Umeå und Hellerau in Dresden auch Co–Produzent des Stückes.
Alma Söderberg
Die schwedische studierte an der Königlich Schwedischen Ballettschule, bevor sie in Sevilla an der Escuela de Danza de Matilde Coral klassischen Flamenco erlernte.
Weitere Studien führten sie nach Stockholm, Paris, Madrid, Amsterdam und Brüssel.
Im Jahr 2016 wurde sie von den schwedischen Theaterkritikern mit dem Thalia–Preis ausgezeichnet:
Cullberg ist die nationale und internationale Repertoire–Company für zeitgenössischen Tanz in Schweden.
Der Kern der Company besteht aus 17 außergewöhnlichen Einzeltänzer*innen, die eine zentrale Rolle in den Kreationen spielen.
Cullberg ist Teil von Riksteatern – dem international tourenden schwedischen Nationaltheater.