Ausstellungsbesprechungen

Painting 2.0 – Malerei im Informationszeitalter, Museum Brandhorst München, bis 30. April 2016

Die 1960er Jahre: Wirtschaftswunder. Konsumgesellschaft. Technisierung. Malerei? Neue Technologien und gesellschaftlicher Wandel stellen nicht erst seit gestern die Malerei auf eine harte Probe. Das Museum Brandhorst in München wagt in Kooperation mit dem Museum für Moderne Kunst in Wien ein fast unmögliches Projekt: Eine Geschichte der Malerei ab 1960. Antonia Sano hat sich die Schau angesehen.

Mit den Worten »When I blow up a balloon, I am breathing my soul into an object that becomes eternal« befestigte Piero Manzani 1960 einen roten Ballon mit Schnur an eine hölzerne Basis und nannte das Werk »Fiato d'artista«, der Atem des Künstlers. Heute, 56 Jahre später, ist es beinahe eine kümmerliche Erscheinung, mit der man im ersten Raum der groß angelegten Ausstellung »Painting 2.0. Malerei im Informationszeitalter« konfrontiert wird. Kleine verschrumpelte Überreste lassen nur noch erahnen, um was es sich wohl mal gehandelt haben muss. Ist der Malerei, dem klassischen Medium der Bildenden Kunst, angesichts moderner Technik und medialer Möglichkeiten im wahrsten Sinne des Wortes die Luft ausgegangen? Scheinbar ähnlich ernüchternd zieht Martin Kippenberger im Eingangsaal die Aufmerksamkeit auf sich. Er lässt Gemälde malen, fotokopieren, aufhängen und deponiert die Originale zerstört und in Stücke gerissen in einen Müllcontainer mittig des Raumes.

Die Malerei muss in der Gegenwart auf die Reproduzierbarkeit von Bildern, auf Massenmedien und auf die Technisierung des Alltags reagieren. »Hört auf zu Malen« steht auf Jörg Immendorffs halbfertigem, mit einem großen X durchgestrichenem Werk aus dem Jahr 1966 und Niki de Saint Phalle schießt mit Gewehren auf ihre präparierten Leinwände – Tod der Malerei? Das vielleicht nicht, doch zumindest ihre Legitimation wurde mit dem Aufkommen der Populärkultur in Frage gestellt.

Die von Museumsdirektor Achim Hochdörfer kuratierte Schau möchte eine Geschichte der Malerei seit 1960 bis in die Gegenwart schreiben, was mit fünf Jahren Vorbereitungszeit und einem Umfang von über 230 Exponaten von 107 Künstlern auf drei Etagen ein augenscheinlich ambitioniertes Vorhaben ist. Sie entstand in Kooperation mit dem Museum für Moderne Kunst in Wien, in welchem sie ab Juni 2016 zu sehen sein wird. Geleitet wird man durch thematische Settings und verschiedene Stadien der Auseinandersetzung innerhalb dieses vermeintlichen Spannungsfeldes von Analogem und Digitalem. Das Motto »Geste und Spektakel« leitet die erste Ausstellungseinheit im Erdgeschoss ein, »Exzentrischen Figurationen« lassen sich im Obergeschoss entdecken, »Soziale Netzwerke« im Untergeschoss.

Exzentrisch: ausgefallen, besonders, ungewöhnlich oder extrem, überzogen, übertrieben? Die Vorstellung von Körperlichkeit und wie die Massenmedien sie tangieren, beschäftigt nicht nur Feministen wie Amy Sillman oder Maria Lassnig mit ihren figürlich-abstrakten Hybriden. Nein, die Verflechtungen von Körperbild, Bildkörper, medialer Präsenz und Technologie sind komplex und spitzen sich gerade in einer Zeit direkter Konfrontation zu. Ein leuchtend roter Sticker mit der Aufschrift »How is my Painting?« auf Nicole Eisenmans Werk »Bloody Orifices« spricht es aus: Ein düsteres Bild, ein männlicher Kopf, eine Träne. Das Bild eines Weinenden oder ein weinendes Bild? Ein Appell an den Künstler und den Betrachter Stellung zu beziehen.

Die Malerei hat sich trotz aller Krisen weiterentwickelt, das ist der Grundtenor der Ausstellung. Durch Absorption, Aneignung und Transformation der Möglichkeiten neuer Technologien hat sie sich zu einer vielseitigen Kunstform entfaltet. Wie eine Malerei 2.0, ein Update. Die Schau greift die Facetten dieser Phase der Identitätskrise oder Neu(er-)findung der Künstlerwelt auf. Ein groß angelegtes, aber wundervoll gelungenes Projekt. Painting 2.0 – die Reverenz an das digitale Zeitalter ruft ins Bewusstsein, wie aktuell die Auseinandersetzung der bildenden Kunst mit dem technischen Fortschritt auch heute ist. So wandert man – manchmal ein wenig überfordert von Radikalität, nackter Haut, Extremen und Überraschungen – durch die Jahrzehnte. Es mangle an Informationen, kritisierte Patrick Bahners für die Frankfurter Allgemeine. Durchaus fordert die Ausstellung den Besucher, die Kuratoren geben uns Schlagworte an die Hand und wir sind angehalten mitzudenken, zu reflektieren und selbst Verknüpfungen herzustellen. Ist das nicht der Reiz? Ein Appell vielleicht auch an uns, Stellung zu beziehen?

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