Ausstellungsbesprechungen

Peter Saul, Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main, bis 3. September 2017

Noch ehe Tabubruch und kalkulierte Geschmacklosigkeit zentrale Elemente der zeitgenössischen Kunst wurden, fand der US-Amerikaner Peter Saul zu einer provokanten Bildsprache. Die Schirn stellt den Künstler derzeit vor und hat Anna Quintus mit ihrer Ausstellung beeindruckt.

Auf den ersten Blick neon-bunt, fröhlich, plakativ zeigen sich die Bilder des US-amerikanischen Malers Peter Saul (*1934 in San Francisco). Auf den zweiten Blick offenbart sich hinter den leuchtend bunten Farben und den vermeintlich einfachen Bildsujets die provokative, vulgäre Bildsprache. Die Frankfurter Schirn widmet als erstes Ausstellunghaus in Europa dem bislang eher unbeachteten amerikanischen Künstler eine Solowerkschau. Und das wird höchste Zeit, denn er ist einer der wichtigsten amerikanischen Künstler der Nachkriegszeit. Wie die Kuratorin Martina Weinhart auf ihn aufmerksam wurde und was sie so faszinierend fand an seinen Bildern, dass sie letztendlich eine Ausstellung plante, erzählte sie in der Kuratorenführung und nahm 20 interessierte Besucher mit auf eine Reise in die cartoonistisch aggressive Bildsprache, den farbenfrohen Bildaufbau und der tiefgründigen Erzählstruktur des Peter Saul.

Martina Weinhart stieß vor einigen Jahren im Zuge der Vorbereitungen zu einer Ausstellung über Künstler der amerikanischen Westcoast auf die Arbeiten von Peter Saul und erkannte dessen Potenzial. Drei Jahre recherchierte sie und arbeitete sich in seine Werke ein. Den Höhepunkt bildete ein einwöchiger Besuch beim Künstler in Germantown, Upstate New York. Hier konnte sie in seinem »Archiv« stöbern, sie selbst nannte es mit einem Augenzwinkern »in Kartons wühlen«. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern leistet Saul sich keine Entourage, die seine Werke vermarktet oder gar archiviert. Was nicht von seinem langjährigen Chicagoer Galeristen abgekauft wurde oder in anderen Sammlungen verweilt, vereinigt er ganz unkonventionell in seinen Basement-Räumlichkeiten oder in der Garage. Weinhart hatte nahezu freien Zugang. Nur seine Frau schaute am Ende noch einmal über die Fotos, Skizzen und Werke, welche die geplante Ausstellung komplettieren sollten.

Der Künstler schafft mit der Mischung aus Pop Art, Abstraktem Expressionismus, Surrealismus, San Francisco Funk und Cartoon Culture seinen eigenen, unverwechselbaren Stil, dem er stets treu bleibt. Mit diesem wird man als Ausstellungsbesucher bereits zu Beginn konfrontiert: Die ersten Bilder der Werkschau sind seine ICE-BOX-Paintings. Die in den 1950er Jahren entstandene Bilderserie zeigt die amerikanische Konsumkultur in Reinform. Ein Kühlschrank als Statussymbol, ein Must-have für jeden amerikanischen Haushalt, um all die von der Werbung angepriesenen Konsumgüter lagern zu können. Bei Sauls Bildern haben darin nicht nur die zu kühlenden Produkte Platz, sondern ein ganzes Wohnzimmerinterieur. Aber auch den Superhelden geht es an den Kragen, und so sitzen Superman und Superdog im Gefängnis: der Held zermürbt und mitgenommen mit zerschlissenem Kostüm, während sein Hund aus der Kloschüssel vor ihm sein Wasser trinkt – »Superman und Superdog in Jail« (1963).

Altbekannte Bildsujets aus dem Comicgenre oder der Werbung, sind es die den Besucher zum Hinschauen verleiten, gekleidet in ein farbenfrohes Gewand, erkennt man erst bei genauer Betrachtung die Obszönität, die dann durchaus auch mal auf den Magenschlagen kann. Über die amerikanische Lebensweise echauffierte er sich zunächst aus Europa heraus. Denn von 1956 bis 1964 lebte er u.a. in Paris und Rom. Seine Art und Weise Konsumgüter in den Bildmittelpunkt zu rücken, erinnert stark an die der Pop Art. Er hat somit dieser Kunstrichtung bereits vorgriffen, wobei seine Ausdruckstärke weitaus kritischer ist, als bei Warhol, Lichtenstein u.a.

Wieder zurück in Amerika veränderte sich Sauls Malweise. Ab diesem Zeitpunkt gab er die expressionistische Malrichtung auf und arbeitete fortan nur noch gegenständlich mit einem präzisen Konturenstil. Nach seiner Rückkehr thematisierte er vor allem den Vietnamkrieg. Sein Hauptwerk aus dieser Serie, »Saigon« (1967), zeigt US-amerikanische Soldaten mit blutunterlaufenden Augen, die sich in widerwärtiger Weise den vollbusigen vietnamesischen Frauen widmen. Indem er die Schattenseiten des sonst so glorifizierten Krieges aufzeigt, thematisiert er einen absoluten Tabubereich. Seine Kunst bleibt lange Zeit zu politisch für den Kunstmarkt und daher ist es nicht verwunderlich, dass für Peter Saul die große Anerkennung zunächst ausbleibt.

In der Retrospektive der Schirn werden weiterhin Werke gezeigt, die sich mit amerikanischen Politikern, Bürgerrechtlern und anderen einflussreichen US-Persönlichkeiten befassen. So präsentiert er die Bürgerrechtlerin Angela Davis in »San Quentin #1 (Angela Davis at San Quentin)« (1971) vor dem Gefängnis, während sie von den Märchenfiguren »Die drei kleinen Schweinchen« mit Injektionen malträtiert wird. Dabei sind die Schweinchen die personifizierten Pfeiler Justiz, Geld und Macht, die Davis die Substanzen Freiheit und Gleichheit brutal injizieren. Typisch für Saul ist auch hier die Einbindung von Worten, um das Dargestellte in seiner Aussagekraft Exaktheit zu verleihen. Rechtschreibung und Semantik ignoriert er dabei wohlweislich – damit potenziert er seine offene Kritik noch einmal mit Sarkasmus.

Ein kleiner Kritikpunkt bleibt bei der sonst sehr gelungenen und absolut sehenswerten Ausstellung: hervorragend wäre es gewesen, wenn man bei einer Führung mit der Kuratorin der Ausstellung mehr erfahren hätte über die Werkauswahl sowie eine tiefere Analyse einiger Bilder im Ausstellungskontext erhalten hätte. So blieb es, bis auf wenige Anekdoten, eine einfache Führung durch die Werkschau. Ebenso fehlen aktuelle Arbeiten. Aber genau diese wären äußerst spannend gewesen im Hinblick auf Sauls politische Themenauswahl, die aktuelle weltpolitische Situation und noch viel bedeutender die momentane Stellung der Kunst, die nun endlich auch politisch sein darf. Denn bis heute hat der nun 82-Jährige nichts von seiner Bissigkeit gegenüber dem amerikanischen Staat verloren und schafft immer noch grellbunte Bilder mit obszönem Sujet. Momentan arbeitet er, weil man einfach nicht umhinkommt, an einem Werk über den aktuellen US-amerikanischen Präsidenten, welches ab September in einer New Yorker Galerie zu sehen sein wird. Man darf gespannt sein wie Saul Donald Trump dann darstellt!

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