Buchrezensionen, Rezensionen

Andreas Henning/Arnold Nesselrath (Hg.): Himmlischer Glanz. Raffael, Dürer und Grünewald malen die Madonna, Prestel 2011

Zu etwa achtzig Prozent ist die Bevölkerung Dresdens konfessionslos; nur knappe fünf Prozent der Stadtbewohner sind katholisch. Und nun ereignet sich in der Gemäldegalerie Alter Meister, im angestammten Raum der »Sixtinischen Madonna«, anlässlich des Papstbesuchs in Deutschland ein Kunstschauspiel, das die Herzen der wenigen Gläubigen wie auch die der vielen Nichtgläubigen höher schlagen lässt. Franz Siepe hat sich den Katalog zur gleichnamigen Ausstellung angesehen.

Denn auf Fürsprache Benedikts XVI. hin haben die Vatikanischen Museen Raffaels Ölgemälde »Madonna di Foligno« an die Elbe ausgeliehen, so dass es erstmals in der Geschichte mit seinem Schwesterbild, der »Sixtina«, zusammentrifft. Bernhard Maaz, Direktor des Kupferstich-Kabinetts und der Gemäldegalerie Alter Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, schwärmte von diesem »Gipfeltreffen der Madonnen« und meinte: »Die Ausstellung ist zum Frommwerden schön.«

Zelebriert also hier nun ein profanes Museum die Wiedergeburt frühromantischer Kunstreligiosität? Schon Wilhelm Heinrich Wackenroder nannte Raffael in den »Herzensergießungen« um 1800 »den Göttlichen« und bekannte: »Ich vergleiche den Genuß der edleren Kunstwerke dem Gebet.«

Auch bei der Gestaltung des mit vielen, zum Teil sehr guten Abbildungen ausgestatteten Katalogs hat man sich um eine religiöse Anmutung bemüht. Noch vor den Gruß- und Geleitworten der einschlägigen Honoratioren und Notabeln erscheint das Wappen Benedikts XVI., und auf der Nachbarseite ist eine Sentenz aus einem seiner päpstlichen Schreiben abgedruckt: »Maria ist die Tota pulchra, die ganz Schöne, denn in ihr erstrahlt der Glanz der Herrlichkeit Gottes.«

Gewiss, dieses Wort ist theologischer Natur und trotz seiner Knappheit von beachtlicher mariologischer Tiefe; doch ist es ebenfalls aus kunsthistorischer Sicht dem Ausstellungsthema angemessen, weil ein herausragendes Merkmal der in Dresden ausgestellten Madonnen wirklich das Schönheitsleuchten der christlichen Himmelskönigin ist.

Das gilt für die »Madonna di Foligno« schon insofern, als man das Gemälde vor der Reise nach Dresden gereinigt und mit einem frischen Firnis überzogen hat, so dass jetzt die imposante Grundfarbigkeit per se »himmlischen Glanz« verbreitet. Hinzu kommen leuchtende Goldtöne im Haar des Kindes wie der Mutter und im Brokatbesatz ihres Kleides. Auf den Wolken thront Maria vor einer glühenden Sonnenscheibe, so wie sie der Legende nach dem römischen Kaiser Augustus erschienen war.

Franz von Assisi, Johannes der Täufer, Hieronymus und der greise Stifter Sigismondo de‘ Conti, Sekretär des Papstes Julius II., bilden das Personal der Bodenzone. Zwischen den beiden Gruppen steht ein Putto mit rätselhaft leerer Tabula ansata. Die Mittelzone mit einer nicht ganz eindeutig identifizierten Lichterscheinung verweist wohl auf ein wundersames Ereignis im Leben des Auftraggebers, so dass Arnold Nesselrath von den Vatikanischen Museen auch hierin – neben der oben genannten Augustus-Vision – einen lokalen römischen Bezug der »Madonna di Foligno« erkennt. Demgegenüber sei das Dresdner Schwesterbild universeller gedacht: Es stelle »spirituell wie künstlerisch eine Allegorie unserer abendländischen Kultur« dar und erreiche »himmlische Sphären«.

Die ausführliche Erklärung der »Sixtinischen Madonna« übernimmt im Katalog der Dresdner Andreas Henning selbst, ein angesehener Raffael-Fachmann, der seine Forschungen zu diesem Bild schon 2010 in einer knappen, aber um so gehaltvolleren und anmutig hergestellten Publikation des Deutschen Kunstverlags unterbreitet hatte. In Anlehnung an Hans Belting stellt Henning fest, »dass die Sixtinische Madonna kein Gemälde einer Vision sei, sondern das ganze Bild selbst eine solche ist: ›Das ältere Bild [die Madonna von Foligno] enthält eine himmlische Erscheinung. Die ›Sixtinische Madonna‹ ist eine solche.‹« Wie auch im Fall des Schwesterbildes ereignet sich die Epiphanie der »Sixtina« auf einem Gebilde aus weißen Wolken, welches Himmel und Erde sowohl scheidet als auch eint. Immer wieder hat man den »hohen Ernst« in den Augen Marias und des göttlichen Kindes wahrgenommen. Er steht in eigentümlichem Kontrast zur Mimik der beiden Engelchen am unteren Bildrand. Diesem wohl berühmtesten Dresdner Duo widmet Andreas Henning in seinem Buch ein eigenes Kapitel und verfolgt seine »rasante Karriere« vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart: »Selbstredend tragen sie heute auch den Ruf der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in alle Welt.«

Vier weitere Aufsätze über in Dresden gezeigte Mariengemälde sind im Katalog zu lesen. Wolfgang Urban betrachtet die »Stuppacher Madonna« von Matthias Grünewald, entschlüsselt eine große Vielzahl der im Bild vorhandenen heilsgeschichtlichen Zeichen und Symbole und resümiert: »Die Stuppacher Madonna ist als Marienbild ein vollständiges ›Weltbild‹, ein Bild von Himmel und Erde, von Zeitlichkeit und Ewigkeit, von Gott und Mensch. Im Zentrum der kompositorischen Diagonalen von oben rechts nach unten links vereinen sich Himmel und Erde, Gott und Mensch in Maria und Christus.«

Bernhard Maaz bespricht Lucas Cranachs (Werkstatt) »Die Madonna auf der Mondsichel mit dem Stifter Hieronymus Rudelauf« und Albrecht Altdorfers »Maria mit dem Kind in der Glorie«. Die Tafel Cranachs reiht er ein in die Tradition der »sakralen Visionen« in Gestalt und erinnert an die Herkunft der Ikonografie der Mondsichelmadonna aus der »Offenbarung des Johannes« (12,1): »Und es erschien ein großes Zeichen am Himmel: ein Weib, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen.« Allerdings irrt Maaz, wenn er in seinem Text über Altdorfers Madonna angibt, in der »Offenbarung des Johannes« werde »Maria als ›regina coeli‹, also als die Himmelskönigin bezeichnet«. Zwar wurde die »Apokalyptische Frau« tatsächlich oftmals mit der Mutter Christi identifiziert, doch ist die Titulatur »Himmelskönigin« nicht neutestamentlich. Ungeachtet dessen erscheint Altdorfers Maria über einer fantastischen Hochgebirgslandschaft in wundervollem, goldumstrahltem Liebreiz.

Sebastian Oesinghaus, Wissenschaftler an der Dresdner Gemäldegalerie, befasst sich mit dem hauseigenen »Dresdener Altar« Albrecht Dürers: »Ein Marienaltar zwischen Spätmittelalter und Renaissance«. Auch hier schweben Engelchen über dem Haupt der Mutter Gottes und tragen die Krone der das Jesuskind anbetenden Himmelskönigin. Dieses Frühwerk Dürers ist eines der vielen Früchte seiner Beschäftigung mit dem Marienthema, die auch in seinem druckgrafischen Werk reichen Niederschlag gefunden hat.

Die hier genannten wie auch die anderen Katalogbeiträge bieten eine gediegene Einführung in die Ausstellung. Der Band ist eine feine Einladung nach Dresden auch für solche Leute, die nicht (erst) angesichts der Schönheiten dieses »Madonnengipfels« fromm werden wollen.

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