Buchrezensionen

Anne-Marie Bonnet und Gabriele Kopp-Schmidt: Die Malerei der deutschen Renaissance. Schirmer/Mosel 2010

Monografien zu den einzelnen Künstlern der Renaissance gibt es wirklich genug, aber auch eine Zusammenschau? »Die Malerei der deutschen Renaissance« lautet das Thema eines opulent bebilderten Prachtbandes, den Anne-Marie Bonnet und Gabriele Kopp-Schmidt jetzt vorlegen, und es ist wohl derzeit ein konkurrenzloses Unternehmen. Ein großartiges Buch, das Stefan Diebitz für PKG gelesen hat.

Bonnet/Kopp-Schmidt © Cover Schirmer/Mosel 2010 Altdorfer, Heiliger Georg im Walde, 1510 © Alte Pinakothek München Baldung Grien, Der Tod und die Frau, 1520 © Kunstmuseum Basel
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In dem mächtigen Buch werden von Albrecht Dürer bis zu Hans Holbein die bedeutendsten deutschen Maler der Renaissance vorgestellt, und in insgesamt sechs kurzen, aber sehr luziden Aufsätzen wird die Forschung zusammengefasst und es werden ausgewählte Probleme dieser Epoche beleuchtet.

Anne-Marie Bonnet und Gabriele Kopp-Schmidt legen nicht das erste Mal ein gemeinsames Buch vor; bereits 1995 schrieben die beiden renommierten Kunsthistorikerinnen »Kunst ohne Geschichte? Ansichten zu Kunst und Kunstgeschichte heute«. In diesem Buch widmet sich Kopp-Schmidt in drei Aufsätzen ausgewählten Einzelfragen, während Bonnet die Aufgabe übernommen hat, mit zusammenfassenden Überlegungen in die Epoche einzuführen, die Malerei mit den großen Themen der Zeit zu verknüpfen und vor allem auch zu umreißen, was die deutsche Renaissance von der italienischen unterscheidet.

Mit dem von dem Historiker Reinhard Koselleck eingeführten Terminus „Sattelzeit“ beschreibt Bonnet die Epoche in drei Kapiteln als den fließenden, also nicht abrupten oder gar dramatischen Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit: „Die vermeintliche Epochenschwelle ist abgeflacht, Renaissance wurde eher eine ‚Sattelzeit’, die etwa drei Jahrhunderte umfasst, in denen Mittelalter und Neuzeit ineinander übergehen. Reichweite und Universalität machten daraus ein Zwischenzeitalter.“ Der Zeitraum, mit dem sich das Buch beschäftigt, umfasst die Jahre 1495–1555, aber viele der großen Themen der Renaissance waren schon zuvor virulent – wenn nicht in der Malerei, dann doch in Wissenschaft und Kultur. Bonnet beschränkt sich in ihrer Epochencharakteristik nicht auf einen einzigen Aspekt, sondern verschränkt eine sozialgeschichtliche Perspektive (Aufstieg des Künstlers und Veränderung seines Selbstverständnisses) mit geistesgeschichtlichen, politischen und ökonomischen Aspekten, so dass auf wenigen Seiten eine sehr differenzierte Darstellung der Zeit entworfen wird.

Gabriele Kopp-Schmidt hat drei instruktive Aufsätze beigesteuert, einen, in dem sie die Rolle der Frau umschreibt (ein höchst problematischer Aspekt, wenn man die Hexenbilder Baldung Griens oder überhaupt die Misogynie der Zeit im Auge hat), einen anderen, der die Rolle des Portraits bedenkt und das nordische Bildnis von dem italienischen abhebt, und endlich einen dritten, in dem sie der Frage nachgeht, inwiefern in der deutschen Renaissance wirklich die ersten Landschaftsbilder entstanden sind. Das schließlich ist zwar ein Dogma der Kunstgeschichte, aber nichtsdestotrotz ein wenig problematisch, wie sie auf wenigen Seiten an reichem Material demonstriert. In Frage kommen hier natürlich Albrecht Dürer als der Übervater der deutschen Renaissancemalerei sowie Albrecht Altdorfer, dessen »Heiliger Georg im Wald« lange als erstes deutsches Landschaftsbild galt. Kopp-Schmidt in ihrem Aufsatz und Bonnet in dem Beitrag über das Bild zeigen aber, dass die Darstellung des Waldes hier noch gar keinen Eigenwert besitzt, sondern ganz und gar auf den Kampf gegen den merkwürdig krötenartigen Drachen bezogen ist, den der Betrachter zunächst ebensowenig sieht wie den Ritter, so wenig heben sie sich von dem Blättergewirr des bemerkenswerten Bildes ab. Dürers Aquarelle wiederum, zum Teil auf seiner Italienreise entstanden und wirklich höchst eindrucksvoll, waren keineswegs als eigenständige Bilder gedacht, sondern lediglich als Erinnerungsstützen und Material für den Werkstattgebrauch.

Im Anschluss an die einführenden Essays werden auf 230 Seiten die Hauptwerke der großen Meister vorgestellt; Dürer und Altdorfer von Bonnet, Lucas Cranach von Daniel Görres, Hans Burgkmair, Grünewald, Baldung Grien und Holbein von Kopp-Schmidt. Meist gehört die rechte Seite dem Bild, die linke dem Kommentar, aber manche Triptychen sind natürlich nur auf einer Doppelseite abzubilden. Fast genau in der Mitte des Buches und mit seinen drei Doppelseiten ein Fest für das Auge: der »Isenheimer Altar«.

Immer wieder wird der Akzent auf den Unterschied der deutschen Renaissance zur italienischen gelegt. Schließlich bedeutete in Deutschland der Blick auf die Antike nicht wie in Italien eine Begegnung mit der eigenen Vergangenheit. Es war die Zeit des erwachenden Nationalbewusstseins, das aber keine vergangene Hochkultur beschwor, sondern merkwürdigerweise in die Darstellung von „Wilden Leuten“ mündete. Lukas Cranach malte um 1530 eine »Faunfamilie«, Altdorfer eine »Satyrfamilie«, in deren Zusammenhang Kopp-Schmidt auf die »Germania« des Tacitus verweist. Eine „stimmige Deutung“ des letztgenannten Bildes ist nach ihrer Auffassung noch nicht gelungen. Zu Cranachs in mancher Hinsicht ganz ähnlichem Bild – in dem Gemälde findet sich eine an Herkules erinnernde Figur – schreibt Görres: „Cranach übersetzt den importierten Inhalt in eine einheimische Form und inszeniert die mythische Epoche der Deutschen als ein familiäres Idyll, in dem sich Stärke und Mut mit anteilnehmender Liebe vereinen.“

„Renaissance“ behauptet als Name der Epoche die Wiedergeburt der antiken Kultur und vor allem Literatur, und der Begriff „widererwaxung“, den Dürer schon vorher fand, deutet in dieselbe Richtung. Aber werden diese Namen der Epoche wirklich gerecht? Für Deutschland kann dieser Titel keinesfalls sinnvoll sein, weil es ja nichts Deutsches gab, das hätte wiedererwachen können. Ludwig Klages sah in der Renaissance vor allem eine „Tendenz zur Vergöttlichung der Proportion“, und das ist ein Aspekt, der in dem üblichen Namen der Epoche nicht einmal von fern mitschwingt, tatsächlich aber von größter Bedeutung für die Malerei der Zeit ist, bei der wir zunächst an die Entdeckung der Perspektive und die Entfaltung des Raumes denken.

Wohl jeder hat zunächst Altdorfer vor Augen, in dessen »Alexanderschlacht« sich ein gewaltiger Raum (das östliche Mittelmeer!) in eine zuvor nie gesehene Tiefe öffnet, der aber auch eine spektakuläre »Mariengeburt« gemalt hat, in der sich Maria mit ihrem Anhang in einer gotischen Kirche befindet. Altdorfers Bild zeigt einen Innenraum mit zahlreichen Pfeilern, der sich im Hintergrund zum Chor öffnet. Diesem höchst anspruchsvollen Thema zeigte sich der Maler noch nicht ganz gewachsen – Kopp-Schmidt deutet mehr beiläufig auf einige kleinere Fehler und Inkonsequenzen hin –, aber es ist eben ein ganz neuer Raum, den noch eine Generation vorher die Maler nicht einmal in Angriff hätten nehmen können. Ein weiteres Beispiel für die malerisch unglaublich gekonnte und überlegte Darstellung eines Raumes ist Altdorfers wunderbare »Landschaft mit Steg« – im Grunde das bescheidene Gegenstück zur monumentalen »Alexanderschlacht«, in der wir von ungeheuer weit oben auf die Landschaft blicken. Hier geschieht das Gegenteil: „Mittels einer besonderen Perspektive, die das Betrachterauge auf Bodenhöhe ansiedelt, also den Blick aus der Untersicht auf die Landschaft lenkt, macht Altdorfer den Einblick in die Natur sehr eindringlich und erreicht trotz des kleinen Formats eine monumentale Wirkung.“

Ähnlich wie die Landschaft verwandelte sich das Portrait, und wiederum setzt die deutsche Malerei hier ihre eigenen Akzente. Noch zu Beginn des 15. Jahrhunderts präferierte die italienische Malerei das Portrait im Profil, wogegen die nordische Malerei die Dreiviertelansicht bevorzugte. „Der Vorteil des Dreiviertelprofils“, erläutert Kopp-Schmidt, „liegt auf der Hand: Während der Blick einer im Profil wiedergegebenen Person jeden Kontakt verwehrt, kann der aus dem Profil herausgedrehte Portraitierte den Blick auf den Betrachter vor dem Bild richten und so eine Beziehung herstellen.“

Von besonderer Bedeutung sind später die Ehepaar-Portraits, so zunächst von Hans Holbein, dem überragenden Portraitisten der Epoche (oder der deutschen Malerei überhaupt). Plastizität und Lebensnähe seiner Portraits sind auch in den Abbildungen des Bandes zu erkennen, und die Portraits anderer Maler – von Dürer sehen wir einmal ab – lassen sich keinesfalls damit vergleichen. Leider ist bei Holbeins Familienbild nur die eine, die linke Hälfte des Bilderpaares erhalten, das auf der einen Seite seine Ehefrau mit den beiden Kindern zeigt, auf der anderen aber, der rechten, höchstwahrscheinlich ihn präsentiert hat. Unter den Selbstportraits ragt außerdem das Bild Hans Burgkmairs mit seiner Frau heraus, ein Bildnis, das er nur zwei Jahre vor seinem Tod malte und das dank seiner schonungslosen Wahrhaftigkeit in ähnlicher Weise wie das späte Selbstbildnis Dürers anrührt. Dürer hat sich bekanntlich nackt gezeichnet, und die meisten Betrachter machen sich wohl nicht die außerordentliche technische Schwierigkeit dieses Vorgangs deutlich, die von Kopp-Schmidt geschildert wird: „Dieses nahsichtige Selbstportrait konnte nicht vor einem in der Zeit gebräuchlichen Konvexspiegel angefertigt werden, sondern nur mit Hilfe eines flachen Spiegels. Das geringe Format der erst seit wenigen Jahren vor allem in Venedig angefertigten Flachspiegel erlaubte allerdings nur eine partielle Betrachtung einzelner Körperabschnitte aus der Nähe. Der Künstler musste die eigene Gestalt in mehrere Abschnitte segmentieren und im Bild aneinandersetzen.“

Der am wenigsten konventionelle und bis heute anstößigste, manchmal immer noch auf schroffe Ablehnung stoßende Maler der Epoche ist Hans Baldung Grien mit seinen „zunehmend profanen, zum Teil auch gewagten Bildthemen“, unter denen natürlich die Hexenbilder herausragen, von denen aber dieser Band nicht die provozierendsten zeigt (jedenfalls nicht seitenfüllend). Außerdem ist Baldung bekannt für seine morbiden Bildmotive, besonders für seine nackten Frauen, die vom Tod oder einem halb verwesten Leichnam umworben werden. In ihrer sehr dichten Interpretation der »Zwei Hexen« von 1523 zeigt Kopp-Schmidt nicht allein die Ambivalenz der Darstellung, sondern bringt die ganze Thematik auch mit der Syphilis in Verbindung, die ja eben in dieser Zeit in Europa zu grassieren beginnt. Eine der beiden Hexen hält nämlich einen Glaskolben in die Höhe, der einen Drachen und damit einen Hinweis auf Mercur enthält; dieser aber wurde mit Quecksilber, dem einzig verfügbaren Mittel gegen die Krankheit, assoziiert. Das Gemälde der beiden verführerischen Hexen war also gleichzeitig ein erotisches Bild und eine Warnung vor der tödlichen Krankheit.

Der mächtige Band ist mit seinen Abbildungen wie mit seinen klugen und dicht gewobenen Texten ebenso belehrend wie anregend, und an den Bildern mag man sich gar nicht sattsehen. Ein wunderschönes Buch.

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