Rezensionen

Blake Gopnik: Warhol. Ein Leben als Kunst. C. Bertelsmann Verlag

Andy Warhol (1928–1987) ist der bekannteste Künstler der Pop–Art. Seine knallbunten Bildserien von Suppendosen, Bananen oder Hollywood–Stars sind bis heute stilprägend, die Gemeinde aus Musen, Celebritys, Drag Queens und Intellektuellen, mit denen er sich in seiner New Yorker »Factory« umgab, ist legendär. In einer monumentalen Biografie taucht Blake Gopnik nun tief in das Leben dieser radikalen wie rätselhaften Kunstfigur ein. Melanie Obraz zeigt sich von der akribischen Recherche beeindruckt.

Cover © Bertelsmann Verlag
Cover © Bertelsmann Verlag

Das Cover in Schwarzweiß zeigt Andy Warhol lässig auf einem Stuhl sitzend, mit getönter Brille, Lederjacke und blank geputzten Stiefeletten. In grellem Gelb prangt der Name »Warhol« über seinem Kopf.
Blake Gopnik verfasste eine groß angelegte und aufwendig recherchierte Biografie über den Künstler der Pop–Art. Der Untertitel »ein Leben als Kunst« weist bereits auf Warhol den Ausnahmekünstler hin, der nicht nur Kunst schaffen wollte, sondern die Kunst – seine Kunst – lebte. Er machte was er liebte und ließ sich von seiner Umgebung neu inspirieren, ohne angestrengt nach dem Außergewöhnlichen zu suchen. Die über 1230 Seiten des Buches gewähren einen sehr detaillierten Einblick in das Schaffen wie auch in das Leben des Künstlers. Werk und Biografie gehen hier ineinander über oder sind sogar als Einheit zu verstehen.

Die Kapitel sind sehr übersichtlich gestaltet und jeweils mit Jahreszahlen bezeichnet.
Jeder Abschnitt beginnt – ganz im Stil des Buchcovers gehalten – mit einem schwarzweißen Portraitfoto des Künstlers oder zeigt Warhol mit Freunden und Weggefährten. Als Leser/in hat man dadurch den Vorteil, dass man der Biografie Warhols nicht chronologisch folgen muss, sondern auch zu speziellen Jahren gehen kann, ohne den Überblick zu verlieren. Obwohl Warhols Kunst (oder besser: Nicht–Kunst bzw. Pop–Art) auch in dieser Publikation detailliert behandelt wird, steht sie nicht wie in einem kunsthistorischen Almanach oder Nachschlagewerk für den/die Leser/in bereit. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Persönlichkeit Warhols und wie er die eigene Kunst machte.

Indem er viele Personen aus dem Warholschen Umfeld zu Wort kommen lässt, gelingt es Autor Blake Gopnik den Menschen Andy Warhol als Künstler zu zeigen. Das Buch ist informativ und auch unterhaltsam. Darüber hinaus wird hier die Kunstform der Pop–Art mit all ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft, wie auch das besondere Potential das jene Zeit beförderte dargestellt. Kritische Zwischentöne bleiben dabei nicht aus. Vor allem aber erweiterte Warhol durch seine Kunst den allgemeinen Blick auf die Ästhetik und zeigte auf, dass alles Kunst sein oder als Kunst bezeichnet werden kann. So avancierte selbst der Supermarkt zum Kunstobjekt.

Doch der überaus große Bekanntheitsgrad des Andy Warhol besagt noch nicht, dass er dem kunstinteressierten Publikum auch als Mensch bekannt war oder ist. Sein Leben war eine groß angelegte mit Dynamik durchströmte Reise, die ohne Planung abzulaufen schien. Sein schillerndes Leben war Kunst. So und nicht anders sah es Warhol und war selbst dennoch oft genug über diese Tatsache erstaunt. Als er und Edie Sedgwick zu einer Party gingen bemerkte er plötzlich: »wir sind das Kunstwerk«. Lebensstil und Kunst wurden eins.

Andy Warhol im Moderna Museet/Stockholm, vor der Eröffnung seiner Retrospektive. Brillo Schachteln im Hintergrund (9 February 1968) © Lasse Olsson / Wikimedia Commons
Andy Warhol im Moderna Museet/Stockholm, vor der Eröffnung seiner Retrospektive. Brillo Schachteln im Hintergrund (9 February 1968) © Lasse Olsson / Wikimedia Commons

»Ich erzähle nicht gern etwas über meine Vergangenheit, und außerdem erfinde ich sie jedes Mal neu, wenn ich gefragt werde«, so hat es Warhol einmal in einem Interview gesagt, »bei dem seine Worte aus dem Zusammenhang gerissen und bisweilen schlicht erfunden worden waren«.
Doch Warhol zeigte auch hinsichtlich seiner Herkunftsangaben Humor und Erfindergeist. So gab er dem Who’s Who 1965 zum Besten, er sei in Cleveland geboren und Spross einer Adelsfamilie, den »von Warhols«. Seine wahre Herkunft liest sich jedoch wenig glamourös: Er war Andrew Warhola aus Pittsburgh, dessen Vorfahren aus einem kleinen Dorf aus der ehemaligen Tschechoslowakei in die USA eingewandert waren. Gopnik lässt nicht unerwähnt, dass die Familie Warhola von ihren Nachbarn in Pittsburgh eben wegen ihrer Herkunft verachtet wurde.

Doch Andy verfügte über besonderen Flair und so wollte er sich nach eigener Aussage als er »noch klein war, Morningstar« nennen. Auch dieses Zitat verdeutlicht, wie Warhol die Welt um sich herum und auch seine eigene Person mit sehr speziellem Blick wahrnahm. Gopnik erzählt darüber hinaus vom Geigenunterricht der Warhol erteilt wurde und dass er ein miserabler Schauspieler war. Interessant daran ist, dass sich Warhol nichts aus seinen Unzulänglichkeiten machte, er beabsichtigte gar nicht perfekt zu agieren und durch einen akademisch geprägten oder sonst wie stilisierten Intellektualismus künstlerisch eingefärbter Art zu glänzen. Vielmehr kam es ihm stets darauf an, sich selbst und sein Machen neu zu erfinden, nie stehen zu bleiben, immer etwas Neues finden zu müssen: »Man muss etwas auf der Höhe der Zeit machen und was etwas anderes ist.«
Damit deutet Gopnik auch an, dass sich Warhol als Getriebener seiner eigenen Vorstellungen gefühlt haben muss. Idole hatten in seinem Leben aber dennoch Platz, so wie z.B. Jean Cocteau, Truman Capote und – zumindest bis zu einem gewissen Grad – Jean–Luc Godard. Im Besonderen begeisterte sich Warhol für den Freiheitsgedanken und das Ausprobieren jener Grenzen der Freiheit wie es auch in dem Film La Belle et la Bête (1946) von Jean Cocteau geschah. Auf sehr unterhaltsame Weise gelingt es dem Autor auch Künstlergrößen wie Pablo Picasso und Jean–Luc Godard mit den gestreiften Matrosenhemden die Andy Warhol und Edie Sedgwick trugen, zu verbinden.

Werbung New York Times (17. April 1955) für I. Miller Shoes. Illustration: Andy Warhol © Wikimedia Commons
Werbung New York Times (17. April 1955) für I. Miller Shoes. Illustration: Andy Warhol © Wikimedia Commons

Wahrhol liebte es geradezu sich mit anderen exzentrischen und extravaganten Menschen
zu umgeben. Er war von Hollywood fasziniert und eröffnete mit der »Factory« seine eigene Traumfabrik.
Erwähnenswert ist auch, dass Salvador Dalí und Andy Warhol New York zum Zentrum ihres gesellschaftlichen Lebens machten, wo sie sich laut Zeitzeugen Anfang der Sechzigerjahre auch zum ersten Mal begegneten. Trotz gegenseitiger Anerkennung war es aber eher eine Art Hassliebe, welche die beiden verband. Ebenso wird Warhol als Kleidersnob und als Schuhexperte beschrieben, was auch seine »15 Zeichnungen von Stiefeln, Pumps und Slippern« zeigen.
Schon 1949 zeichnete Warhol Schuhe, 1951/52 gelang es ihm sogar, dass seine Schuhzeichnungen in der Modezeitschrift Harper’s Bazar erschienen – in insgesamt 96 Ausgaben. Selbstverständlich werden in der vorliegenden Biografie seine bekanntesten Werke erwähnt wie die Three Marilyns, 1962 und die Siebdrucke von Campbell’s–Suppendosen, wie auch The Last Supper, 1986. Warhol wollte etwas machen, »das wirklich große Wirkung hat«, und so sagten ihm seine Gäste, er müsse etwas finden, »das fast jeder kennt«. Warhol (oder seine Mutter, darüber sind die Biografen uneins) begab sich daraufhin in einen Supermarkt und »kaufte jede Campbell–Suppe, die der Laden führte«. Hier zeigt sich erneut, dass der Mensch selbst und auch das Alltägliche als Kunstwerk das Bedeutendste für Warhol waren. Was auch die Tatsache unterstreicht, dass Warhol mit der Schauspielerin Edie Sedgwick ein Leben für und in der Öffentlichkeit führte.

Andy Warhol und Joseph Beuys in Neapel, April 1980 © Mimmo Jodice/Wikimedia Commons
Andy Warhol und Joseph Beuys in Neapel, April 1980 © Mimmo Jodice/Wikimedia Commons

Eigentlich war es eine Kunst ohne Kunst, zumindest ohne die bekannte Auffassung von Kunst. Kunst war nicht mehr elitär, herausgehoben und nur wenigen Auserwählten (auch intellektuell) zugänglich. Warhol hatte die Kunst als etwas Alltägliches neu erfunden. Er war der Voyeur par excellence, der seine Umgebung beobachtete. Da sich die aktuellen Kunststile nicht mehr nahe genug am Menschen orientieren, interessierte sich Warhol mehr für den Pop bzw. die Pop–Art. Denn: Die Pop–Art galt als Abbild des Menschen, des Menschlichen und der Allgemeinheit. Suppendosen und Coca–Colaflaschen zeigten das Verbindende und nicht das Trennende, das die hohe Kunst vermittelte.

Der Stil des Buches verdeutlicht dies und ist nie angestrengt kunstvoll oder hochgestochen, sondern informativ und mit jenem Schuss bitterem Humor angereichert. Jede Seite eröffnet eine neue Perspektive auf diese äußerst schillernde Figur der Kunstwelt, die ein Weggefährte als »neu erfundene Persönlichkeit« bezeichnete.
Dabei strahlte Warhol dennoch eine Natürlichkeit aus, die es ihm ermöglichte eben das Neue auszuprobieren und so z.B. seine berüchtigten Unterleibsbilder zu zeichnen. Darin zeigte sich einmal mehr die unbeschwerte Art, auch mit Homosexualität umzugehen.

Blake Gopnik portraitiert in seiner monumentalen Publikation einerseits Warhol als Romantiker – selbstverständlich ist er ein Romantiker in der Neuinterpretation des Andy Warhol selbst –, um andererseits die dunkle und problematische Seite seiner Persönlichkeit, die Exzesse und auch die Gewalt seines Umfeldes nicht auszusparen. Der Autor lässt nichts außen vor, sondern zeichnet das Fluidum der Freiheit, wie auch einer nicht immer nur latent lasziven Gewalt. Die Schattenseiten des so verstandenen »freien Lebens« werden dabei ebenso thematisiert, wie auch die Tat der radikalen Feministin Valerie Solana, die auf Warhol schoss und ihn lebensgefährlich verletzte.

Andy Warhol und Archie (1973) © Jack Mitchell / Wikimedia Commons
Andy Warhol und Archie (1973) © Jack Mitchell / Wikimedia Commons

Warum ist das Buch nun aber lesenswert?
Blake Gopnik gliedert seine Betrachtungen nach Jahreszahlen und so hat der/die Leser/in stets die Wahl mit welchem Jahr man sich beschäftigen möchte. Auch ist die Biografie keine Ansammlung von interessanten Anekdoten, sondern weist sich als Analyse einer Künstlerpersönlichkeit aus und bringt Fakten hervor, die auf eine Interpretation des/der Lesers/in warten. Und so zeigt sich in Gopniks aufwendig recherchiertem Werk einmal mehr, dass Kunst eben nicht von Können kommt, sondern von einer besonderen Fähigkeit mit den Themen der Zeit umzugehen.
Die Zeit war reif für einen Warhol und Warhol selbst glitt hinein in sein eigenes Abenteuer »Kunst« und zeigte, dass das Alltägliche – und sogar das Leben selbst – ein Kunstwerk, sein kann, wenn man es nur interessant inszeniert.


Warhol. Ein Leben als Kunst (Originaltitel: Andy Warhol. A Life As Art)
Autor: Blake Gopnik
C. Bertelsmann, München 2020
1232 Seiten
ISBN 978–3–570–10207–7

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