Ausstellungsbesprechungen

Blicke auf Europa. Europa und die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts.

Die Einheit Europas aus dem Geist der Kunst schaffen.

Heuer, am 25. März, feiert die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ihr fünfzigjähriges Jubiläum. Der Traum von einem politisch geeinten Europa nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg konnte in den »Römischen Verträgen« von 1957 niedergelegt werden. Spürt man zu Hause wenig von den Errungenschaften der EU, so öffnet ein Abstecher nach Brüssel manche Aussicht klarer. In diesem Jahr übernahm Deutschland den Vorsitz des EU-Rats, ein weiterer Grund, das Ereignis zum Jubiläum zu machen. Deutschland lässt es sich einiges kosten. Geschenk für Brüssel, die Bühne Europas, ist eine Kunstausstellung mit 150 Spitzenwerken der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts. Im ersten Moment fällt einem dazu nur die Frage ein: Wie? Deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts! Das sind doch lauter schwermütige Bilder: Landschaften in der Zerrissenheit zwischen  Seelennot und Wehmut, unerfüllten Hoffnungen und Sehnsucht nach fernen Ländern. Was hat das alles mit Europa zu tun? Wir werden eines Besseren belehrt. »Blicke auf Europa« ist ein Projekt so neu wie kühn und damit auch leitbildhaft für das Europa von heute.

Neu ist der Einfall, die Präsidentschaft der EU mit einem Kunstprojekt zu beginnen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hebt in ihrer Festrede zur Eröffnung der Ausstellung am 7. März, Qualität und Anspruch hervor. Mit ironischem Unterton erwähnt sie, dass u. a. die Caspar David Friedrich-Ausstellung in Hamburg kaum noch durch nennenswerte Leihgaben aus den deutschen Museen unterstützt worden sei. Aber für Brüssel, die Hauptstadt Europas, haben die »drei Generäle« (Generaldirektoren) der größten deutschen Museumsverbände Berlin, München und Dresden alles in die Wagschale geworfen. Was noch nie ausgeliehen oder auch nie für eine Ausstellung zusammengeführt worden sei, in Brüssel kann man das Beste an einem Ort sehen: die crème de la crème der deutschen Kunst. Allein von daher stellt die Präsentation im Palais des Beaux-Arts ein europäisches Ereignis dar. Das ist es aber nicht allein. Die Ausstellung, ein Meilenstein in der Öffnung traditioneller Kunstbetrachtung, führt vor, dass sich auch Kunstgeschichte auf europäischem Parkett bewegt und im Rahmen politischer Kontexte leistungsfähig ist.

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Die Ideenfinder Peter-Klaus Schuster, Reinhold Baumstark und Martin Roth vertreten eine These: Die Einheit Europas ist dem Geist der Kunst entsprungen. Geschenkt hat der Welt diese Wunschidee Novalis mit seinem Aufsatz »Die Christenheit oder Europa« (1799), einer religionsphilosophischen Programmschrift der Frühromantik, in der Novalis dafür plädiert, dass »Glaube und Liebe […] den derben Früchten, Wissen, Haben Platz« machen sollten. Nie wurde dieser Aufsatz richtig eingeordnet. Diese brillante Idee wird von Bernhard Maaz in ein Ausstellungskonzept umgesetzt, das bis ins letzte seiner zwölf Kapitel durchgefeilt ist. Der Vorstellung, Europa zu suchen, weil in Deutschland nichts Einigendes zu finden war, sind tatsächlich die besten deutschen Künstler wie auch die geistige Elite der Nation — fast alle wie in einem Trancezustand — gefolgt. Angefangen mit dem bayerischen Kronprinzen Ludwig, der bescheiden beginnen wollte mit der Einigung Deutschlands aus dem Geist der Kunst. Als er aber sah, dass diesem Vorhaben in der deutschen Kleinstaaterei dermaßen viel entgegenstand, wendeten mit ihm Kunstbegeisterte ihre Blicke von Deutschland ab und richteten sie auf Europa. Dort fanden sie, was Herz und Seele begehrte.

Man war mobil, man wanderte mit oder ohne Mäzen, fuhr mit Wagen oder ging zu Fuß in die Wunschländer, zu den Orten mit den großen Attraktionen. Man blieb dort oft jahrelang. In den Bildern haben sich erhalten: die staunenswerte Schönheit der Landschaften, die Schwindel erregenden Alpenpanoramen, die Endlosigkeit des Meeres, die dräuenden Gewitter über den Seen, die Wiesen mit Andachtsbildern, die Tierherden mit glücklichen Menschen, die Abenteuer auf den Wegen zu den Zielen, gesteigerter Sinn für das Fremde, die Ruinen und Schätze der Antike.

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Am Anfang steht die pure Sehnsucht. Das Szenario beginnt mit J.J. Winckelmann. Griechenland ist das Ziel seiner Gelehrsamkeit. Doch kommt er nie dorthin. Dennoch wird er zum Vater der modernen Kunstbetrachtung und universitären Altertumskunde. »Das Land der Griechen mit der Seele suchend« (J. W. v. Goethe) wird nach ihm zum Slogan des deutschen Bildungsbürgertums. Griechenland entdecken heißt bei Karl Friedrich Schinkel, Leo von Klenze und Peter von Hess der öden Gegenwart Sinn zu geben.

Andere zieht es nach Frankreich, um revolutionären Elan nach Deutschland zu bringen, so zum Beispiel Christian Gottlieb Schick. Deswegen lockt auch das Bildnis der selbstbewussten »Heinrike Danneker« (1802) mit ihrem Trikolore-Kleid in die Ausstellung. Aber auch die nachrevolutionären französischen Klassizisten Jacques-Louis David und Romantiker ziehen deutsche Maler an.  

Italien folgt. Nach Goethes »Italienischer Reise« und der Erfindung Italiens in der Kunstsprache, muss jeder Künstler dort gewesen sein. Friedrich Overbeck feiert in seinem Programmbild »Italia und Germania« eine Verlobung zwischen der deutschen und italienischen Kunst. Italien bewahrt seine Anziehungskraft über die Jahrhundertmitte bis hin zu den Deutsch-Römern Arnold Böcklin, Anselm Feuerbach und Hans von Mareés.  

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Die Schweiz erweckt Interesse wegen ihrer atemberaubenden Hochgebirgspanoramen von Philipp Hackert und Joseph Anton Koch. Wer das Geld für weite Reisen nicht hat, sinnt auf näher liegendes und macht daraus Kunst. Caspar David Friedrich entdeckt die Insel Rügen (damals dänisch) mit ihren Kreidefelsen. Norwegens schroffe Fjorde werden durch Clausen Dahl zu einem Bühnenbild für Europa. Ein anderes entsteht in Nordböhmen mit dem Riesengebirge. Nicht minder beeindrucken die Höhenzüge von C.D. Friedrich und Ludwig Richter, in denen der von Novalis beschworene Glaube an und die Hoffnung auf Europa ihre neuen Andachts- und Zufluchtstätten erhalten. Richters fröhliche Kinder, ob arme oder reiche, immer aber liebestreue Familien finden ihre Heimat in Böhmen. In der »Überfahrt am Schreckenstein« bei Aussig ist diese einst schöne, heute total zerstörte Elblandschaft, der europäischen Kultur bewahrt geblieben.   

Der Blick auf Belgien fasziniert, weil die großen Historienmaler Edouard de Bièfve und Louis Gallait im Begeisterungsrausch ihrer Nationenwerdung einen Stil hervorbringen, der die deutsche klassizistische Historienmalerei wie ein Kartenhaus zusammenfallen lässt. Belgien war die große Stunde für Adolph Menzel. Mit der Erneuerung der Historienmalerei betritt er die Bühne Europas. Es ist noch nicht so lange her, dass Menzel, der das 19. Jahrhundert in Gänze durchschreitet, als Europäer und nicht mehr nur als ein Preuße gesehen wird. Die Neugier deutscher Künstler richtet sich auf Spanien. Doch bleibt dieses Kapitel, obwohl fast in keinem Bild Don Quichote, Sancho Panza und Dulcinea fehlen, das Schwächste. Hier ließe sich nur etwas Besseres machen mit Grenzüberschreitung zur Musik und Literatur. Doch den Rahmen der bildenden Kunst sprengen die Ausstellungsmacher nicht.   

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Das gewohnte Bild vom deutschen Künstler des 19. Jahrhunderts wird also gründlich verrückt; die deutsche Kunst dieser Epoche erscheint in neuem Licht. Man ist geradezu sprachlos darüber, wie die Großen - Friedrich, Blechen, Runge, Leo von Klenze, Hess bis hin zu Adolph Menzel - als Wanderer zwischen den Welten die Idee von Europa vorweggenommen haben. Am Ende ihrer Eröffnungsrede beschwor Angela Merkel ihre Gäste geradezu mit der Mahnung, sich an das hohe, von Künstlern geformte Europa zu erinnern, anstatt sich im Alltag in Kämpfen um Verträge und Fußnoten zu verzehren.

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