Buchrezensionen

Das Polaroid-Projekt. Die Eroberung durch die Kunst, Hirmer 2017

Das Polaroid steht für selbst geknipste Erinnerungen an Urlaube und Feriennachmittag, an spontane Momente und vor allem private Momente. An die künstlerischen Möglichkeiten des Sofortbildes denk man dabei gemeinhin nicht. Das im Hirmer-Verlag erschienene Buch lenkt nun den Blick genau darauf. Stefanie Handke hat gestaunt.

Ich gebe zu, mit Polaroids hatte ich in meinem Leben wenig zu tun: meine Kindheitserinnerungen beschränken sich auf ein Ungetüm von Kamera, noch aus DDR-Zeiten, mit dem traditionell die Urlaubsbilder geschossen wurden. Irgendwann einmal erwarb ein Großvater eine gebrauchte Sofortbildkamera, wohl mehr aus Neugierde, die ein gelegentlich wurde, aber nicht so recht überzeugen konnte – freilich auch aufgrund des hohen Preises pro Bild. Und dann brach auch bald schon die Zeit der Digitalbilder heran. Dass Sofortbilder auch vielfältige künstlerische Möglichkeiten bieten, daran habe ich nie einen Gedanken verschwendet. Umso neugieriger war ich, als ich das Buch erstmals durchblätterte.

Und was man darin entdeckt, das kann sich in der Tat sehen lassen: Mehr als 300 Werke sind versammelt, die Bandbreite der Künstler reich von Andy Warhol über Helmut Newton bis hin zu Sibylle Bergemann. Man staunt, was mit Polaroids so alles möglich ist. Da entdeckt man etwa die an barocke Porträts erinnernde »Barbara« (1976) von Marie Cosindas, surrealistische Arrangements von Linda Lindroth »Untitled diptych (with springs)«, 1985) oder faszinierende Collagen wie María Magdalena Campos-Pons‘ »Finding Balance«, (2014) finden sich da, ebenso wie nachbearbeitete Polaroids wie die von Sheri Lynn Behr (»Over/under«, 1989). Bereits beim ersten Durchblättern wird also deutlich: das Polaroid bietet wie jedes andere künstlerische Medium auch zahlreiche Möglichkeiten.

Als Laie in Sachen Polaroid staunt man vor allem wie qualitätvoll die Sofortbilder dabei sein können. Details werden genau abgebildet, Filter ermöglichen ein ganz besonderes Licht, ja selbst Bewegungsabläufe lassen sich genau abbilden (William Wegman: »Stop Action«, 1999). Das erfordert freilich genaue Kenntnis der technischen Möglichkeiten, aber auch eine intensive Vorbereitung der Motive: Warten auf den richtigen Augenblick oder ein genaues Arrangement, das das Bild denn auch wirklich rechtfertigt. Denn im Gegensatz zum herkömmlichen Lichtbildverfahren gibt es bei der Sofortbildkamera keine Möglichkeit das eben gemacht Bild zu reproduzieren, da Negative fehlen – wenn man ein Motiv mehrfach haben möchte, muss man im richtigen Moment mit dem richtigen Licht- und Schattenverhältnis schlichtweg schnell sein. Nichtsdestotrotz finden sich im Buch aber auch Schnappschüsse, deren Ästhetik dann auch das Klischee erfüllt. Doch diese bleiben eine Minderheit, das Gros der Fotos sind aufwendige künstlerische Inszenierungen.

Begleitet wird das Ganze durch Essays von Fotografie-Experten sowie von einem zweiteiligen, fotohistorisch interessanten Überblick zur technischen Entwicklung der Sofortbildkamera mit Holz- und Wachsmodelle, Testkameras und mehr. Vorgestellt wurde das Polaroid-Verfahren vom Edwin Herbert Landerstmals 1947, die erste Kamera ein Jahr später. Damit war das erste Schnellentwicklungsverfahren auf dem Markt. Bereits früh bedachte die Firma Polaroid auch die künstlerische Dimension dieses fotografischen Verfahrens, denn schon 1949 wurde Fotograf Ansel Adams beauftragt die Filme zu erproben. Überhaupt wurden insbesondere ab den 1950er Jahren immer wieder Kameras und Filme Fotografen und Künstlern zur Verfügung gestellt, es gab Ausstellungs- und Unterstützungsprogramme für Künstler und Fotografen wurden als Berater ins Boot geholt. Kein Wunder also, dass sich im Buch Aufnahmen fast aus der gesamten zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute finden. Das berühmte rechteckige Format mit dem breiten weißen Rand unten entwickelte die Firma übrigens in den 1960ern; davor und danach waren aber stets auch andere Formate in Gebrauch und möglich – bis 60 cm breite Bildformate wurden entwickelt.

Mit Blick auf die heutige Nutzung des Mediums (Digital-)Fotografie scheint insbesondere Christopher Bonanos‘ Essay spannend, der »Polaroidfotos als analoges soziales Netzwerk« untersucht. Denn bereits Edwin Land warb für sein Verfahren mit der Vorstellung, dass fotografieren leichtfallen sollte und dadurch immer und überall stattfinden konnte. Die Parallele zur heutigen Realität braucht man sicher nicht eigens zu suchen. Insbesondere die Vision trotz der Rolle des Fotografen Teil des Geschehens zu sein kommt uns bekannt vor. Ja, Bonanos entdeckt selbst darum einen Polaroid-Vorläufer, wenn es um das »Teilen« von Bildern in sozialen Netzwerken geht: »Weil Polaroidkameras direkt ein Bild lieferten, konnte der Fotograf es dem Porträtierten überreichen; beide beugten sich darüber, sahen es sich entwickeln, kamen ins Gespräch und redeten über das fertige Foto.« Genau das findet heute im digitalen Raum statt, wenngleich mit einer ungleich größeren Anzahl beteiligter Personen. Eine faszinierende Parallele, die der Autor hier aufzeigt. Ja, und auch der Hang zur Selbstinszenierung findet seine Vorläufer im Sofortbild, wie Rebekka Reuter aufzeigen kann.

Heute hat das Polaroid freilich den Hauch einer Kuriosität. Analog? Ach… Aber vielleicht macht genau das seinen Reiz für Künstler wie Ellen Carey, Andrea Wolf, Chuck Close oder S.B. Walker aus so wie andere Fotografen mit noch älteren Techniken experimentieren. Das Polaroid stellt wie jede künstlerische Technik ganz eigene Anforderungen an den Fotografen. Konsumprodukt ist die Sofortbildkamera freilich nicht mehr, sie ist ein Medium des fotografischen Experiments – wohl auch dank ihres anachronistischen Flairs. Dass sie dabei schon früh künstlerisch angewandt wurde und unterschiedlichste Ergebnisse von experimentell bis konventionell, von abstrakt bis figurativ hervorbrachte, das beweist das reich bebilderte Buch wahrlich. Seine Stärke liegt tatsächlich darin, die Technik Edwin Lands als verbindendes Element der gezeigten Künstler zu nehmen und keine Gattung, keine Epoche oder ähnliches. So breitet sich vor dem Leser oder eher Betrachter ein breites fotografisches Panorama aus, das an dieser Stelle wärmstens zur eigenen Lektüre wie zum Verschenken an Fotofans empfohlen werden kann.

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