Ausstellungsbesprechungen

Die deutsche Avantgarde um Adolf Hölzel - Baumeister, Schlemmer, Ackermann ..., Städtisches Museum Engen + Galerie, bis 29. Mai 2011

Für die deutsche Avantgarde steht wohl kein Kunstzentrum so stark wie der Blaue Reiter und die Brücke. Nur wenigen ist der Künstlerkreis bekannt, der sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts um Adolf Hölzel (1853-1934) bildete. Hölzel gilt als Vorbereiter der Moderne und der Abstraktion, er verstand es das künstlerische Potenzial seiner Schüler zu fördern, ohne ihre Individualität einzuschränken. So entstand eine sehr lebendiges Kunstzentrum, dem nun zwei Ausstellungen gewidmet sind, mit denen sich Günter Baumann näher beschäftigt hat.

Die liebe Gewohnheit, dass man zu Jubeljahren eines Künstlers große Ausstellungen erarbeitet, möchten wir nicht missen. Als hochgradig erfreulich muss man es jedoch bewerten, wenn sich gleich zwei Ausstellungen und zudem etliche Sonderveranstaltungen innerhalb einer Region eines Künstlers annehmen, der allein kraft seines Werkes den Anlass dazu gibt. Adolf Hölzel ist einer davon: Er hat keinen runden Geburtstag und keinen feierwürdigen Todestag. Dass Engen und Spiez jeweils eine unterschiedlich gewichtete Sonderschau anbieten, heißt auch nicht, dass hier eine zeitlose Berühmtheit Audienz hält (der gleichaltrige Vincent van Gogh etwa braucht keine Motivation, um gezeigt zu werden – bei ihm wäre schon der Name Programm). Viel besser: Im Städtischen Museum Engen und in der Schloss Spiez glänzt das Werk eines wichtigen, aber nicht im Zentrum der Kunstgeschichte stehenden Meisters, der in vielen seiner Facetten noch entdeckt werden kann. Das ist ein Glücksfall in der Ausstellungslandschaft.

Während jeder die Kunstzentren in München (Blauer Reiter) und Dresden/Berlin (Brücke) kennt, ist die dritte Hochburg der Moderne in Deutschland um Adolf Hölzel (1853–1934) weitgehend unbekannt, obwohl die Namen seiner Schüler Weltgeltung haben. Hölzels großartige pädagogische Leistung lag darin, diesen Malern, Glasfenstergestaltern und Kunsthandwerkern freien Lauf zu lassen, und in der Erkenntnis, dass man nicht Lehrender allein, »sondern ein ewig Lernender« sein sollte. Engen präsentiert nun u. a. die Avantgarde-Künstler Max Ackermann, Willi Baumeister, Ida Kerkovius, Oskar Schlemmer und Hermann Stenner. In Spiez stehen die Schweizer Schüler des Stuttgarter Professors, z. B. Otto Meyer-Amden, Johannes Itten oder Camille Graeser, auf dem Programm. Wenigen ist bekannt, dass sie alle durch die akademischen Klassen von Hölzel gingen. Die fast sträfliche Unterschätzung, wenn nicht sogar Missachtung der inspirierenden Wirkung Hölzels lag vielleicht wirklich in der persönlich veranlagten Bescheidenheit begründet: Zum einen sah er sich nicht als Maßstab seiner eigenen Lehre, entwickelte sich vielmehr selbst an der Stuttgarter Kunstakademie weiter, die ihn keineswegs aufgrund seiner letztlich radikal neuen Theorie berufen hatte; eher im süddeutschen, durchaus bodenständigen Realismus – konkret der Dachauer Schule – verhaftet, machte er sich nach und nach vom Abbild frei und leitete aus dem zunehmend autonomen Zusammenspiel von Farbe und Form seine Theorie ab. Er sah sich wohl nicht als den vorbildhaften Pionier an, der er allmählich geworden war. Zum anderen galt für ihn die Devise, »jeden Tag von vorne an(zu)fangen«, was für ihn selbst wie für seine Schüler galt, denen er so auf Augenhöhe begegnete. Ein nahezu geflügeltes Wort, das den Umgang mit anderen und die eigene Neugier für neue Ansätze beschreibt, galt etwa Ida Kerkovius: »Sie macht meine Lehre, aber komisch, sie macht ganz andere Sachen.«

In der Tat kann man aus dem Werk von Hölzels Schülern die auf ihn zugespitze Schule nicht erkennen, verbindende Elemente wie im Blauen Reiter oder in der Brücke-Kunst sind nicht greifbar, und doch hat jeder Schüler für sich dem Lehrer unendlich viel zu verdanken: Er vermochte es, deren Talente freizulegen und zu fördern, war er doch mindestens so überzeugter Pädagoge wie Künstler. Intuitiv schienen die angehenden Jungkünstler das zu spüren, denn Hölzel konnte nicht nur Studenten aus der Region an sich binden, sondern hatte auch einen Zulauf aus der weiteren Region – wie die Spiezer Schau zeigt, die sich auf die Schweizer Künstler in Hölzels Umfeld beschränkt. Der Meister wie die Schüler blieben Grenzgänger zwischen der figurativen und abstrakten Kunst, wobei sich neben Hölzel besonders Ackermann, Baumeister, Graeser und Itten in die Gefilde der Ungegenständlichkeit wagten – die beiden Letztgenannten sicher am nachdrücklichsten, Itten zumal fand zu einer eigenen theoretischen Sprache, die mit den Bauhaus-Ideen verwandt war. Das Gros der Maler folgte jedoch dem konservativen Grundkonsens Hölzels, der aber entschieden vorwärts gewandt ist: »Das Neue das über die Grenzen des Alten hinausgeht. Um es zu begreifen muss man das Alte beherrschen und verstehen was das Neue will.«

Die Offenheit, die Hölzel im Umgang mit den Schülern pflegte, verwischte freilich auch die Konturen einer ›Schule‹, die Hölzel kaum im engen Sinn für sich in Anspruch nehmen konnte. Da er die Position einer autoritativen oder ideologisch prägenden Mitte einnahm oder seine Anhänger auf eine Idee einschwor, konnte es auch keine erkennbare Gruppenbildung geben. Im Vergleich dazu hatten die Münchner und Dresdner bzw. Berliner sowie Weimarer bzw. Dessauer Modernen eine ideelle Bindung, die sie kunsthistorisch gesehen stark (und bekannter) machten – andrerseits zerbrachen die Gruppen an unterschiedlichen Führungsansprüchen und an der zeitgebundenen Ausrichtung. Die Hölzel-Schüler gingen alle eigene Wege, rieben sich auch an dem Lehrer, reagierten auf die Zeitläufe. So wirkte Hölzel indirekt auf diese oder andere Weise weiter als viele Zeitgenossen, auch wenn es nicht konkret zu messen ist, ob sein Einfluss letztlich größer war als der Einfluss der ungleich bekannteren Maler Kandinsky oder Kirchner.

Die beiden Ausstellungen öffnen den Blick auf Hölzel, und sie erlauben eine Neueinschätzung von Malern, die nicht nur im süddeutschen Raum feste Größen sind – es sei nur noch einmal an Willi Baumeister und die oben schon genannten Künstler erinnert. Darüber hinaus nutzen sowohl das Spiezer wie das Engener Museum die Chance, diesen bedeutenden Namen weniger bekannte Künstler an die Seite zu stellen. In Engen begegnet man etwa noch dem Stilpluralisten Heinrich Eberhard, der fast im Verborgenen gebliebenen Maria Hiller-Foell, die beachtenswerte Kirchenfenster schuf, Josef Eberz mit teils schwerblütigen Bildern oder den ›abstrakten‹ Landschaften William Straubes. Der 1914 erschreckend jung im Krieg gestorbene Hermann Stenner wurde in den letzten zwei, drei Jahren durch etliche Ausstellungen in der vorderen Reihe der südwestdeutschen Moderne etabliert.

Unter den Schweizer Schülern sind neben den wichtigen, bereits genannten Künstlern auch(Wieder-) Entdeckungen zu machen. Dazu gehört Hans Brühlmann, der auch sehr früh, durch seine eigene Hand, starb, oder Louis Moilliet, der 1962 auf der Biennale in Venedig einen späten Ruhm feiern konnte, sowie Alfred Heinrich Pellegrini, dessen Arbeiten eine große symbolische Tiefe haben.

Wichtige Informationen:

Vom 9. Juni bis 12. September 2011 ist die im Text erwähnte Ausstellung »Auf eigenen Wegen – Adolf Hölzel und seine Schweizer Schüler« im Schloss Spiez am Bodensee zu sehen, den Termineintrag finden Sie am Ende dieser Ausstellungsbesprechung.

Die Ausstellungen werden von einer Lesereihe zum Schaffen Adolf Hölzels begleitet, die im Stuttgarter Raum stattfindet. Den Anfang machte Mitte April die Württembergische Landesbühne, die in der Staatsgalerie Texte aus dem Nachlass des Künstlers (Adolf-Hölzel-Stiftung) und aus dem Archiv der Staatsgalerie präsentierte. Thema des Vortragsabends war Hölzels Zeit in Stuttgart. Weitere Termine der Reihe finden Sie am Ende dieser Besprechung.

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