Ausstellungsbesprechungen

Die Hoffnungsträgerin - OPUS 20 in Schloss Arenberg / Salzburg

OPUS 20 präsentiert die Künstlerin Martina Stock die Fortsetzung ihrer zuletzt im Sommer 2021 in der Kollegienkirche gezeigten begehbaren, audiovisuellen Installation 100 FEMALE VOICES mit einem neuen Mix von Portraits bedeutender Künstlerinnen aus der Salzburger Festspielgeschichte. In einer zu Ostern sich wiederholenden Live-Performance mit Harfenspiel und Malerei präsentiert sie sich in ihrer institutionellen Einzelausstellung noch bis zum 1. Juli 2023 im Salzburger Schloss Arenberg. Ein außergewöhnliches Projekt, das sich der renommierte Kunstkritiker Sebastian C. Strenger für uns anschaute und zu der er sagt: Eine Ausstellung, die über Hoffnung und Hoffnungsträgerinnen in der Kunst erzählt und Mut macht.

© SCS Bildarchiv, Berlin
© SCS Bildarchiv, Berlin

Spricht man mit der Pongauer Künstlerin Martina Stock, zitiert sie Gerhard Richter zur documenta 7, bei der dieser sagte: „Die Kunst ist die höchste Form von Hoffnung“. Das gefiel der Künstlerin, gleichwohl fragte sie sich aber auch, stimmt das eigentlich? Denn das würde ja auch bedeuten, dass Politik oder auch Kirche diesen Platz nicht einnehmen können. Aber wie sagt man so schön: Die Kunst steht quer zu den Themen und die sind natürlich der Tod, die Zukunft und die Angst um das wirtschaftliche Wohlergehen. Das alles sind Themen, die schwierig sind. Die es aber aktuell bei Wahlen den Politiker:innen auch schwer machen, denn keiner kann in die Zukunft schauen und doch gibt es zahllose Reden von Politiker:innen und Redenschreiber:innen. Wo bleibt da die Hoffnung?

Aktuell scheinen aber keine von diesen Reden zu passen, wie der Historiker Michael Stürmer kürzlich einem Radiosender im Interview sagte. Und die Ursache dafür sah er nicht zuletzt darin, dass man den Menschen bisher immer nur das Gefällige zeigen wollte! Viele Themen, die wir aber heute erleben, kamen dabei nicht vor, weder das Sterben als Teil des Lebens, noch der Klimawandel mit den Naturkatastrophen und zuletzt die Pandemie als gefühlte gesellschaftliche Zeitenwende. Nun sind aber diese Themen eine unabwendbare Wirklichkeit. In der Malerei waren sie dies schon immer, wie Beispiele unter anderem aus der christlichen Ikonographie oder Künstler-Portraits und Selbstportraits in den Kompositionen allegorischer Figuration, in gemalten Räumen und auch in der feministischen Kunst quer durch die Jahrhunderte zeigen. Und genau an dieser Stelle setzt die Künstlerin Martina Stock an. Mit OPUS 20 verschmilzt sie Malerei und Musik zu einem Gesamtkunstwerk, dass sie den oft nicht sichtbaren Frauen mit deren künstlerischen Beiträgen widmet. Zugleich ist es aber auch ein Statement für die berühmten am Programm der Salzburger Festspiele beteiligten Künstler:innen, deren Kunst wie ein Wimpernschlag der Geschichte, auch nur für kurze Momente aufscheinen konnte.

© SCS Bildarchiv, Berlin
© SCS Bildarchiv, Berlin

Begonnen während der Pandemie mit ihrer begehbaren Sound-Installation mit Malerei 100 FEMALE VOICES ging es ihr dann auch nicht um das Belanglose. In solchen Zeiten, wo es um die Existenz geht, wo es um die Zukunft geht, um das Fortkommen unserer Kinder geht, sind Werbetexte mit kaum inhaltlicher Tiefe nicht gefragt. Stock fragte sich daher: Kann die Kunst hier mehr liefern? Sie kam zu dem Schluss: Die Kunst mit ihren Künstlerinnen hat es für viele der unbeantwortet gebliebenen Fragen immer schon verstanden, Antworten auf die essentiellen gesellschaftlichen Probleme zu finden und die Hoffnung frei Haus gleich mit zu liefern oder wie der soeben verstorbene Medienkünstler Peter Weibel sagte: „Die Kunst versteht Türen zu öffnen und vor allem die, die wir nicht kennen“. Insofern kann man Stocks Performances mit Harfenspiel und Malerei auch als Versuch der Künstlerin betrachten, im Zeitalter von Me Too 2.0 weiterzugehen und sich mit den Persönlichkeiten dahinter zu beschäftigen.

Denn formal lohnt immer auch der Blick auf die von Künstler:innen gemalten Selbstbildnisse, die nicht ausschließlich als Spiegel der Zeit, als dokumentarisch biografische Momentaufnahmen gewertet werden dürfen, sondern auch ein Ausdruck von Hoffnung sind. Quasi Künstlerinnen als Hoffnungsträgerinnen im Bild! In ihrem jetzt uraufgeführten Gesamtkunstwerk verbindet sie das Leben und die Bedeutung von 20 bedeutenden Künstlerinnen aus den Bereichen Gesang, instrumentale Musik, musikalische Leitung, Komposition, Schauspiel, Literatur sowie Kostüm und Bühnenbild zu ihrem neuen Opus 20. Ihre Klangportraits von Sängerinnen (Annette Dasch, Elīna Garanča, Federica Lombardi, Christa Ludwig, Anna Netrebko, Elisabeth Schwarzkopf), Schauspielerinnen (Verena Altenberger, Senta Berger, Isabel Karajan, Birgit Minichmayr, Liselotte Pulver), der Geigerin Anne-Sophie Mutter, der Regisseurin Margarete Wallmann, den Dirigentinnen Laurence Equilbey, Mirga Gražinytė-Tyla, der Komponistin (Kaija Saariaho), sowie von Malerinnen, Literatinnen und Tänzerinnen (Xenia Hausner, Ingeborg Bachmann, Elfriede Jelinek, Grete Wiesenthal) öffnen dabei neue Assoziationsräume für ihre Betrachter:innen.

© SCS Bildarchiv, Berlin
© SCS Bildarchiv, Berlin

Vergleichsweise lohnt dabei der kunsthistorische Blick auf die Selbstportraits Rembrandts. Rund 80 bis 90 Portraits hat Rembrandt über sich in einem Zeitraum von etwa 40 Jahren angefertigt. Sie geben von Anfang 20 bis zu seinem Tod im Alter von 63 Jahren einen einzigartigen Einblick in das Leben, den Charakter und die psychologische Entwicklung Rembrandts als Mensch und als Künstler. Während seine frühen Selbstportraits den Aufbruch in die Öffentlichkeit, ihn als gefeierten und stark umworbenen Malerstar flämischer Kunst des 17. Jahrhunderts zeigen, entstanden nicht nur solche, die nur ein Leben des Erfolgs darstellen, sondern auch die des Scheiterns. Seine letzten von ihm bekannten Portraits fertigt er nachdem sein Haus und sein Besitz nach seiner Konkursanmeldung versteigert worden waren.

Portraits und Selbstportraits sind also auch als Ausdruck von Hoffnung mit allen Höhen und Tiefen des Lebens, dargestellt im Gesicht des Malers oder der Malerin. In Analogie finden sich auf Schloss Arenberg20 bedeutende Frauen aus den verschiedenen künstlerischen Bereichen, die im Zeitraum von mehr als 100 Jahren die Kunst in Salzburg und darüber hinaus beeinflusst und gelenkt haben. Hier ebenso in den unterschiedlichen Stadien ihres Lebens, wie sozialer und künstlerischer Stellung. Aus diesem Grund schrieb die Künstlerin auch zu den 20 gemalten Portraits der Künstlerinnen eine begleitende Partitur. Auch hier: Das Portrait, übrigens immer schon eine Vorwegnahme des heutigen Selfies, dass Freunde, mit dem Smartphone verschickt, schnell mal darüber in Kenntnis setzen soll, wie es einem geht, um Hoffnung auf ein Wiedersehen zu geben.

Aber was können Selbstbildnisse oder Portraits noch sein und was bedeuten diese für die sogenannte feministische Kunst? Allerorts versucht man heute durch Auswirkungen der sogenannten Me-Too-Bewegung nachzuholen, was in den Werken der feministischen Kunst von jeher Anliegen seit Jahrzehnten war. „Das Sichtbarmachen der ärgerlichen Momente“, wie die auch in OPUS 20 vertretene Malerin Xenia Hausner sagte, in denen sie verstanden habe, dass ein stereotypes Vorurteil die Männer absolut begünstigt. Und dass das Pendel, nach ihrer Auffassung, jetzt in die andere Richtung schwingt, „ist nur recht und billig“. Wie sie sagt, male sie seit Jahrzehnten hauptsächlich Frauen; bei ihr spielen sie aber alle Rollen und stehen für alle Genderzugehörigkeiten, auch für die Männer!
Ausgangspunkt für Hausner war die Frage: Wie musste sich damals ihre Mutter ihrem Mann gegenüber noch so ohnmächtig vorgekommen sein, um gleich darauf den Entschluss zu fassen und zu erklären: Sie wollte nie so abhängig sein wie ihre eigene Mutter. „Es ist ja so! Auf der Akademie sind so viele Mädchen wie Burschen, so viel Frauen wie Männer, manchmal sogar mehr Frauen. Aber im Beruf haben sich nur ganz wenige durchgesetzt. Durch diesen Druck der Doppelbelastung, dem meistens nur Bildungsbürger oder wohlhabendere Frauen standhalten, wird das Klischee immer noch eingelöst – Frauen zu Haus und die Männer machen Karriere.“

© SCS Bildarchiv, Berlin
© SCS Bildarchiv, Berlin

Sie habe als junge Frau während ihrer Theaterarbeit für das Bühnenbild auch all diese Klischees erlebt, gibt Hausner an. „Vom im Theater noch auf den Hintern klopfen und der Frage, wird sie das als Frau technisch können, all diese langweiligen Vorurteile! Ich habe mich damals komischerweise nie als Opfer gefühlt, sondern habe das weggeputzt, irgendwie immer gedacht, Volltrottel, und bin weiter! Und lassen Sie mich dazu eines sagen: Ich fühle mich all diesen Künstlerinnen verbunden, denn mein Kosmos ist weiblich! Zudem sind meine Sammler total unterschiedlich, jedenfalls keine ausgesprochenen Feminist:innen. Aber was ist schon eine Feministin? Die Frage klingt schon so überholt und dies seit den 1960er Jahren“. Für Stock ist angesichts ihrer Künstlerkollegin klar: „Jede Frau hat heute den Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben! Und davon handeln die Bilder der KünstlerInnen, die Sie hier sehen und durch meine Musik nachspüren können. Sie sind der Hoffnungsträger und das Manifest für ein selbstbestimmtes Leben der Frau und haben mich hier und heute zu meinem neuen OPUS 20 inspiriert.“

In kuratorischer Betreuung der Direktorin der Albertina modern, Angela Stief, ordnet diese das Projekt ein: „Martina Stock, die mit Rakel und Sieb malt, schafft ein reiches Beziehungsgefüge, das zwischen Vergangenheit und Gegenwart oszilliert und Raum und Zeit multisensorisch zusammenführt. Die Rücken an Rücken positionierten Werke verbinden das fotografische Abbild mit der abstrakten Fiktion und vermitteln eine starke Allianz von Frauen. Dieses als Gesamtkunstwerk angelegte Ausstellungsprojekt will keine weibliche Ästhetik definieren, sondern entwirft ein vielfältiges Narrativ mit zahlreichen Brüchen und Spannungen, das mittels Porträts, Zeit und Zeiten abbildet, reflektiert und revidiert. Geschichte aus einer anderen Perspektive zu erzählen, heißt auch Fragen zu stellen.“

© SCS Bildarchiv, Berlin
© SCS Bildarchiv, Berlin

Und so bedient die Künstlerin heute mit ihren Klang-Installationen und Werken in internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen ein weltweites Publikum. Dabei ist Grundlage für ihre künstlerische Arbeit, die bei Stock seit ihrem siebenten Lebensjahr andauernde Beschäftigung mit dem Instrument der Harfe, die sie seit mehr als 15 Jahren in klanglichen Kompositionen mit ihrer Malerei verbindet. So entstehen zu Neo-Klassik, Neuer und elektronischer Musik informelle Bildwerke, die ihre Umsetzung in Acryl auf Leinwand finden und dabei im musisch performativen Produktionsprozess künstlerisch referentiell durch die Rakelmalerei Gerhard Richters und die Siebdruck-Malerei eines Sigmar Polkes geprägt sind. Beide sind Gründer des Kapitalistischen Realismus, einer Kunstrichtung, die sich einerseits wie die Pop Art auf den Alltag bezog und andererseits als eine ironische Abwandlung des Sozialistischen Realismus verstanden werden wollte. Wie bei diesen Künstlern, so entstehen Stocks Arbeiten zugleich immer auch im Kontext mit scheinbar zufälligen Farbexperimenten, die darauf ausgelegt sind, den Bildträger als feststehende Einheit aufzulösen und die Bildebenen zu vervielfachen.

Die Ausstellung OPUS 20 wie auch der Veranstaltungsort Schloss Arenberg in Salzburg setzen einen besonderen Rahmen für ein brandaktuelles Thema. Ohne dass es der Künstlerin bewusst sein dürfte, hat sie mit ihrem fortgesetzten Großprojekt so ganz nebenbei der Stadt Salzburg ein fortschrittliches Gütesiegel verpasst. Sind doch ihre Werke ideale Botschafter für ein internationales Publikum, Salzburg nicht nur als Ort der Begegnung und als Ort der Künste wahrzunehmen. Nein, mehr noch! Salzburg hat geradezu (vor-)bildhaft bewiesen, dass es Künstlerinnen immer schon auf Augenhöhe gesehen und mit den seit mehr als 100 Jahren bestehenden Strukturen einer patriarchalen Gesellschaft auch in der Kunstwelt immer schon gebrochen hat. So sollte es überall sein und das macht Hoffnung.


Performance mit Musik & Malerei der Künstlerinnen
Samstag, 8. April 2023 | Beginn 11 Uhr
ORT Schloss Arenberg | Arenbergstraße 10, 5020 Salzburg
Noch bis zum 1. Juli 2023
ÖFFNUNGSZEITEN Donnerstag: 18:00 - 20:00 | Samstag und Sonntag: 10:00 - 18:00
EINTRITT FREI

Erschienen ist ein Katalog mit CD-Tonträger und Textbeiträgen von André Podschun, Angela Stief, Martina Stock und Christian Wallisch-Breitsching.

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