Meldungen zum Kunstgeschehen

Xenia Hausner zur 60. Biennale in Venedig

Hausners Venedig-Zyklus behandelt das diesjährige Thema der Fremde. Ein Text von Sebastian C. Strenger.

Xenia Hausners Bild CAGE PEOPLE von 2014, Copyright: Studio Xenia Hausner
Xenia Hausners Bild CAGE PEOPLE von 2014, Copyright: Studio Xenia Hausner

Zur 60. Kunstbiennale in Venedig gibt die Ausstellung „Stranger Things“ der österreichischen Künstlerin Xenia Hausner in der Galerie Patricia Low noch bis zum 9. Juni 2024 ihr Debüt. 15 Skulpturen und Gemälde zeigt die Künstlerin am Canale Grande vis-à-vis zum Palazzo Grassi bei Patricia Low und verhandelt dabei die geopolitischen Themen unserer Zeit wie vornehmlich Migration und Exil.

Damit greift die Künstlerin den politischen Diskurs der diesjährigen Biennale in den Giardini, dem Arsenale und an weiteren Orten der Lagunenstadt auf, zu dem in den kommenden sieben Monaten mehr als 800.000 Besucher:innen erwartet werden. Hausners Werke sprechen dabei in der gleichnamigen Ausstellung über die Erfahrung der Fremdheit, ebenso wie mit „Stranieri Ovunque - Foreigners Everywhere“ (Fremde überall) die Biennale sich diesen Themen zuwendet.

Xenia Hausners Skulptur ATEMLUFT mit der Arbeit DOUBLE DIP (re.), Copyright/Foto: SCS Bildarchiv, Berlin
Xenia Hausners Skulptur ATEMLUFT mit der Arbeit DOUBLE DIP (re.), Copyright/Foto: SCS Bildarchiv, Berlin

„Wurzellosigkeit und Unzugehörigkeit bestimmen meine Kompositionen. Es ist nicht die Migration im tagesaktuellen Sinn, sondern spiegelt das Nichtankommen heutiger Tage und aller Genderzugehörigkeiten wieder. Denn damit bin ich vertraut“, so die Künstlerin über ihre neuen Venedig-Zyklus. Nach ihrem zuletzt in der Albertina Modern gezeigten Werkblock „Exiles“ zu den weltweiten Flüchtlingsbewegungen im Jahr 2015 holt sie nun wieder das tagesaktuelle Geschehen ambivalent in ihre Bilder.

Während die Künstlerin mit „Double-Dip“ den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft in ihrer Öl- und Acryl-Malerei beschreibt, zeigt sie in ihrer Komposition deren Zerrissenheit, gleichfalls mit dem desolaten Zustand der Weltwirtschaft. Und so zeigt die auf den ungewöhnlichen Bildträger gebrachte Malerei symbolhaft das Auf- und Ab im titelgebenden Konjunkturverlauf, bei dem die Volkswirtschaft nach überstandener Rezession während der folgenden Aufschwungphase an Fahrt verliert und erneut in die Rezession abtaucht.

Hier der Auslöser eines Moments, der für viele Menschen in ihrem täglichen Leben mit großen Anstrengungen verbunden ist und die Protagonist:in im wahrsten Wortsinn in zentraler Perspektive kopflos erscheinen lässt – ein Statement der Künstlerin auf die Herausforderunge heutiger Zeit. Gleichwohl knüpft sie motivisch an ihre Züge, Bahnhöfe und Bahnsteige als Orte des (Nicht-) Ankommens an, indem sie in Analogie dazu ihr Motiv an die Reling eines Bootes in der Lagunenstadt verlegt.

Xenia Hausner_Deep Water von 2024, Copyright: Studio Xenia Hausner
Xenia Hausner_Deep Water von 2024, Copyright: Studio Xenia Hausner

Wie in vielen ihrer Werke lässt die Ambivalenz der Szene auch hier die Betrachter:innen nicht erkennen, ob Gewalt oder Hilfe, Hoffnung oder Ausweglosigkeit im Spiel ist, wie auch im Gemälde „Deep Water“. Die Künstlerin scheint hier mit dem Aphorismus „Stille Wasser sind tief“ zu spielen und wendet die augenscheinliche Idylle Venedigs mit seinen Booten zum von Menschen und Wirtschaft gemachten Klimawandel. Als Antwort wirft sie dem Wasser augenzwinkernd kurzerhand einen Rettungsring malerisch zu. Im Caspar-David-Friedrich Jahr der Deutschen Romantik gleichfalls eine Geste, die auch das spirituelle Verhältnis von Fremde im Verhältnis zwischen Mensch und Natur hinterfragt, so wie Hausners Gemälde „Pieta“ sich als Neuinterpretation des Madonnenbildes mit der Silhouette eines barocken Rahmens entpuppt. Die sonst fürsorgliche aber auch religiöse Szene eine Mutter zu ihrem Kind verlegt sie kurzerhand in eine hippe Konsumgesellschaft, die Wunden bekommen hat.

Blick auf die Großskulptur von Xenia Hausner in der Kulturhauptstadt Europas im österreichischen Ischl, Copyright: Xenia Hausner, Foto Thomas Bakos
Blick auf die Großskulptur von Xenia Hausner in der Kulturhauptstadt Europas im österreichischen Ischl, Copyright: Xenia Hausner, Foto Thomas Bakos

Allegorisch sind dies ebenfalls die Themen, die Hausner in ihren Skulpturen verhandelt und für die sie erstmals auch in größerem Maßstab aus Mixed Media mit Polyurethan sowie polierter und patinierter Bronze und Aluminium für ihren Venedig-Zyklus einen Werkblock geschaffen hat und der als Ergänzung im Dialog zu ihrer figurativen Malerei steht. Während die Skulptur „Spill“ hier den durch Teer verklebten und totgeweihten Vogel als Skulptur auf dem Haupt eines Menschen im Rettungsring erscheinen lässt, liefert die Künstlerin in Venedig in kleinerem Massstab auch bereits den Blick auf ihre Portrait-Skulptur „Atemluft“, die Hausner auf Einladung der Kulturhauptstadt Europas 2024 jüngst im österreichischen Ischl als Großskulptur in exponierter Lage in dem Kurort im Salzkammergut aufstellen ließ.

Xenia Hausner Werke ZONE A (lks.) und SPILL (re.) in Venedig, Copyright/Foto: SCS Bildarchiv, Berlin
Xenia Hausner Werke ZONE A (lks.) und SPILL (re.) in Venedig, Copyright/Foto: SCS Bildarchiv, Berlin

Der Biennale-Claim „Fremde überall“ wendet sich in Hausners Venedig-Zyklus ins Befremden. Befremdliches Verhalten gegenüber Mensch und Natur gehört für Hausner ebenso dazu, wie Artikel 3 der UN-Menschenrechtscharta mit dem Recht jedes Menschen auf Leben, Freiheit und Sicherheit. Den ethischen Umgang mit Menschenwürde beschreiben daher auch ihre aktuellen Bilder „For Women only“ und „Zone A“. Während „For Women only“ das Motiv indischer Züge in der Separierung von Zugabteilen aufgreift, in denen Genderzugehörigkeit als präventive Massnahme gegenüber sexueller Gewalt gegen Frauen ihre Gültigkeit erhält, zeigt „Zone A“ synonym die unterschwellige Gewalt an Frauen, die sich bei Hausner medizinischen Untersuchungen unterziehen müssen, während der Betrachter des Bildes auf der anderen Seite des Zauns voyeuristisch dabei zusieht. In der Unfreiheit der Frauen im Motiv liegt auch die Beschäftigung mit den aktuell kriegerischen Konflikten, in denen brutale Gewalt gegenüber Frauen tägliche Realität erlangt, wie derzeit in den Angriffkriegen Russlands gegen die Ukraine sowie der Hamas gegenüber Israel am Gaza-Streifen.

Dabei nutz Xenia Hausner für ihre Bildfindungen oft Bilder wie auch bei „Floating“, die uns durch die digitalen Medien im kollektiven Gedächtnis geblieben sind und die die Künstlerin vorab in räumlichen Settings mit Modellen aufwendig rekonstruiert, um diese anschließend mit Öl und Acryl auf die Leinwand zu bringen. Es sind aber auch ihre zahlreichen Werke zu einer überkommenen stereotypen Welt von Geschlechterrollen, die Gefühle von Fremdheit vermitteln und die die Künstlerin in den vergangenen drei Dekaden zu einer Wegbereiterin internationaler Genderkunst werden ließen.

Blick in Xenia Hausners Ausstellung STRANGER THINGS bei Patricia Low in Venedig, Copyright: Xenia Hausner, Foto Thomas Bankos
Blick in Xenia Hausners Ausstellung STRANGER THINGS bei Patricia Low in Venedig, Copyright: Xenia Hausner, Foto Thomas Bankos

Bereits seit den 1990er Jahren folgt Xenia Hausner in ihrer Malerei einem intensivierten Diskurs um Kunst und Gender. Dabei standen für sie von jeher die Verschränkungen von Geschlecht und geografischer Herkunft im Blickpunkt. Ihre großformatigen farbigen Bilder werfen wie selbstverständlich Fragen zu den sich stetig verändernden gesellschaftlichen Machtverhältnissen in der Welt auf. Oft beherrschen Alltagsszenen ihre Bilder, wie bereits 2014 in „Cage People“ mit chinesischen Wanderarbeiter in Hong Kong, die in Verschlägen hausen. Wie bereits früher in ihren Arbeiten erheben sich auch die in ihrem Venedig-Zyklus gemalten und skulpturalen Körper aus einer modernen Dystopie, die die Internet-Ära, deren zeitgenössische Kultur und ihre Tabus scheinbar unaufgeregt widerspiegeln.

Im Vordergrund (lks) Hausners titelgebende Arbeit  STRANGER THINGS, Copyright/Foto: SCS Bildarchiv, Berlin
Im Vordergrund (lks) Hausners titelgebende Arbeit STRANGER THINGS, Copyright/Foto: SCS Bildarchiv, Berlin

Innerhalb ihrer Vielzahl von Narrativen und teils unergründlichen Reihungen, wird, bei der Darstellung des Geschlechts, der Körper auch zuweilen zum Objekt der Begierde, der Erotik und Verletzlichkeit. So auch im der Ausstellung titelgebenden Werk „Stranger Things“. Die in ihren Werken allgegenwärtig stattfindende Fremdheit verweist dabei oft auch auf Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen, ebenso wie auf Abenteuer und Angst.

Blick vom Palazzo Grassi auf die Galerie von Patricia Low, Copyright/Foto: SCS Bildarchiv, Berlin
Blick vom Palazzo Grassi auf die Galerie von Patricia Low, Copyright/Foto: SCS Bildarchiv, Berlin

Erst Ende März präsentierte André Heller Hausners großformatige, farbkräftigen Gemälde als riesenhafte Projektion an den Wänden des Konzerthauses in der Hamburger Elbphilharmonie, um dem roten Festival-Faden „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“ seines Reflektor-Festivals eine weitere Facette hinzuzufügen. Die als Bühnenbildnerin bereits an den großen Häusern in London, Wien und Salzburg tätige Hausner löste die Herausforderung mit Bravour und konnte einem internationalen Publikum in Hamburg bereits einen Vorgeschmack auf Venedig liefern.

Heute finden sich Hausners Werke weltweit in bedeutenden öffentlichen und privaten Kunstsammlungen. Aktuell zeigte sie der europäische Großsammler Reinhold Würth in seinem Museum im norwegischen Oslo, aber auch die Albertina in Wien, das PalaisPopulaire in Berlin und das Kunstmuseum Shanghai. In weiteren renommierten Galerien und Museen von Moskau über Florenz bis New York waren ihre Werke zuletzt zu sehen. Xenia Hausner zählt in der figurativen Malerei zu den international bedeutendsten Vertreterinnen der Genderkunst. Mit der Einzelausstellung „Stranger Things“ stellt die an der New York und Brown-University studierte Kunsthistorikerin Patricia Low und gleichnamige Galeristin aus Gstaad an ihrem neuen Standort Venedig erstmals seit ihrer Gründung im Jahr 2005 die bedeutende österreichische Künstlerin Xenia Hausner als Bestandteil ihres internationalen Portfolios bedeutender Künstler:innen vor.

www.xeniahausner.com
www.patricialow.com
www.salzkammergut-2024.at

Die Künstlerin Xenia Hausner im Palazzo ihrer Galeristin Patricia Low vor ihrem Bild in Venedig, Copyright/Foto: SCS Bildarchiv, Berlin
Die Künstlerin Xenia Hausner im Palazzo ihrer Galeristin Patricia Low vor ihrem Bild in Venedig, Copyright/Foto: SCS Bildarchiv, Berlin

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