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Die Laubenganghäuser in Dessau-Roßlau und die Bundesschule Bernau – zwei Unesco-Welterbestätten von Hannes Meyer

Dessau, die Bauhaus-Stadt in Sachsen-Anhalt, und Bernau, nördlich Berlins in Brandenburg gelegen, jubeln. Am 9. Juli 2017 wurden zwei bedeutende Werke des Architekten und zweiten Bauhaus-Direktors Hannes Meyer in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen. Fast neunzig Jahre nach der Entstehung der ehemaligen Bundesgewerkschaftsschule in Bernau und der Laubenganghäuser in Dessau erfährt Meyers progressives architektonisches Schaffen damit eine späte Aufwertung. Rainer K. Wick stellt die beiden neuen Welterbestätten vor.

Laubenganghaus, Dessau-Törten © Foto: Rainer K. Wick Bundesgewerkschaftsschule Bernau, Modell © Foto: Rainer K. Wick Bundesgewerkschaftsschule Bernau, Aula (links) und Speisesaal (rechts) © Fotos: Rainer K. Wick Bundesgewerkschaftsschule Bernau, Lehrerhäuser straßenseitig (links) und gartenseitig (rechts) © Fotos: Rainer K. Wick
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Die Jahre Hannes Meyers in Dessau von 1927 bis 1930, zunächst als Leiter der neu eingerichteten Abteilung für Architektur des Bauhauses, dann ab 1928 zusätzlich als Direktor dieser progressivsten Gestaltungschule der Zwischenkriegszeit, waren für den Schweizer Architekten auch hinsichtlich seiner baulichen Aktivitäten eine besonders produktive Zeit. In Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wegen seiner sozialistischen bzw. marxistischen Überzeugungen nicht selten als »Totengräber« des Bauhauses diffamiert, setzte die Würdigung seines Lebenswerks erst allmählich mit den Publikationen von Claude Schnaidt (1965) und Klaus-Jürgen Winkler (1989) sowie der Ausstellung des Berliner Bauhaus-Archivs (ebenfalls 1989) ein. Während sich »Lichtgestalten« wie Walter Gropius oder Ludwig Mies van der Rohe längst im Olymp der Architekturmoderne befanden, führte Hannes Meyer, der 1930 in die Sowjetunion ging, um dort am Aufbau der kommunistischen Gesellschaft mitzuwirken, und von 1939 bis 1949 als Architekt in Mexiko arbeitete, über Jahrzehnte eher ein Schattendasein. Die kürzlich erfolgte Anerkennung seines Werkschaffens durch die Welterbekommission der UNESCO kommt einer großartigen, gleichwohl reichlich späten Rehabilitierung gleich.

Nach Kontakten mit Le Corbusier und der holländischen Stijl-Gruppe hatte sich Hannes Meyer Mitte der 1920er Jahre der Bewegung des sogenannten Neuen Bauens angeschlossen. Hervorgehoben seien seine unrealisiert gebliebenen, überaus progressiven und hoch gelobten Entwürfe für die Petersschule in Basel und den Völkerbundpalast in Genf (1926 und 1927, beide in Zusammenarbeit mit Hans Wittwer). In seiner Bauhaus-Zeit gelangen ihm mit den nun zum Weltkulturerbe erklärten Laubenganghäusern in Dessau-Törten sowie mit der einstigen Bundesgewerkschaftsschule in Bernau (beide 1928–1930) exemplarische Beiträge zu einem »linken Baufunktionalismus«. Jenseits aller formalistischen und ästhetizistischen Tendenzen postulierte er: »Bauen und Gestalten sind eins, und sie sind ein gesellschaftliches Geschehnis. [...] Als Gestalter ist unsere Tätigkeit gesellschaftsbedingt, und den Kreis unserer Aufgaben schlägt die Gesellschaft. Fordert nicht heute in Deutschland unsere Gesellschaft tausende von Volksschulen, Volksgärten, Volkshäusern? Hunderttausende von Volkswohnungen? Millionen von Volksmöbeln? [...] Als Gestalter sind wir Diener dieser Volksgemeinschaft. [...] Wir suchen keinen Bauhausstil und keine Bauhausmode. Keine modisch-flache Flächenornamentik horizontal-vertikalgeteilt und neoplastisch aufgepäppelt. [...] Wir verachten jegliche Form, die zur Formel sich prostituiert.« Sein Motto lautete »Volksbedarf statt Luxusbedarf«, und angesichts der dramatischen Wohnungsnot in den Jahren der Weimarer Republik galt sein besonderes Engagement dem sozialen Wohnungsbau.

Nachdem zwischen 1926 und 1928 in mehreren Bauabschnitten schon die von Gropius entworfene Siedlung Dessau-Törten mit Reihenhäusern von 57 bis 75 m² Wohnfläche entstanden war, plante Meyer zusammen mit der Bauabteilung des Bauhauses ab 1928 für Törten die sogenannten Laubenganghäuser. Im Unterschied zur Gropius-Siedlung sollten sie nicht von kleinen Angestellten, sondern von Arbeitern bewohnt werden; Meyer sprach explizit von Proletarierwohnungen. Es handelt sich um dreigeschossige, traditionell aus rotem Ziegelmauerwerk errichtete Wohnhäuser in Flachdachbauweise mit je 18 Wohnungen, die auf nur 47 m² Grundfläche mit einem Wohnraum und zwei Schlafkammern plus Küche, Bad und Flur den Typus der damals von progressiven Architekten allenthalben geforderten »Wohnung für das Existenzminimum« – so das Motto des zweiten CIAM-Kongresses 1929 in Frankfurt – repräsentierten. Die Aufgänge zu den Wohnungen befinden sich jeweils auf der Nordseite in einem dem Gebäudeblock vorgelagerten Treppenturm, die Wohnungen selbst sind über balkonartige offene Gänge – Laubengänge – erreichbar. Innovativ war dieses Konzept insofern, als damit die langen, oft dunklen, unwirtlichen und sozialpsychologisch problematischen Flure herkömmlicher Mietshäuser gewissermaßen ins Freie verlegt und sichtbar wurden. Neben Kosteneinsparungen versprach sich Meyer von dieser Maßnahme eine Steigerung der Kommunikationsdichte und damit ein Mehr an Solidarität unter den Hausbewohnern. Dass eine derartige Architektur auch der Ausübung sozialer Kontrolle dienen kann, ist allerdings nicht zu bestreiten und wurde Hannes Meyer von seinen politischen Gegnern zuweilen auch entgegen gehalten.

Während noch nicht alle Dessauer Laubenganghäuser denkmalgerecht saniert sind – lediglich das Haus in der Peterholzstraße 40 wurde mit einer auch farblich restaurierten Musterwohnung originalgetreu rekonstruiert –, hatte schon zwischen 2002 und 2006 die stufenweise Sanierung der von Hannes Meyers zusammen mit seinem Kollegen Hans Witwer entworfenen Bundesschule des AGDB (Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes) in Bernau stattgefunden. Diese landschaftlich idyllisch in einer Kiefernwaldung gelegene Bundesschule gehört zweifellos zu den bedeutenden, von der breiten Öffentlichkeit bisher aber kaum wahrgenommenen Programmbauten einer sozial grundierten Architekturmoderne. Konzipiert wurde der Bau als internatsähnliches Bildungszentrum, in dem sich Gewerkschaftsmitglieder und -funktionäre in vierwöchigen Lehrgängen in verschiedenen Lernbereichen fortbilden konnten. Maßgeblich für die Raumdisposition war eine »neuartige sozial-pädagogische Organisation«, die in besonderem Maße dem Kollektivgedanken und der Stiftung von Solidarbeziehungen verpflichtet war. Meyer verstand die »Bauanlage lediglich [als] die plastische Übersetzung dieser sozial-pädagogischen Funktionen«. Der prominente Kunstkritiker Adolf Behne brachte es damals auf die prägnante Formel: »Die Diktatur der Form ist abgeschafft, das Leben ist siegreich und sucht sich seine Gestalt.« Trotz Meyers antiästhetizistischer Doktrin zeigt die Gesamtanlage eine souveräne Komposition der einzelnen Gebäudeeinheiten, »die von gegensätzlichen Spannungsverhältnissen der Formen bestimmt wird.« (Klaus-Jürgen Winkler) Hinter dem in den 1950er Jahren überbauten und in seinem ursprünglichen Zustand heute leider nicht mehr erhaltenen Kopfbau mit seinem flachen Eingangsbereich und den drei markant aufragenden Schornsteinen befinden sich das weiträumige Foyer, die große Aula, die Küche und der lichtdurchflutete Speisesaal. Interessant ist die Tatsache, dass die Aula einen exakt quadratischen Grundriss erhielt. Meyer sah im Quadrat, neben dem Kreis, den »baulich stärkst möglichen Ausdruck der Einheit, [...] einer Gemeinschaft.« Hier kommt ein Stück architektonischer Symbolik ins Spiel, die rigorose Funktionalisten überraschen mag, die aber unter dem Signum eines »erweiterten Funktionalismus« durchaus ihre Daseinsberechtigung hat. Die an den Kopfbau sich anschließenden Internatshäuser sind zur Sonnenseite hin orientiert, das Schulgebäude mit Bibliothek über der großen Turnhalle markiert das nordöstliche Ende des lang gestreckten Baukomplexes. Ein verglaster Laufgang, der das leichte Gefälle des Geländes aufnimmt und auch der Erschließung des versetzt hintereinander gestaffelten, dreigeschossigen Internatshäuser dient, beginnt am Foyer und verbindet das gesamte Ensemble vom Kopfbau bis zum Unterrichtsgebäude. Farbe und Material bilden lebhafte Kontraste – hellgelber Klinker, graue Betonflächen, Glasbausteine, rot gestrichene, den Bau farblich akzentuierende Metallträger und Fensterrahmen. Von der sogenannten Weißen Moderne, wie man sie gemeinhin mit dem »Neuen Bauen« der Weimarer Republik assoziiert, die aber ohnehin längst als Mythos entlarvt ist, keine Spur.

Nachdem die ADGB-Bundesschule im Mai 1930 feierlich eröffnet werden konnte, wurde sie schon drei Jahre später im Zuge der Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten in eine Reichsführerschule zur Schulung von Führungskräften der NSDAP und der Deutschen Arbeitsfront und, später, zur Ausbildung von Angehörigen der SS und der Gestapo umfunktioniert. Während des Zweiten Weltkriegs erhielt das Gebäude einen entstellenden Tarnanstrich, in der jungen DDR führten Anfang der 1950er Jahre vom FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) in Auftrag gegebene Erweiterungsbauten zu erheblichen Eingriffen in die originale Bausubstanz. Besonders schmerzlich ist der Verlust der »signet-tauglichen Silhouette des ursprünglichen Arrangements von flachem Eingangstrakt, blockhafter Aula und den drei vierkantig aufragenden Schornsteinen« durch »die vollständige Überformung dieses Bereichs in den fünfziger Jahren« (Ulrich Brinkmann). Denn im Zuge der in den Nuller Jahren des 21. Jahrhunderts vom Berliner Architekturbüro Winfried Brenne durchgeführten, überaus umsichtigen und sorgfältigen Restaurierung des Gebäudes, deren Ziel die möglichst authentische Wiederherstellung des originalen Zustands war, konnte der ursprüngliche Kopfbau Hannes Meyers bedauerlicherweise nicht zurückgewonnen werden, da die Überbauungen von Georg Waterstradt aus den frühen fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts als Dokument der DDR-Nachkriegsmoderne inzwischen selbst schon Denkmalschutz genießen.

Im Jahr 2012 erfolgte der Antrag der Bundesländer Sachsen-Anhalt und Brandenburg, die Dessauer Laubenganghäuser und die Bundesschule in Bernau in die Welterbeliste der UNESCO einzutragen. Fünf Jahre später ist nun dieses Ziel erreicht – eine gute Entscheidung nicht nur angesichts der architekturhistorischen Bedeutung dieser Bauwerke, sondern auch im Horizont des näher rückenden hundertjährigen Bauhaus-Jubiläums im Jahr 2019.

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