Keramik - eine Randerscheinung!? In einem Gespräch mit der saarländischen Keramikerin und Sammlerin zeitgenössischer Keramik Hannelore Seiffert wollen wir mehr über dieses zu Unrecht im Verborgenen schlummernde Genre erfahren, das der breiten Öffentlichkeit nicht als künstlerisch hochrangige (und hochdotierte) Kunst bekannt ist.
Am 25. Juni 2008 besuchte ich die Keramikerin und Sammlerin zeitgenössischer Keramik Hannelore Seiffert in ihrem Haus in Schiffweiler und war dabei nicht nur von der umfangreichen Sammlung, sondern auch von dem überaus vielseitigen keramischen Schaffen beeindruckt. Mit Frau Seiffert gemeinsam wurden Streifzüge durch Haus und Garten unternommen, wobei ich viel über die unglaubliche Vielfalt der in der Kunstgeschichte zu Unrecht stiefmütterlich behandelten Keramikkunst erfahren habe. Eine virtuose Handhabung macht oftmals vergessen, dass Ton als Basismaterial fungiert – leicht fließende, filigrane Formen und bizarre, ausdruckstarke Modellierungen sind Zeugen eines genialen Schaffens im Verborgenen.
Hannelore Seiffert wurde 1943 in Darmstadt geboren. 1992 beschäftigte sie sich erstmals mit Ton und 1993 richtete sie sich eine eigene Werkstatt ein.
Seither bildete sie sich kontinuierlich in Seminaren und Workshops weiter, unter anderem bei Nora Blazeviciute (Litauen), Kurt Spurey (Österreich), Michael Flynn (England), Maria Geszler-Garzuly (Ungarn), Ingrid Schmidt-Faßbinder, Theresia Hebenstreit, Harald Jegodzienski, Wolf Mattes (Deutschland), Lucia Figueroa (Argentinien/Deutschland), Gustavo Perez (Mexiko) und Jindra Vikova (Tschechien).
Seit 1996 nahm Hannelore Seiffert an Einzel- und Gruppenausstellungen teil u.a. in Schiffweiler (Bürgerhaus, Klinkenthalhalle), Frankenholz (evangelische Pfarrkirche), St. Ingbert (Kreiskrankenhaus), Darmstadt (Galerie Keramikum), Mannheim (Kunsthaus Hansen), Bosen (Kunstzentrum »Bosener Mühle«), Neunkirchen (Stummsche Reithalle, Rathaus Galerie), Merzig (»Fellenbergmühle«), Ottweiler (Witwenpalais), Kirkel (Schulungszentrum Arbeiterkammer), Homburg (Galerie Monika Beck), Neunkirchen (»Bücher König“), Neunkirchen (Städtische Galerie, Katalog), Mamer/Luxembourg (Biennale, Katalog), Wien (Ausstellung des ICCA (International Contemporary Ceramic Art)) und in Prüm (Ausstellung des EVBK (Europäische Vereinigung Bildender Künstler), KATALOG).
Mitgliedschaften: Seit 2003 ist Hannelore Seiffert Mitglied des Künstlerkreises Neunkirchen, seit 2005 Mitglied des ICCA in Wien als künstlerischer Beirat und seit 2007 Mitglied im AIC/ICA (International Ceramic Academy) in Genf als Sammlerin.
Paul: Sie arbeiten nun schon seit 16 Jahren in Ton. Lagen im Modellieren Ihre künstlerischen Anfänge oder sind Sie zur Keramik – als einer unter den Händen gewachsenen Arbeit – erst nach einem Prozess des Suchens, des »sich-selbst-Entdeckens« gelangt?
Seiffert: Keramik ist die erste künstlerische Ausdrucksform, in der ich arbeite. Sie entspricht sehr meinen Neigungen. Etwas unter den Händen entstehen, wachsen zu lassen, das hat was!
Paul: Haben Sie sich schon früh mit Kunst beschäftigt?
Seiffert: Kunst in Form von Bildern, Plastiken oder auch Architektur war von Kind auf mein Wegbegleiter. Ich ging oft nach der Schule ins Museum, nur so zum Vergnügen. In Darmstadt, meiner Heimatstadt, gibt es das wunderbare Jugendstilensemble »Mathildenhöhe«, und die dort befindlichen Künstlerhäuser faszinierten mich stark. Außerdem begann ich mit 15 Jahren in einem Kunstverlag Grafiken zu erwerben – ich jobbte dort in den Ferien und legte mein erstes Selbstverdientes sofort in Kunst an. Ich hatte schon den Wunsch, vielleicht selbst einen eigenen künstlerischen Ausdruck zu finden, aber ich wusste nicht so recht, was. Selbst Zeichnen konnte ich nie.
Paul: Also keine filigranen Bleistiftzeichnungen?
Seiffert: Ich bin gerade bei Bleistiftzeichnungen sehr verkrampft im Strich und noch dazu sehr ungeduldig, will rasch ein Ergebnis haben. Das bekommt man bei der Keramik –zunächst und scheinbar – sehr schnell. Ist man aber etwas in die Technik eingedrungen, so stellt man fest, je weiter man kommt, je selbstkritischer man wird, desto mehr Probleme entstehen. Aber das ist wohl bei allen Dingen so: Je mehr man kann, desto mehr verlangt man von sich und dann kann die Arbeit natürlich nicht mehr so schnell vorangehen.
Paul: Als Sammlerin, aber auch als Künstlerin sind Sie weit über Saarlands Grenzen hinaus bekannt und erst in diesen Tagen wurden Sie durch eine Ausstellungsbeteiligung Mitglied der Europäischen Vereinigung Bildender Künstler aus Eifel und Ardennen in Prüm. Kann man also sagen, dass Sie als Mensch im Saarland beheimatet, als Künstlerin aber in Europa zu Hause sind, Ihr Blick sowohl auf das regionale als auch das überregionale/nationale Kunstgeschehen gerichtet ist? Entspricht das Ihrem Selbstverständnis als Künstlerin und Ihrem Verständnis von Kunst?
Seiffert: Na klar, vom Saarland in die Welt! [Lacht] Nein, im Ernst. Natürlich ist man immer der Mittelpunkt seiner eigenen Welt, hier bin ich, um mich herum alles Andere. Ich bin an diesem Punkt zweigeteilt, in die Keramikerin und in die Sammlerin zeitgenössischer Keramik. Als Keramikerin ist mein Wirken eher regional, wenngleich ich auch schon an mehreren internationalen Ausstellungen beteiligt war. Ich beobachte die Kunstszene in Deutschland sehr aufmerksam, schaue aber natürlich auch ins Ausland, besuche sooft ich kann Ausstellungen und Kunstmessen, und keramische Ausstellungen sowieso. Ich bin praktisch jedes Wochenende unterwegs und mache dann zwei, drei, bis zu fünf Ausstellungs- oder auch Atelierbesuche. Ich finde, das muss unbedingt sein. Ich wundere mich immer wieder, dass ich so viele Keramiker treffe, die einfach nicht wissen, was andere Leute machen, oder was jenseits der Keramik in der Kunstszene geschieht. Ich glaube, wenn man sich für Kunst interessiert, dann geschieht das allumfassend. Man will doch verschiedene Strömungen wahrnehmen – oder? Ich jedenfalls bin einfach neugierig. Als Sammlerin habe ich wirklich buchstäblich die ganze Welt im Blick. So reise ich demnächst zum Weltkongress des AIC/ICA, der internationalen Keramikakademie – der höchsten keramischen Vereinigung weltweit – nach China und werde dort die besten Keramiker treffen und ihre herausragenden Arbeiten bestaunen können.
Paul: Als Sammlerin von Keramiken stehen Sie in einem konstanten und regen Dialog mit anderen KeramikerInnen und deren Arbeiten. Betrachten Sie das bisweilen auch als Hemmnis des eigenen Schaffens, gar als Bürde oder gibt Ihnen das einen inspirativen, kreativen Anstoß?
Seiffert: Natürlich kommt es vor, dass man irgendwelche Werke sieht, die einen ungeheuer beeindrucken und man sieht dann später in seiner eigenen Arbeit irgendetwas, wo man sich fragt: Wo kommt das jetzt her? Und dann verfolgt man die Spur und sagt sich: He, das hast Du da gesehen und das hat Dich so beeindruckt. oder Du hast das da aufgenommen und verarbeitet. Dieser »Einfluss« muss aber nicht unbedingt aus der Keramik stammen, es kann genauso gut von Malerei ausgehen.
Paul: Oder Henry Moore, dessen Reclining Figures Sie stark beeindruckten?
Seiffert: Richtig, auch Henry Moore – also auch Bildhauerei. Und das taucht dann in Spuren plötzlich ungewollt, aus dem Unterbewusstsein auf.
Paul: Ist es also immer so, dass Sie die Einflüsse erst im nachhinein entdecken, Kunst von anderen Künstlern sozusagen unbewusst in Ihre Arbeiten einweben?
Seiffert: Ja. Ich habe aber auch schon versucht, zu kopieren, um mir bestimmte Schaffensabläufe, die mir nicht klar waren, zu verdeutlichen und auf diese Weise zu versuchen, etwa nachzuvollziehen. Aber das sind Sachen, die verwerfe ich anschließend, es sind Fingerübungen, die man natürlich nicht als sein eigenes Werk hinstellen kann.
Paul: Könnten Sie mir Keramiken zeigen, die Sie selbst als markante Wendepunkte in Ihrem Schaffen empfinden? Vielleicht sind es Werke, die sich sogar radikal von zuvor Entstandenem abkehren und dass gerade dieser Antagonismus für Ihre künstlerische Weiterentwicklung wichtig war…
Seiffert: Ich muss nicht davon leben, was ich mache, d.h. ich kann wirklich das machen, was ich möchte, worauf ich Lust habe, was mich interessiert, was mich herausfordert oder reizt. Oft stelle ich mir also Aufgaben, mache ich Sachen, die ich eigentlich gar nicht machen will – vom Ergebnis her –, aber ich weiß, dass sie sehr schwierig zu bewerkstelligen sind und so »züchtige« ich mich damit. Es ist irgendwie paradox, aber z.B. poliere ich dann etwas, mache etwas, was ganz streng geometrisch ist, obwohl mir das gar nicht liegt, denn ich arbeite lieber frei, fließend und warte bis sich etwas entwickelt und dann mache ich mir selbst Vorgaben, sage: »Hier muss jetzt ein rechter Winkel rein, das muss jetzt akkurat stimmen«, nur um zu schauen, ob ich das noch kann, weil ich es so oft vernachlässige. Im Allgemeinen arbeite ich in ganz kleinen Serien. Ich habe ein Thema und mache fast immer sechs Stücke in dieser Art und danach ist für mich das Thema durch. Manchmal lasse ich es bis zu zwei Jahren liegen und greife es noch einmal in anderer Form auf, etwa mit einer anderen Oberfläche, in einer anderen Größe oder es erscheint in einem anderen Zusammenhang. Aber zunächst einmal mache ich dann was ganz Neues, möglicherweise Gegensätzliches.
Paul: Denken Sie da an die figuralen, aber dennoch sehr abstrakt gearbeitete Gestalten, die immer wieder verwandelt werden, sei es in der farblichen Ausarbeitung oder auch der formalen Konzeption?
Seiffert: Die Bandbreite dieser gebauten Formen reicht von stark zerklüftet bis fast zerfließend, von rauen bis glatten, gespannten Oberflächen und sie kommen immer wieder, weil mich der Körper, das Volumen ungemein reizt. Ich versuche immer wieder verschiedene Ansichten zu machen, die Dinge auf der einen Seite schlank wirken zu lassen und auf der anderen Seite Wölbungen entgegenzusetzen usw.
Paul: Ihre Arbeiten lösen sich vielfach von einem gegenständlichen Duktus, schwimmen sich in Formen und bisweilen sogar Farben frei. Geht es Ihnen dabei um die Bewahrung von Rätseln, von Geheimnissen, die in das Arbeitsmaterial eingebrannt werden – suchen Sie damit uns Betrachter zu Ideenspielen, zum Gebrauch unserer Fantasie zu animieren? Oder aber sind Ihre Werke – besonders die abstrakten – Ausdruck einer emotional angereicherten Situation, intime Erzählungen und Seelenlandschaften?
Seiffert: Letzteres ist richtig! Ich denke also auch immer abstrakter – das ist wirklich wahr.
Paul: Sie haben also zu Anfang Ihrer Arbeit keine konkrete, gegenständliche oder begrifflich benennbare Vorstellung von einem Objekt? Abstrakte Form als Ausgangspunkt?
Seiffert: Das Finden einer Form geht bei mir zusehends in die Abstraktion und eigentlich könnte ich bei einem Kopf schon auf sehr viele anatomische oder gegenständliche Details verzichten – ich bin für Vereinfachung, möchte weg vom fest definierten Gegenstand und komme dann zu ganz neuen Formen, die man eigentlich gar nicht bezeichnen kann. Man erfindet etwas Neues, einen neuen Ausdruck, eine neue Form, die – wenn man Glück hat – wieder zum Ausgangspunkt einer kleinen Serie wird.
Paul: Neben Ihrer künstlerischen Tätigkeit sind Sie seit 2006 Leiterin des Künstlerkreises Neunkirchen und treten dabei aktiv für ein kulturelles Miteinander, einen intensiven Dialog zwischen den unterschiedlichsten Gesellschaftsgruppen und Generationen in Neunkirchen ein. Worin sehen Sie die Leistung von Kunst heute, einer Zeit, die schnelllebig und mit einer Reizüberflutung zu kämpfen hat?
Seiffert: Kunst halte ich für die Menschen als essentiell wichtig, sicher zu jeder Zeit, aber besonders heute. Wenn man sich mit Kunst auf irgendeine Weise beschäftigt, sagen wir zunächst einmal »konsumtiv«, dann muss man als erstes Kunstpräsentationen aufsuchen, sich das Ganze anschauen und damit auseinander setzen, die grauen Zellen bewegen. Da wird es schon wieder aktiv! [Die Künstlerin lacht herzlich.] Man sollte Dinge vielleicht vertiefen, etwa durch das Heranziehen von Literatur. Es geht also darum, etwas zu tun, was sicherlich den geistigen Horizont erweitert und was auch mit »Mensch sein«, mit Bildung zu tun hat – eben im Gegensatz zur Freizeitgestaltung wie dem Fernsehen, was einfach passiv absorbiert werden kann. Kunst sehen, erleben und leben ist eben immer noch ein aktiver Vorgang. Und Kunst selber hervorbringen geht ja noch viel weiter, weil man da das Vergnügen hat, selber etwas zu entwickeln, denn es ist eine unglaubliche Glückssituation, wenn man ein Stück in den Händen hält, bei dem man sagt: »Ja, das ist es, das konnte ich nicht besser machen, das ist genau das, was ich zum Ausdruck bringen möchte – das Ergebnis ist richtig gut.« Das ist das eine. Dann die ganzen technischen Fertigkeiten und Fähigkeiten, die man entwickeln muss – die bereichern auch sonst das Leben. Man nimmt auf einmal ganz anders wahr, sieht plötzlich einen Baum mit ganz anderen Augen an, klopft eine Ampel auf irgendwelche haptischen oder farblichen Kompositionen ab – solche spannenden Dinge passieren dann fortwährend und die sind Teil deines Lebens. Ich finde das ist eine derartige Vertiefung der Lebensqualität – man hat wirklich mehr vom Leben!
Paul: Also auch deshalb die Galerie des Künstlerkreises Neunkirchen?
Seiffert: Das ist für mich natürlich ein Herzensanliegen. Ich finde in einer Stadt mit 50.000 Einwohnern wie Neunkirchen ist auch eine private – bei uns ist es ja eine Produzentengalerie – wirklich notwendig. Und ich bin der festen Überzeugung, dass es in einer solchen Stadt einen bestimmten Prozentsatz von Menschen gibt, die sich für Kunst interessieren. Die wissen es möglicherweise noch nicht, aber die müssen wir kriegen, interessieren, neugierig machen! [Lacht verschmitzt] Und da muss man ganz einfach langfristig und strategisch denken und sich Sachen ausdenken, die ein wenig schräg sind, die die Leute interessieren oder auch wach rütteln. Man darf nicht darauf warten, dass man jedes Mal weiß Gott was verkauft – das schon gar nicht – sondern einfach nur mal das Angebot präsentieren. Unsere Galerie besteht nun seit einem Jahr, in dem es uns gelungen ist – mit den gemeinsamen Nebenausstellungen zusammen gerechnet – 1000 Menschen anzulocken und mit Kunst intensiv zu konfrontieren. Und ich bin mir absolut sicher, dass so etwas Wirkung auf diese Menschen, auf das Leben dieser Menschen hat, vielleicht nur eine Stunde, einen Tag, eine Woche oder sogar noch länger. Und wenn wir den ein oder anderen – selbst wenn es nur zwei in einem Jahr sind – auf »die andere Seite« kriegen, so sagen wir uns: »Die sind das alles Wert.«
Paul: Geht es dabei auch darum, junge Menschen in das Projekt der Galerie einzubinden?
Seiffert: Ja, klar! Für uns ist es besonders wichtig und interessant, jüngere Leute in die Galerie einzubinden, die vielleicht noch kein »Œuvre« vorzuweisen haben, aber die das Gefühl haben, dass sie künstlerische Potentiale besitzen. Gerade diese Generation möchten wir ermuntern, zu uns zu kommen und ihre Kunst darzubieten. Wenn eine besondere Qualität, ein Potential erkennbar ist, sind wir gerne bereit, Ihnen ein Forum zu bieten und in der Galerie mit auszustellen. Und wenn die »Zusammenarbeit« fruchtbar ist, dann können sie auch gerne Mitglied werden – daran sind wir natürlich auch interessiert!
Paul: Mit diesem Appell an junge Menschen, nicht nur passiv, sondern auch aktiv am kulturellen Leben teilzunehmen, haben Sie einen schönen Schlusssatz gefunden und ich möchte mich für dieses spannende Gespräch mit Ihnen bedanken!
Sämtliche Abbildungen und Fotos wurden von Hannelore Seifert zur Veröffentlichung im Portal Kunstgeschichte freigegeben.