Das mit vielen Deutungsversuchen behaftete Bild "Die drei Philosophen" von Giorgio da Castelfranco, gen. Giorgione (1478-1510), enthält eine revolutionäre Entdeckung: die Beobachtung der vier großen Jupitermonde 105 Jahre vor Galileo Galilei.
Wer sind die Protagonisten in Giorgiones Meisterwerk „Die drei Philosophen“ und warum treiben sie ihr Handwerk inmitten einer arkadischen Landschaft? Das Gemälde gilt als eines der geheimnisvollsten Bildwerke der Kunstgeschichte. In einem Aufsatz von 1976 hatte der Kunsthistoriker Thomas Zaunschirm etwa 26 grundverschiedene Deutungsversuche seitens namhafter Kapazitäten seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert aufgelistet, und inzwischen werden wohl einige neu hinzugekommen sein. Viele Interpreten gehen jedoch mittlerweile davon aus, dass es sich bei den Dargestellten um Vertreter der Naturwissenschaften und der Astrologie handelt.
Vor diesem Hintergrund tritt Frank Keim, Philosoph und Germanist an der Universität Ulm, mit einer neuen Publikation an die Öffentlichkeit und verspricht nicht nur eine spektakuläre Lösung des Rätsels, sondern begibt sich zugleich auf die Spurensuche nach einer wissenschaftlichen Sensation: seiner Theorie nach hätte Giorgione, durch intensive astronomische Studien, in den Jahren von 1501 bis 1505 die vier Hauptmonde des Jupiters entdeckt und diese Beobachtungen in verschlüsselter Form in zwei Bilddokumenten festgehalten. – Dies, wohlgemerkt, ein gutes Jahrhundert vor der mutmaßlichen Erfindung des Fernrohrs und 105 Jahre vor der „offiziellen“ Entdeckung und Beschreibung der Jupitermonde durch Galileo Galilei.
Keim hat seine Theorie bereits 2005 in einem kurzen Abstract veröffentlicht. Im Vergleich der beiden Texte fällt auf, dass er gegenüber seiner ersten Version zahlreiche Modifikationen vorgenommen hat – das ist natürlich legitim, wird jedoch nicht näher begründet, vielmehr wird das eine im selben Ton der Gewissheit vorgetragen wie das andere. Der Kern der Aussage bleibt davon allerdings unberührt.
In der vorliegenden Publikation hat Keim ein weiteres monumentales Bildwerk Giorgiones, dessen Fries in der Casa Marta-Pellizari in Castelfranco einer genaueren Beobachtung unterzogen und meint dabei weitere Beweise für die verblüffenden astronomischen Kenntnisse des Malers nennen zu können. Eingebettet in die Darstellungen von astronomischen Gerätschaften und Symbolen finden sich dort einige rätselhafte Diagramme, die Keim als komplexe kartographische Aufzeichnungen der Planetenbahnen identifiziert. Darunter befindet sich auch ein Schema, das nach Auffassung des Autors erstmalig die Kreisbahnen (vorerst) dreier Jupitermonde beschreibt.
Basis seiner Analysen bildet die Auswertung der Software des Redshift Planetariums, dank der astronomische Konstellationen auf Tag und Minute genau über fünf Jahrhunderte zurückverfolgt werden können. Als Schwachpunkt der Publikation erweist sich jedoch die Qualität der Abbildungen, denn die stark ausschnitthaften und manchmal sogar pixelnden Aufnahmen machen es einem astronomischen Laien nicht leicht, den Sachverhalt nachzuvollziehen.
Dennoch, wer sich einmal durch die spröden Anfangskapitel mit ihren langen Datenkolonnen durchgekämpft hat, dem eröffnet sich nach und nach ein faszinierendes Gedankengebäude von bestechender Klarheit: In einer straff gespannten Indizienkette führt Keim aus, das die Anfänge des Fernrohrs bereits in die Mitte des 15. Jahrhunderts fallen könnten. Ausführlich geht er darauf ein, wie sich Venedig im späten 15. Jahrhundert zu einem Zentrum astronomischer Literatur und Wissenschaft entwickelte, wo man vor allem viel Augenmerk auf die Wiederentdeckung und Übersetzung antiker Autoren legte. Es war ein fruchtbares Umfeld für einen wissenschaftlich interessierten Künstler wie Giorgione, der möglicherweise sogar Kontakt zu Nikolaus Copernicus gehabt hätte.
Damit gelangt Keim Schritt für Schritt zur Auslegung seines Hauptbeweisstücks – einem Pergament, das der Älteste der drei Philosophen auf dem Gemälde demonstrativ in die Höhe hält und das mit schwer leserlichen, teilweise verwischten Zeichen bedeckt ist, deren Deutung seit jeher Rätsel aufgegeben hat. Mit detektivischer Akribie rekonstruiert Keim darauf Notizen zu einer Beobachtungsserie, die er in das Jahr 1505 datiert und die in kryptographischer Form die Existenz der Jupitermonde belegen sollen.
Seine Darstellung liest sich mit einer bezwingenden Logik. Allerdings kommt auch Keim nicht um das wissenschaftstheoretische Dilemma herum, das viele seiner Annahmen im Bereich der Interpretation verbleiben müssen. Zudem zeigt der oben genannte Vergleich mit dem Aufsatz von 2005, dass sogar der Autor selbst aus der Lesbarkeit des Täfelchens recht unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen hat. Das größte Problem dürfte allerdings darin liegen, dass über das Leben und Werk von Giorgione kaum etwas an konkreten Fakten vorliegt und somit ein weites Feld der Vermutungen offen steht.
Sollte der Autor jedoch mit seiner Hypothese Recht behalten, so wäre ihm tatsächlich eine revolutionäre Entschlüsselung gelungen. Die Entdeckung der Jupitertrabanten war in der frühen Neuzeit deshalb von so großer Brisanz, weil sie den Beweis für die Richtigkeit des heliozentristischen Weltbilds erbrachte. Viele Argumente in Keims Ausführungen klingen in diesem Zusammenhang durchaus plausibel – ob sie tatsächlich den schlagenden Beweis in sich tragen, muss eine weiterführende Diskussion erweisen.