Architektur ist das Hauptthema der Fotografin Friederike von Rauch. Das besondere dabei: von Rauch gibt den Blick frei auf oftmals unscheinbare Details, sie schafft Situationen, in denen die von ihr fotografierten Orte in neuem Licht erscheinen und bricht mit unseren alltäglichen Sehgewohnheiten. Vanessa Gotthardt hat sich in ihre fotografische Welt entführen lassen.
Eine weiße Leinwand. Fein durchzieht das Krakelee in langen, unregelmäßigen Bahnen die gesamte Fläche. Durchbrochen ist das schmutzige Weiß von schwarzen, verwaschenen Punkten mit fließenden Rändern.
Was mit »TRANSEPT 2« betitelt ist und auf den ersten Blick wie das Abbild einer abstrakten Malerei anmutet, erschließt sich auf den zweiten, wahrscheinlich sogar erst auf den dritten Blick und mit der nötigen Hintergrundinformation als etwas komplett anderes: die Fotografie einer alten Kirchendecke, die von Rußflecken übersät ist.
Betrachtet man eine Fotografie, taucht man immer auch ein Stück weit in den Kopf eines anderen ein, sieht etwas für einen kurzen Augenblick mit fremden Augen, aus fremder Perspektive und bekommt im besten Falle Zugang zu etwas, das einem sonst verborgen geblieben wäre. »In Secret«, der bereits 2013 beim Sieveking-Verlag erschienene Bildband Friederike von Rauchs, aus dem auch die oben beschriebene Kirchendecke stammt, ermöglicht das mit seinen 49 Abbildungen in zweierlei Hinsicht: die oft rätselhaft anmutenden Fotografien verschaffen dem Betrachter nicht nur eine vollkommen neue Einsicht in oft wohlbekannte Lokalitäten, sondern auch gänzlich neue Perspektiven auf ebenfalls bekannte Gegenstände.
Die bewusste Infragestellung traditioneller Sehgewohnheiten und die Abarbeitung an einer überwiegend architektonischen Motivwelt sind Hauptmerkmale der Arbeiten Friederike von Rauchs. 1967 in Freiburg geboren, hat sich die heute in Berlin lebende Künstlerin im Laufe ihrer Schaffenszeit eine ganz eigene fotografische Sprache erarbeitet, in der vor allem Licht und Raum, Oberflächen und Strukturen, sowie unscheinbare, beiläufige Details die Hauptrollen spielen.
2015 für den deutschen Fotobuchpreis nominiert, bereitet der vorliegende Band auf 108 Seiten den nötigen Rahmen für einen Teil ihrer außergewöhnlichen Fotografien. Matthias Harder, seit 2004 Hauptkurator der Helmut Newton Stiftung, hat den einführenden Text dazu geschrieben, der die wichtigsten Fragen beantwortet und ohne den die Fotografien ausnahmslos rätselhaft bleiben würden. Harder erklärt knapp und ansprechend in deutscher und englischer Sprache vor allem die Arbeitsweise der Künstlerin und gibt Einblick in die Entstehung ihrer besonderen Bildsprache.
Ausgestattet mit einer analogen Kamera und nur mit natürlichem Licht arbeitend, macht sich von Rauch auf die Suche nach Nebenschauplätzen, die sie in oft diffusem Licht und geheimnisvoller Abstraktion neu interpretiert. Im Band sind mehrere Werkserien versammelt, die nicht chronologisch geordnet und nur durch ihre ebenfalls kryptisch wirkende Titulierung als zusammenhängend zu erkennen sind. Die Anfertigung von Serien ist für von Rauch immer ein parallel verlaufender Prozess, der keinen Anfang und kein Ende hat. Die abgebildeten Fotografien könnten immer auch für sich alleine stehen und strahlen trotz der teilweise bühnenhaften Inszenierung eine unglaubliche Ruhe aus, frei von jeglicher Dramatik. Ihre Arbeit geht langsam vonstatten, Schau- und man könnte fast sagen Spielplätze für die abgebildeten Aufnahmen sind neben großen Museen in ganz Europa Innenräume von Kirchen der Nachkriegsmoderne. Menschenleer und motivisch oft vollkommen verrätselt sind die abgebildeten Arbeiten mal mehr, mal weniger spannend, immer aber äußerst ungewöhnlich.
In einigen Museen hatte von Rauch beispielsweise unter anderem Zugang zu den hauseigenen Restaurierungswerkstätten und so sind neben in den Museumsräumlichkeiten mysteriös in den Fokus gerückten, vergoldeten Holzbilderrahmen oder schlaglichtartig beleuchteten Raumfluchten auch viele Fotografien zu sehen, deren Hauptaugenmerk auf im Restaurierungsprozess befindlichen Kunstgegenständen liegt. Als wären sie von Christo eigens hierfür mit anmutigem Faltenwurf verhüllt worden, nehmen die mit Papier oder Stoffbahnen umwickelten Kunstgegenstände plötzlich die motivische Hauptrolle ein und grenzen sich in Form und Helligkeit scharfkantig gegen den im Halbdunkel liegenden Hintergrund ab. Vorhänge aus durchsichtiger Kunststofffolie geben den Blick auf Details mittelalterlicher Malereien frei, weiße, raue Klebestreifen kontrastieren mit daneben- und darunterliegenden Ausschnitten jahrhundertealter Ölgemälde. Teilweise ganz nah rückt der Betrachter bei diesen Aufnahmen an die Gemälde heran. Das Spiel mit Oberflächen und Strukturen, welches die Künstlerin perfekt beherrscht, wird hier besonders deutlich.
Auch die Serie »Transept«, für welche Friederike von Rauch die Innenräume von Kirchen fotografisch auskundschaftet, konfrontiert den Betrachter mit neuen Seheindrücken. Beichtstühle, Türen, Tischtücher und Schimmelflecke werden in ihren Fotografien so arrangiert oder besser gesagt konzipiert, dass sie – wie die oben genannte Kirchendecke – oftmals eher an minimalistische, abstrakte Malerei als an sakrale Räumlichkeiten denken lassen. Mehr noch als bei den Museumsaufnahmen ist hier eine Dechiffrierung, eine Verortung nur mit Hintergrundinformation möglich. Matthias Harder erkennt in dieser Abwesenheit hinweisgebender, christlicher Symbole wie Kreuz, Heiligendarstellungen oder liturgischer Gefäße die Säkularisierung des Sakralen bei gleichzeitiger spiritueller Aufladung der Museumsräume.
Man muss sich einlassen auf diese Erklärungen und auf diese Art von Fotografien, Spaß haben an der Abkehr von der Realität und bereit sein, alte Muster des Sehens abzulegen. Dann, so schließt Matthias Harder seine Einführung ganz passend, »wagen [wir] uns mit der Künstlerin in Räume vor, die wir noch nie betreten oder die wir so noch nie gesehen haben. Es ist, als schöbe sie für uns einen Vorhang zur Seite.«