Ausstellungsbesprechungen

Fotografie als Kunst um 1900: Heinrich Kühns Kasten. Oder die Liebe eines Fotografen zum Material, Museum Folkwang Essen, bis 21. August 2016

Kunst an der Grenze zur Malerei schuf der Fotopionier Heinrich Kühn. In einer Zeit, in der dem Medium Foto immer noch ein Schmuddelimage anhaftete, widmete er sich der Kunstfotografie und experimentierte dabei auch mit der Materialität von Papier und Druckverfahren. Mit vierzig seiner Bilder erinnert das Museum Folkwang an Kühn. Susanne Braun hat sie sich angesehen.

Auf dem Bild ist eine strahlend grüne Sommerwiese zu sehen. Der Farbauftrag ist impressionistisch, so dass die Wiese durch die vielen Farbtupfer sehr lebendig und wie weichgezeichnet wirkt, genauso wie die weißen Blümchen, die sich offenbar in der Mitte befinden und die hohen Bäume, die die Wiese auf einer Seite begrenzen. Insbesondere den Blättern der Bäume verleihen die vielen Grün-Nuancen eine enorme, wenn auch etwas verschwommene, Plastizität. Die pointilistische Note wird durch die Unebenheit des Papiers zusätzlich unterstrichen, das Bild lebt ganz von dem faszinierenden Spiel hellerer und dunklerer Farbgebungen.

Eigentlich weist das Bild alle typischen Charakteristika eines impressionistischen Gemäldes auf. Doch sucht man nach dem Pinselstrich, so findet man ihn nicht, denn das Bild ist kein Gemälde, sondern eine Fotografie. Heinrich Kühn hat sie mit einem Fotoapparat im Jahr 1898 aufgenommen, durch Gummidruckverfahren auf ein spezielles Papier gebannt und so bewiesen, dass diese Art der Bildgestaltung nicht nur Produkt der Phantasie und Expertise eines genialen Malers sein kann, sondern ebenso mit Hilfe eines technischen Apparats sowie spezieller Druckverfahren und Papiere herstellbar ist.

»Heinrich Kühn wollte die Fotografie aus der Schmuddelecke holen. Um die Jahrhundertwende hatte sie kein gutes Image. Sie galt als ein ›Kind der Industrialisierung‹ und diente in der Wahrnehmung der Menschen etwa vorwiegend der Abbildung pornographischer Motive. Mit anspruchsvoller Kunst brachte sie damals kaum jemand in Verbindung«, beschreibt Kurator Florian Ebner die Beweggründe Heinrich Kühns. Aus gesundheitlichen Gründen musste Kühn, der Medizin und Naturwissenschaften in Leipzig studiert hatte, seinen Beruf als Arzt aufgeben. Zur Erholung zog er nach Innsbruck und konnte sich dort ganz seinen fotografischen Experimenten widmen.

Heinrich Kühn erfand nicht nur mehrere Druckverfahren, er verwendete darüber hinaus genau für seine speziellen Bedürfnisse angepasste Filter, Linsen und Objektive. Ein weiterer ganz entscheidender Faktor waren die vielen verschiedenen Papiere, auf die er die Bilder aufbrachte. Für das Papier ließ er sich einen mannshohen Holzschrank mit vielen Fächern anfertigen, der heute Teil der Ausstellung im Museum Folkwang ist und nach wie vor Papiere aus der ganzen Welt enthält, angefangen bei Japanpapier bis hin zu Rollen, deren Manschetten die Herkunft aus Nordrhein-Westfalen belegen. »Leider können wir heute nicht mehr mit Sicherheit sagen, welches Papier genau Heinrich Kühn verwendet hat«, erklärt Florian Ebner, »Die Drucktechnik, die können wir aber immer mit Sicherheit angeben«.

Andere Bilder zeigen ein Stillleben mit einer Obstschale und Glaskaraffen auf einem Tisch, deren Proportionen nicht ganz zu stimmen scheinen und an Malerei erinnert, die sich an der Grenze von Gegenständlichkeit und Abstraktion bewegt. In anderen Fällen geht Heinrich Kühn noch weiter, der zweite Abzug einer Fotografie auf Papier lässt die Details verschwinden und fast nur noch farbige Flächen erkennen, die Ähnlichkeit mit expressionistischer Malerei von Vertretern der Brücke oder des Blauen Reiters aufweist. Andere Bilder betonen eine andere Stärke der Fotografie, indem sie inhaltlich sehr reduzierte Porträts zeigen, bei denen die Gesichtszüge der Personen deutlich und scharf zu erkennen sind. Damit entsprechen sie wohl am ehesten den Erwartungen an eine ›klassische‹ Fotografie.

Ganz besonders lohnend ist ein Besuch der ständigen Sammlung des Museum Folkwang in Kombination, denn viele Ähnlichkeiten mit den von Heinrich Kühn durch die Fotografie erzeugten Bildgestaltungstechniken lassen sich bei einem Rundgang im Museum Folkwang auf unterschiedlichsten Gemälden wiederentdecken. Der Besuch der ständigen Sammlung ist kostenlos.

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