Buchrezensionen

Arthur Conan Doyle: Spurensicherungen. Schriften zur Photographie, Wilhelm Fink 2014

Ein leidenschaftlicher Hobbyfotograf war der Schriftsteller Conan Doyle. Seine Schriften über Geisterfotografie und Elfen werden jetzt zusammen mit einer seiner bekanntesten Erzählungen und gutgelaunten Artikeln über Fototouren in einem reich illustrierten Buch präsentiert. Stefan Diebitz hat den interessanten Band gelesen.

Wer es vergessen haben sollte, wird durch den Titel daran erinnert, dass Sir Arthur Conan Doyle als der Schöpfer des Meisterdetektivs Sherlock Holmes der wohl wichtigste Kriminalautor aller Zeiten ist. Spuren sichert der Kriminalist, und manchmal scheint es, als habe sich die Detektivarbeit von Mr. Holmes eben darauf reduziert: Spuren sichern und Schlussfolgerungen ziehen, das war und ist sein Metier. Aber Conan Doyle selbst war als Mensch wie Autor bei weitem vielseitiger, wie jeder Leser seiner anderen Werke weiß, denn er schuf auch Prof. Challenger, der die mehrfach verfilmte »The Lost World« und ihre Dinosaurier auf einem gottverlassenen Hochplateau im Inneren Brasiliens entdeckte, oder schrieb eine ganze Anzahl von Schauergeschichten.

Und er war ein passionierter Hobbyfotograf, dessen Schriften zu diesem Thema nun ein ebenso interessantes wie unterhaltsames Buch mit seinen einschlägigen Erzählungen, Essays und Leserbriefen zusammenfasst. Bernd Stiegler hat es herausgegeben und mit informativen, die verschiedenen Kapitel einleitenden Texten versehen.

Der erste Teil, »Essays zur Amateurphotographie«, versammelt etwas irreführend »Essays« genannte kurze Prosastücke, die samt und sonders noch im 19. Jahrhundert im »British Journal of Photography« erschienen, aber eigentlich keine Essays sind, sondern Erzählungen, meist in einem äußerst sympathischen launig-selbstironischen Ton und mit viel Temperament vorgetragen. Theodor Fontane hätte von »Causerien« gesprochen, denn eigentlich erzählt Doyle nur von Nichtigkeiten, meist Geschehnissen auf kürzeren oder längeren Fototouren, die für die Mehrheit der Leser einzig und allein durch die tatsächlich meisterhafte Darbietung lesenswert sein werden. Zusätzlich können sie aber auch den Historiker der Fotografie ansprechen, denn Conan Doyle diskutiert immer wieder technische Einzelheiten wie zum Beispiel die Vorzüge und Nachteile der Pyrogallussäure im Entwickler. Er spricht damit Themen an, mit denen die Mehrheit seiner heutigen Leser (den Rezensenten selbstverständlich eingeschlossen) kaum etwas anzufangen weiß, die aber deutlich machen, was für ein schwieriges Geschäft das Fotografieren einmal gewesen ist. Wahrscheinlich war es auch ziemlich teuer, aber darüber schweigt sich ein Gentleman aus.

Die Geschichte der Fotografie kann man grob in drei Phasen einteilen – Phase 1 mit höchst umständlicher Technik (Platten! Stativ! Fotograf unter einem Tuch!) und nur in Schwarzweiß, Phase 2 mit Filmrollen, die meist ins Geschäft getragen wurden, damit man sich eine Woche später die immer häufiger auch farbigen Bilder anschauen konnte, endlich die heutige Phase 3 mit Digitaltechnik, in der jeder immer und zu jeder Zeit knipst, um sich das Bild schon im nächsten Augenblick anzuschauen und gegebenenfalls zu vernichten. Arthur Conan Doyle war ein Enthusiast der ersten Stunde und Phase, der auf seinen Fototouren am Wochenende in Devon oder Schottland oder auch auf einer längeren Reise in Afrika eine Menge Gepäck mitnahm und es sich trotzdem bei jedem Motiv dreimal überlegen musste, ob er noch genügend Platten habe. Auch war er sich bei einem sich bewegenden Motiv nie sicher, ob er selbst schnell genug das Stativ aufbauen könne und ob das Bild wohl scharf werde. Und überhaupt, ob es die Mühe lohne, wusste er vorher nie. Am Abend pflegte er selbst zu entwickeln; auch (oder besonders, wenn) er in Afrika große dunkle Flüsse hinauffuhr. Doyle schleppte stets sein ganzes Arsenal an Chemie und Technik mit, um im Badezimmer seines Dampfers aktiv zu werden – weniger, weil er so gespannt auf das Resultat gewesen wäre, sondern eher deshalb, weil nach seiner Überzeugung sonst die Qualität der belichteten Platten litt.

Der Meisterdetektiv Sherlock Holmes praktiziert eine höchst fragwürdige Logik, denn einerseits verstoßen seine Schlussfolgerungen oft genug gegen das Verbot des eindeutigen Schlusses von der Folge auf den Grund, andererseits nimmt er immer nur die Einzelheiten in Augenschein und reflektiert dagegen viel weniger die Gesamtsituation. Man muss ihn sich mit einer Lupe und immer ganz dicht – zu dicht! – vor den Gegenständen vorstellen; wiederholt wird er als jemand beschrieben, der den Tatort auf Knien inspiziert. Es überrascht deshalb ein wenig, dass der Fotograf Conan Doyle so ganz anders als sein Geschöpf ist, denn er neigt viel eher zum Weitwinkelobjektiv und zu Landschaftsaufnahmen. Details spielen überhaupt keine Rolle, und es werden auch entgegen dem Titel keine Spuren gesichert. Tatsächlich fotografierte Doyle in genau derselben Weise wie heutige Amateure: er suchte schöne Landschaften oder pittoreske kleine Städte auf und bedauerte es besonders bei Sonnenuntergängen, auf Farbe verzichten zu müssen.

Ein Kapitel des Buches – »A Scandal in Bohemia« – ist Sherlock Holmes gewidmet und besteht aus dem Faksimile des Erstdrucks der Erzählung im »Strand Magazin«. Es geht um ein Foto, mit dessen Hilfe ein König erpresst werden soll, aber die Tatsache, dass es sich um ein Foto handelt, ist dem Geschehen ganz äußerlich – es hätte ebenso ein handgeschriebener Brief wie bei Edgar Allan Poe oder Oscar Wilde sein können. Interessanter sind da schon die zahllosen Artikel und Leserbriefe, mit denen der erklärte Spiritist Doyle sich für Geister- und Elfenfotografie einsetzte. Abgesehen von der Merkwürdigkeit, dass ein Logiker und wissenschaftlich solide gebildeter Kopf wie der Mediziner Doyle sich so unkritisch für spiritistische Phänomene einsetzte, kann man die Faszination, die von den angeblichen Geisterfotografien ausging, sogar noch verstehen. Dagegen muss es ganz unverständlich sein, dass er die Elfenfotos für voll nahm.

Bei den Geisterfotografien sah man mehr oder minder deutliche Bilder längst Verstorbener auf den Porträts ihrer Angehörigen. Anfang des 20. Jahrhunderts waren besonders die traditionell abergläubischen Engländer derartigen Phänomenen gegenüber sehr aufgeschlossen, und wenngleich manche der Fotografen sehr heftig angegriffen wurden, so fanden sie doch reichlich Anhängerschaft – darunter als den wohl prominentesten Arthur Conan Doyle. Ein wenig kann man sogar verstehen, dass diese Bilder faszinierten. Die Bilder der Elfen dagegen tragen den Charakter einer plumpen Fälschung derart deutlich auf der Stirn, dass man sich wundern muss, wie überhaupt irgendwer darauf hereinfallen konnte. Und wie konnte erst ein derart gebildeter und intelligenter Mensch wie Conan Doyle diese Albernheiten ernst nehmen?

Erstaunlich sind die Widersprüche im Charakter des Autors. Es gibt in den Erzählungen des ersten Teils etliche und dazu wirklich üble rassistische Ausfälle, die man ihm heute kaum nachsehen würde. So ist es für ihn ein besonderes Vergnügen, Afrikaner mit ihren »eigenen Fratzen« zu konfrontieren. In einem Fall ist ein Prinz, den er sarkastisch »Hoheit« nennt, schockiert über seine »wahrheitsgemäß abgebildete Hässlichkeit«. Und Doyle setzt noch einen drauf, wenn er hinzusetzt: »Es handelte sich tatsächlich um eine herausragende Ähnlichkeit, aber dem Monarchen entging wahrscheinlich der Geruch der vorzeitigen Verwesung, der das Original umwehte, auch wenn sich dieser nicht aufs Papier bannen ließ.« In demselben Artikel schreibt er über Afrikaner: »Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass man sie bereits beim ersten Treffen verabscheut und sie nur noch weniger zu schätzen vermag, je besser man sie mit der Zeit kennenlernt.«

Aber es ist derselbe, allerdings um mehr als zwanzig Jahre ältere und offenbar menschlich gereifte Autor, der 1909 bei der wahrscheinlich ersten groß angelegten Menschenrechtskampagne der Geschichte eine ebenso wichtige wie rühmliche Rolle spielte und die Verbrechen in Belgisch-Kongo anzuprangern half. Fotos von verstümmelten Menschen leisteten ihm eine wesentliche Hilfe, als er 1909 sein Buch »The Crime of the Congo« veröffentlichte. Auf dem Umschlag ist das Foto eine Kindes zu sehen, dessen linkem Bein der untere Teil der Wade, dessen rechtem Arm die Hand fehlt. Weitere Bilder waren im Frontispiz des Buches abgebildet und sind jetzt in diesem empfehlenswerten und interessanten Buch aus der Feder eines sehr widersprüchlichen Menschen zu sehen.

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