Ausstellungsbesprechungen

Wozu Bilder? Gebrauchsweisen der Fotografie, Kunstsammlung Jena, bis 1. März 2015

Zum 175. Geburtstag der Fotografie in diesem Jahr bietet die Jenaer Schau einen anderen, ja eigentlich vergessenen Blick auf das Medium und fokussiert in 300 Aufnahmen dessen verschiedene Gebrauchsweisen. Dafür geht es zurück in die Kinderstube. Rowena Fuß weiß mehr.

Wozu Bilder? Die ungewöhnliche Fragestellung im Titel geht auf die durchaus gängige Praxis zurück, sich in Fotografieausstellungen lediglich auf bekannte Namen oder ästhetische Auswahlkriterien zu konzentrieren.

Das kann man so nicht stehen lassen, dachten sich die beiden Konstanzer Professoren Felix Thürlemann und Bernd Alexander Stiegler. In einem zweisemestrigen Projekt untersuchten sie mit ihren Studierenden über 1000 Aufnahmen einer süddeutschen Privatsammlung. Was sie dabei zu den Gebrauchsweisen der Fotografien erarbeiteten, die Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, floss in die Ausstellung, deren erste Station Esslingen war, und einen Katalog.

Vergewissern, porträtieren, erinnern, betrauern, verehren, identifizieren, spionieren, erkunden, forschen und deuten beschreiben nur einige Tätigkeiten, die sich mit dem Medium verbinden. Als Schriftzüge sind sie unter allen Bilder zu finden und leiten so den Besucher bei seinem Rundgang. Immer wieder dienen sie auch als Aufforderung.

Um welche Stadt handelt es sich wohl bei einer Luftaufnahme, unter der »deuten« steht? Die Infotafel nebenan gibt Antwort: Es ist Leningrad. Sie ist Teil von vier weiteren Fotografien, die während des Ersten und Zweiten Weltkriegs entstanden. In der Aufnahme ist ein Teil der Innenstadt zu sehen, in dem sich u.a. eine Fabrik für Schiffsbauteile befand, die von der deutschen Luftwaffe mehrmals bombardiert wurde.

Die Fotografie sei »ein Hilfsmittel für die Künste und die Wissenschaften geworden. Sie ist allmählich aus dem Studio des Porträtfotografen hinabgestiegen in das Atelier des Malers, in das Laboratorium des Wissenschaftlers, in den Salon des Mannes von Welt und selbst das Boudoir der eleganten Damen. Sie hat die Meere überquert, die Gebirge erklettert und die Kontinente durchreist …«, schrieb der Herausgeber der ersten Fotografiezeitschrift Ernest Lacan 1856 über den Triumphzug des damals noch sehr jungen Mediums. So nimmt es auch nicht wunder, dass in dieser frühen Experimentierphase die vielfältigsten Gebrauchsweisen auftraten: dokumentarische Aufnahmen zu naturwissenschaftlichen Forschungen, Reisefotografien, Porträtfotografien für den Gebrauch in der Familie, »Lebende Bilder« von Theateraufführungen, Aufnahmen von Delinquenten, die in die Akte zu Fingerabdrücken u.a. gelegt wurden und vieles mehr. Acht Sektionen ordnen sie in einen größeren Zusammenhang ein: Bilder von Menschen, Gemeinschaften, der Welt, Dingen und Räumen, der Natur, Tieren, Gedanken und der Zeit.

Zuweilen kommt es zu skurrilen Begegnungen. Etwa bei der Reproduktion eines personalisierten Ablassbriefes, der Josephine Girentet und deren Verwandten bis zum dritten Grad (!) von ihren Sünden freisprach, oder Fehlaufnahmen. Unter dem Titel »Distortion« erblickt man eine sich krümmende Häuserzeile, wie sie manchem aus dem Film »Das Kabinett des Dr. Caligari« bekannt sein dürfte. Aber auch das Gruppenfoto mehrerer Männer vor den Niagarafällen ist falsch. Das heißt: zum Teil. Die Männer posieren nicht wirklich vor den Wasserfällen, sondern sitzen vor einer Bildtapete in einem Studio. Und wenn man dort gerade keine hatte, gab es noch eine andere Möglichkeit, das Naturschauspiel mit ins Bild zu bekommen: die Montage. Besonders ein Bild in der Reihe entlarvt diese Praktik: Es zeigt weiße Ränder um die Porträtierten.

Alles in allem gesehen eine pittoreske Ausstellung, deren Besuch sich lohnt.

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