Giovanni Fanelli, Marc Walter, Sabine Arque: Italy 1900. Ein Porträt in Farbe. Taschen Verlag

Bereits um 1900 gehörte Italien zu den Sehnsuchtszielen des bürgerlichen Tourismus. Was die Reisenden jener Zeit sehen konnten und wollten, dokumentieren die Photochrome dieses opulenten Coffetable–Books. Torsten Kohlbrei hat sich den Band angeschaut.

Cover © Taschen Verlag
Cover © Taschen Verlag

Inzwischen reisen wir wieder. Nach Griechenland, Spanien, vielleicht nach Asien, ganz sicher aber auch nach Italien. Immer im Gepäck: die Sehnsucht nach jenen Bildern, die sich schon lange vor Reiseantritt im Kopf festgesetzt haben.
Um solchen Projektionen zu begegnen, kann man zumindest auf der Suche nach dem Land, in dem die Zitronen blühen, getrost daheimbleiben und gelassen in dieser – mit 580 Seiten ganz sicher nicht reisegepäcktauglichen – Publikation des Taschen Verlags stöbern: »Italy 1900. Ein Porträt in Farbe«.

Man blättert sich von den Alpen nach Turin und Genua, über Mailand nach Venedig und Triest. Dann geht es den Stiefel hinunter bis nach Sizilien. Und überall finden sich die viel gesehenen Motive: die Spanische Treppe in Rom, den Florentiner Palazzo Vecchio, das Forum Romanum. Fremd werden die historischen Aufnahmen erst durch den Alltag rund um die ikonischen Bauwerke. Pferdekutschen sind noch Normalität und kein touristisches Vergnügen. Geschäftsmann, Tourist oder Tagelöhner sind aufgrund ihrer Kleidung noch gut erkenn– und unterscheidbar.
Ansonsten deckt sich das Repertoire der Wunschziele von 1900 mit den auch heute noch beliebtesten Orten. Ganz allein dem touristischen Blick folgt die Auswahl jedoch nicht. Die Herausgeber:innen weisen in ihrer Einleitung daraufhin, dass Südtirol und Triest wohl aus einem politischen Grund besonders häufig abgebildet wurden. Diese Landesteile gehörten um 1900 zu Österreich–Ungarn und wurden erst nach dem Ersten Weltkrieg Teil des italienischen Staates.

Venedig, Canal Grande mit Rialtobrücke © Marc Walter Collection, Paris
Venedig, Canal Grande mit Rialtobrücke © Marc Walter Collection, Paris

Neben solch zeithistorischen Details markiert eine merkwürdig hyperreale Farbigkeit den besonderen Reiz der Bilder. Da geht der Blick über den Kanal zur Piazzetta und dem Dogenpalast in Venedig. Das Wasser ist blau, der Palazzo leuchtet backsteinrot. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man, dass im Hintergrund das Gebäude farblos Schwarzweiß abgebildet wird, allein das goldene Zifferblatt am berühmten Uhrturm setzt einen Farbakzent.
So entlarvt die genaue Betrachtung die akribische Arbeit der Koloristen. Denn bei den Bildern dieses Bandes handelt es sich um Photochromdrucke sowie handkolorierte Schwarzweiß–Fotografien. Um die Jahrhundertwende befand sich die Farbfotografie noch in einem Experimentierstadium, erst 1928 brachte Kodak den ersten Farbdiafilm auf den Markt. Die Drucktechnik der Photochrome nutzte daher Schwarzweiß–Negative und ergänzte Farbakzente durch den Einsatz von bis zu 18 Druckplatten mit transparenten Farben.

Trajansforum mit Trajanssäule und den beiden Barockkirchen Santa Maria di Loreto und Santissimo Nome di Maria aus dem 18. Jahrhundert © Marc Walter Collection, Paris
Trajansforum mit Trajanssäule und den beiden Barockkirchen Santa Maria di Loreto und Santissimo Nome di Maria aus dem 18. Jahrhundert © Marc Walter Collection, Paris

In der Schweiz professionalisierte das Unternehmen Photoglob dieses Verfahren so weit, dass 1896 bereits 3.000 europäische Motive vorlagen. Insbesondere für Ansichtskarten wurden Photochrome zum gängigen Verfahren, das auch andere Hersteller nutzten.
Die Lithografen und Koloristen erstellten die Farbplatten in Handarbeit, ihre Leistung bestand dabei einerseits in der möglichst augentäuschenden Herstellung eines natürlich wirkenden Farbbilds, andererseits ist deutlich zu erkennen, dass die Bilder ein Ideal mit blauem Himmel und harmonischem Farbspiel zeigen sollten.

Gardone Riviera am Gardasee, um 1900 © Marc Walter Collection, Paris
Gardone Riviera am Gardasee, um 1900 © Marc Walter Collection, Paris

Wer sich auf die Betrachtung der Photochrome einlässt, kann deshalb gleich drei Reisen unternehmen: eine Sofa–Tour zu den italienischen Sehnsuchtsorten, eine Reise in die vergangene Zeit des Fin–de–Siècle und eine Expedition zu den Anfängen der heutigen Bildproduktion, als mit dem technischen Abbilden auch direkt die Manipulation begann.


Titel: Italy 1900: Ein Porträt in Farbe. A Portait in Color. Portrait en Couleurs.
(dreisprachig)
Autor:innen: Giovanni Fanelli, Marc Walter, Sabine Arque
Verlag: Taschen
Hardcover, 25 x 34 cm, 3,67 kg
580 Seiten

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns