Rezensionen

Grüne Moderne – Die neue Sicht auf Pflanzen. Museum Ludwig, Köln. Bis 22. Januar 2023

Was ist dem Menschen die Pflanze? Die Ausstellung Grüne Moderne. Die neue Sicht auf Pflanzen führt zurück ins frühe 20. Jahrhundert und fragt nach der Darstellung der Pflanze in der Bilden­den Kunst, ihrer Betrachtung in der Botanik und Gesellschaft allgemein. Denn so nüchtern Topfpflanzen im Bild auf den ersten Blick aussehen mögen, so sachlich sich botanische Berichte lesen, erzählen sie immer auch von den Widersprüchen, Ängsten, Sehnsüchten und Ideologien der Moderne. Birgit Rackensperger hat sich die Kölner Schau angesehen.

Max Ernst, Tänzerin, aus einer Blüte steigend,  um 1913, Museum Ludwig, Köln.  (Foto: Birgit Rackensperger)
Max Ernst, Tänzerin, aus einer Blüte steigend, um 1913, Museum Ludwig, Köln. (Foto: Birgit Rackensperger)

Die Ausstellung empfängt die Besucher:innen mit lebenden Exponaten, Pflanzen in kleinen Gewächshäusern, eine sogenannte nachhaltige Pflanzenproduktion von Wissenschaftler:innen (CEPLAS) angelegt.
Das Thema Nachhaltigkeit wird dann auch in einem Wandschriftbild ausführlich dargestellt, wie das Museum selbst, das Gebäude, die Prozesse und Produkte auf nachhaltige Weise in Zukunft gestaltet werden. Beispielsweise wird die Dachterrasse des Gebäudes mit Pflanzen begrünt, um die biologische Vielfalt der Stadt zu erhöhen. Die ausgestellten Exponate werden vorwiegend aus der museumseigenen Sammlung bezogen, um aufwändige Kunsttransporte zu vermeiden. Handgeschriebene Texte ersetzen die ursprünglichen Folienschriften an den Wänden und der Ausstellungskatalog wird digital unter www.gruene–moderne.de kostenfrei zur Verfügung gestellt.

Die zentrale Fragestellung dieser Ausstellung soll die Betrachter:innen anregen, über das Verhältnis des Menschen zur Pflanze nachzudenken, vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels. Insgesamt arbeiteten 227 Personen an dieser Ausstellung, die sämtliche Gattungen umfasst. Die vorwiegend zu Beginn des 20. Jahrhunderts konzipierten Werke wurden thematischen Schwerpunkten untergeordnet. »Seit Jahrtausenden waren westliche Vorstellungen von Weiblichkeit mit Blumen verknüpft.« (Die angeeignete Pflanze, www.gruene-moderne.de

Unter dem Schwerpunkt, Die Angeeignete Pflanze, werden Fotografien der sogenannten neuen und modernen Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts gezeigt. Sie verzichtete trotz Kurzhaarschnitt und männlicher Bekleidung, wie beispielsweise Marlene Dietrich, nicht auf eine deutlich sichtbare Blüte am Revers ihres Fracks. Nicht immer wurden die Blüten so offensichtlich zur Schau gestellt, denn manche einer trugen die Pflanzenpracht auch unter der Kleidung, als Tätowierung auf bloßer Haut.
Das Thema Blüte und Geschlecht wirft die Frage nach »männlich« und »weiblich« auf. Es wird der Botaniker Carl von Linné (1707–1778) angeführt, der seine Theorie der Blüte von getrennt männlich oder weiblich auf das menschliche, heterogene Denkmodell übertragen haben soll. Ausgestellte Literatur widmet sich dem Thema, und die ästhetisch ansprechende Skulptur Knospenkranz von Hanns Arp (1886–1966) zeigt die künstlerische Umsetzung von Sexualität und Blüte.

 Hans Arp, Knospenkranz, Museum Ludwig, Köln.                                                                                                              (Foto: Birgit Rackensperger)
Hans Arp, Knospenkranz, Museum Ludwig, Köln. (Foto: Birgit Rackensperger)

Die ausdrucksstarke Form der Skulptur führt zum Schwerpunkt, Die Pflanze als Form und Farbe. Die fotografischen Makroaufnahmen des Bildhauers und Botanikers Karl Blossfeldt (1865–1932) stellen kleinste Details und Strukturen einzelner Pflanzenteile dar. Eine geschlossene Samenkapsel, auch Blumenbachia hieronymi bezeichnet, wird in achtfacher Vergrößerung in ihrer spiralförmigen Symmetrie gezeigt. Die Pflanzen erhalten in den Fotografien von Karl Blossfeldt ein Eigenleben und zeigen ihre Oberflächenstrukturen, ihre Dornen und Ranken. Sie dienten ursprünglich als Zeichenvorlagen für den Kunstunterricht. Aber auch die Fotografien von Max Baur (1898–1988) aus den 1930er Jahren, mit Margeriten, Glockenblumen und Zittergras, erinnern an die Kindheit, in der man durch das hohe Gras der Wiesen lief.

Als weitere These wird die Pflanze als Verwandte bezeichnet. Bereits im 19. Jahrhundert wurde durch mikroskopische Aufnahmen festgestellt, dass Menschen, sowie Tiere und Pflanzen insgesamt alle aus Zellen aufgebaut sind.
Der im Jahr 1926 erschienene Film »Das Blumenwunder« der Deutschen Kinemathek in Berlin zeigt in faszinierenden Großaufnahmen das Wachsen, das Erblühen und das Welken der verschiedensten Pflanzen in Zeitraffer–Aufnahmen. So wurden für eine Tabakpflanze 5306 Einzelaufnahmen über 105 Tage angefertigt. Die Interaktionen zwischen den einzelnen Blüten lassen Staunen, da sie in gewisser Weise menschlichen Gesten sehr ähnlich scheinen.
Die Pflanzenszenen werden von Tänzer:innen und ihren Bewegungsstudien ergänzt, die in ihrer Ausdrucksform das pflanzliche Wachsen widerspiegeln. Und so gleichen die Blüten, die sich entfalten und zu einem Blütenmeer bilden, im Wind hin– und herwiegend, den Ausdrucksformen junger Tänzer:innen, die sich der Musik hingeben.

Der Film bildet den Abschluss der Sonderausstellung, die für alle sehenswert ist, die sich für die Themen der Natur interessieren. Die Exponate zeigen deutlich die Verbundenheit von Mensch und Pflanze, insbesondere die im Film dargestellten Makroaufnahmen der Blüten in Bezug zu den tänzerischen Ausdrucksformen. Aber auch der Blick durch die Kamera für die Einzigartigkeit jedes einzelnen Pflanzendetails in den Schwarz-weiß Fotografien von Karl Blossfeldt ist beeindruckend und stellt die unglaubliche Vielfalt der Formen als skulpturale Gebilde dar.
Die Grüne Moderne, ausgestellt in den weitläufigen Räumen im Erdgeschoss des Museums, ist mit begleitendem Angebot von Führungen und Workshops noch bis zum 22. Januar 2023 zu sehen.

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