Henrike Holsing (Hg.): Hexen! Über Körper, Wissen und Macht. Wienand Verlag

Das Cover zeigt eine sich schwungvoll erhebende junge Frau, die Fotografin Christiane Möbus fulminant in Szene setzte. Mit Flügeln ausgestattet und doch so ganz und gar nicht als Engel geltend, weil in eine andere geheimnisvolle Sphäre deutend. Der vorliegende Katalog ist die begleitende Publikation zur gleichnamigen erfolgreichen Ausstellung im Würzburger Museum im Kulturspeicher. Fasziniert hier der Horror, sind es die menschlichen Abgründe, die das Publikum so sehr in den Bann nehmen? Melanie Obraz hat die gruselige wie auch brisante Thematik verfolgt.

Cover © Wienand Verlag
Cover © Wienand Verlag

Um das Jahr 1500 beginnt die Tragik vieler ermordeter Frauen und auch einiger Männer, die in den Sog der Hexenverfolgung geraten. Ein oft furchtbares, ja barbarisch anmutendes Szenario hat sich oft ereignet und so stehen zugleich die psychischen Abgründe der Täter und Mittäter zur Debatte. Mag es hier sogar einen Bezug bis in unsere heutige, anscheinend so aufgeklärte Zeit geben?
Doch wie zeigt sich nun eine (vermeintliche) Hexe? Mal ist es die böse und vor allem hässliche Alte, dann wiederum ist es die schöne, attraktive und sinnliche junge Frau, die durch ihr selbstbewusstes Auftreten, die Angst der Männer vor allzu großer Selbstständigkeit herausforderte. Die Eckpunkte sind schnell ausgemacht: die Intelligenz gepaart mit dem Wunsch selbst bestimmt leben zu können (zumindest in bestimmten Bahnen) und das bewusste Einsetzen der sinnlichen Reize der Frau, gaben den Anlass hier das Werk des Teufels zu vermuten. Der Volksglaube hatte hier schon Vorschub geleistet und so fand sich alles Weibliche nur zu leicht in der Nähe des mythisch Verklärten, welches aber meist negativ besetzt war. Die Frau wurde so als Konkurrenz des Mannes aufgebaut, ja als Gegnerin, der man sich entgegenstellen musste. Auch deshalb stehen Grausamkeit und Unterdrückung als Hauptmerkmale im Fokus der verfassten Katalogbeiträge. Das Wissen um die eigene weibliche Ausstrahlung wird als Verführung zum Negativen klassifiziert und damit abgelehnt.

Roeber, Fritz Walpurgisnacht, um 1910, Öl auf Leinwand, Museum Abtei Liesborn, 186 x 206 cm, © Museum Abtei Liesborn (Kein Fotografenname bekannt)
Roeber, Fritz Walpurgisnacht, um 1910, Öl auf Leinwand, Museum Abtei Liesborn, 186 x 206 cm, © Museum Abtei Liesborn (Kein Fotografenname bekannt)

Darüber hinaus stellen die Autor:innen in ihren Beiträgen sehr eindringlich die Frage nach dem Stellenwert der Frau im Allgemeinen. Warum entzog man ihr jede Wertschätzung? Alles war auf das Religiöse und den Gottglauben hin ausgerichtet und so entzog man der Frau jegliche Befähigung, an Gott zu glauben. Nur eine Begabung hinsichtlich des Gottglaubens hätte sie zum vollwertigen Menschen machen können. Aber jene Fähigkeit stand ihr nicht zu. Jene Aberkennung zeichnet auch das Fluidum des Hexenhammers wie auch schon die Rolle der Frau im Mittelalter. Es war dieses negative Frauenbild, welches durch das von Heinrich Kramer (Institoris) verfasste Werk: "Malleus Maleficarum: Hexenhammer" – in die Welt gesetzt wurde und infolge einer hasserfüllten Aura gekennzeichnet war.

Cindy Sherman, Untitled # 151, 1985, Color photograph, 180,3 x 120,7 cm, Private Collection, Courtesy Sprüth Magers © Cindy Sherman
Cindy Sherman, Untitled # 151, 1985, Color photograph, 180,3 x 120,7 cm, Private Collection, Courtesy Sprüth Magers © Cindy Sherman

Die Autorin Silvia Federici weist mit Vehemenz darauf hin und erklärt die unheilvollen Zusammenhänge. Vor allem die mögliche intellektuelle Überlegenheit der Frau, gab Anlass zum Hass. Aus diesem Grunde stand das Weibliche für eine niedrige und zu verachtende Triebhaftigkeit. Eigentlich war sie gar als ein Fehler der Natur gekennzeichnet und zwar um ihre angebliche Minderwertigkeit zu begründen. Sie galt als ein in ihrer Emotionalität gefangenes Wesen, welches dadurch höchst beschränkt war. Jene der Frau untergeschobene Minderwertigkeit war also nicht nur von körperlicher, sondern vor allem auch von geistiger Art. Die biblische Schöpfungsgeschichte der Frau wird negativ interpretiert. Die Frau ist als Nachfolgerin der schuldig gewordenen Eva - ein zu verachtendes Wesen. Einzig und allein die Jungfrau Maria erfährt als weibliches Wesen hier eine Ausnahme. Hexenverfolgungen wurden so auch von Seiten Papst Innozenz VIII. in der päpstlichen Bulle aus dem Jahr 1484 unterstützt. Doch selbst Männer konnten dieser Anweisung zufolge in den Sog der Verfolgung geraten. Auch wenn Schriften des Kirchenoberhauptes nicht überall Zustimmung erfuhren, kam es doch zu dem Wahnsinn der Hexenverfolgung, die im Besonderen auch in der frühen Neuzeit wütete.

Alfred Kubin, Walpurgisnacht, 1921, Tuschfeder, Einfassungslinie, OÖ Landes-Kultur GmbH, Land Oberösterreich, Grafische Sammlung, Foto Ernst Grilnberger
Alfred Kubin, Walpurgisnacht, 1921, Tuschfeder, Einfassungslinie, OÖ Landes-Kultur GmbH, Land Oberösterreich, Grafische Sammlung, Foto Ernst Grilnberger

In mannigfaltiger Weise zeigt der Katalog Werke der bildenden Kunst, die sich dieser Thematik widmen und sich oft in jener verlieren. Auch der Kunst war die kritische Distanz nicht eigen und ihre Akteure verfielen in vielen Fällen dem Aberglauben. Kunstwerke zielten darauf hin, das Bild der "bösen Hexe", ja alles Weibliche als das Schlechte oder zumindest als das verdeckt Geheimnisvolle, welches sich der Öffentlichkeit verschließt, zu befördern. Allesamt sind es große Namen – Albrecht Dürer (1471-1521), Hans Baldung Grien (1484 oder 1485-1545 ) Teresa Feodorowna Ries (1866–1956) und viele mehr –, die mit eindrucksvollen Werken, die Frau als das Besondere, aber eben auch als das Fatale ins kollektive Gedächtnis festschreiben. Damit ergeht zugleich der Appell an das Publikum, sich auf eine neue und gediegene Sichtweise einzulassen, einen distanzierten Blick zu üben. Auch Mary Wigman (1886–1973), die mit ihrem expressionistischen Ausdruckstanz für eine völlig neue Art des weiblichen Bühnentanzes steht, und ihre Interpretation der Hexe, ruft teilweise eine Ablehnung von Seiten des Publikums hervor. Stets ist es auch hier die grundlegende Vorstellung von dem, wie eine Tänzerin als Frau zu sein hat. Oft kommt das Publikum mit bereits feststehenden Bildern im Kopf daher und sperrt sich gegen Neues in der Kunst. Die positive Sicht einer weiblichen Selbstbehauptung scheint lange Zeit kaum erträglich, versagt sich doch die Gesellschaft allen Neuerungen.

Teresa Feodorowna Ries, Hexe bei der Toilette für die Walpurgnisnacht, 1896, Gips-Abguss des Marmor-Originals, 130 x 60 x 110 cm, Wien Museum, Foto Birgit und Peter Kain-1
Teresa Feodorowna Ries, Hexe bei der Toilette für die Walpurgnisnacht, 1896, Gips-Abguss des Marmor-Originals, 130 x 60 x 110 cm, Wien Museum, Foto Birgit und Peter Kain-1

Immer wieder verdeutlichen die Autor:innen die Ambivalenz hinsichtlich des entstehenden negativen Frauenbildes. So wird die Frau ausschließlich zwischen Maria und Eva – Gut und Böse – verortet. Eine sehr erstaunliche Interpretation einer Hexe gelangte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Fokus der kunstgeschichtlichen Betrachtung. Konnte hier gar eine Skulptur den Weg zur gewandelten Symbolfigur schaffen ?
Die erotische Hexe der österreichischen Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries deutet klar in diese Richtung, untergräbt ihre Darstellung des Typus doch die damals vorherrschende Sexualmoral. Zwar stellten auch Herren der künstlerischen Avantgarde ihre Modelle in ähnlich gewagten Posen dar, aber bei einer Bildhauerin war dies eine nicht zu akzeptierende Sichtweise. Damit steigt die Hexenfigur zur Verkörperung eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins auf und steht zugleich für eine offen auftretende weibliche Sexualität.

Otto Greiner, Hexenschule, 1907, Radierung, 115 x 395 mm, Privatbesitz, © Hampel Fine Art Auctions
Otto Greiner, Hexenschule, 1907, Radierung, 115 x 395 mm, Privatbesitz, © Hampel Fine Art Auctions

Sehr prägnant und von höchster Eindringlichkeit zeigt sich dann auch das Ende des Kataloges, wenn ein spezieller Rundgang von den Lesern:innen abgegangen werden soll und das Grauenvolle als historische und zugleich fatale Wahrheit im Raum schwebt. Das Schicksal einzelner Personen bekundet sich an Hand der Gerichtsakten, der Foltermethoden, der immer wiederkehrenden Befragung, die nur dem einen Ziel dient, die beschuldigte Person zu zerstören. Eine Chance, dem Martyrium zu entgehen, gibt es scheinbar nicht.
Der letzte Rundgang ist dann eine Konfrontation mit der Realität, der sich das Publikum nicht verschließen kann. Stehen am Ende gar Betroffenheit und Verstehen? Den Autor:innen gelingt es damit, einen Moment der Beklommenheit wach zu halten – auch für die Zukunft, denn nur zu oft war man der Macht der Institutionen ohne jedwede Reflexion ergeben.

Titel: Hexen! Über Körper, Wissen und Macht.
Herausgegeben von: Henrike Holsing
Mit Beiträgen von: Henrike Holsing, Johanna Braun, Silvia Federici, Luisa Heese, Robert Meier
200 Seiten / mit zahlr. Abb.
Sprache: Deutsch / Englisch
ISBN 978-3-86832-779-3

Francisco de Goya, Linda Maestra!, aus Los Caprichos, Blatt 68, Radieurng Aquatinta ploiert, Kaltnaadel, 21 x 15 cm, Morat Inistitut, Freiburg
Francisco de Goya, Linda Maestra!, aus Los Caprichos, Blatt 68, Radieurng Aquatinta ploiert, Kaltnaadel, 21 x 15 cm, Morat Inistitut, Freiburg

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns