Bis zur Corona–Krise zeigte die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe einen der außergewöhnlichsten deutschen Künstler der Renaissance: Hans Baldung Grien (1484/85–1545). Noch immer fasziniert sein vielfältiges und eigenständiges Werk. Der begleitende Katalog umfasst rund 250 der Exponate zu denen auch die berühmten Sündenfalldarstellungen und die drastischen Hexenszenen zählen. Ein einzigartiger Überblick über das Werk dieses großen Malers, Zeichners und Druckgraphikers. Robert Bauernfeind hat ihn für PortalKunstgeschichte gelesen.
Mit Hans Baldung Grien widmete die Kunsthalle Karlsruhe im Winter 2019/2020 einem der bedeutendsten Künstler der nordalpinen Renaissance eine umfangreiche Retrospektive. Die Ausstellung – so viel sei vorab bemerkt – war exzellent. Chronologisch–biographisch angelegt, bot sie einen Überblick über das gesamte Werk des Künstlers, der von den frühen Jahren in der Werkstatt Albrecht Dürers über Baldungs Zeit in Straßburg, Freiburg und anschließend wieder Straßburg reichte, wo der Künstler sich 1517 endgültig niederließ und bis zu seinem Todesjahr 1545 lebte. Diese Lebensstationen wurden differenziert durch Baldungs hauptsächliche Aufträge bzw. seine schwerpunktmäßigen Themen: Die Glasmalerei etwa, auf die sich der Künstler noch in Nürnberg spezialisierte, den Hochaltar des Freiburger Münsters (der immobil ist, jedoch auf einem interaktiven Bildschirm verblüffend nahe herangezoomt werden konnte), aber auch Porträts und ikonographische Schwerpunkte wie den Sündenfall; das Karlsruher Skizzenbuch, das zu den zentralen Quellen für die Baldung–Forschung gehört, erhielt ein eigenes Kabinett. Diese biographisch orientierte Anordnung wurde durch das titelgebende Konzept – »heilig/unheilig« – weiter differenziert. Eine Aufteilung die zunächst beliebig erscheint, schließlich bediente beinahe jeder Maler und Graphiker des 16. Jahrhunderts sowohl sakrale als auch profane Bildthemen und schuf damit Werke, die sich in einer solchen Dichotomie unterscheiden ließen; bei Baldung wird der Kontrast jedoch mit besonderer Schärfe erfahrbar, malte und stach der Künstler doch einerseits eindringliche Bilder der Heilsgeschichte, andererseits auch jene notorischen Hexendarstellungen, in denen das Böse – der Abfall von Gott – stets mit einer visuellen Verführung des Betrachters einhergeht.
Wie sehr Baldung die Verführungskraft seiner weiblichen Figuren nutzte, um Verführbarkeit als moralisches und religiöses Schwanken den eigenen – männlich zu denkenden – Betrachtern vorzuführen, das machte die Schau auch anhand anderer Themen wie eben dem Sündenfall oder den ‚Weiberlisten‘ deutlich. Dieser Ansatz wurde dadurch vertieft, dass die Ausstellung mit hochwertigem, sehr sinnfällig gehängten Vergleichsmaterial aufwarten konnte, das die Behandlung derselben Themen bei Zeitgenossen wie Albrecht Dürer und Lucas Cranach d.Ä. zur Anschauung brachte.
Die Wahl, Hans Baldung Grien zum Thema einer Großen Landesausstellung zu machen, war, am Rande bemerkt, nicht zufällig. Sie erwies dem 60. Jubiläum einer Baldung–Ausstellung Referenz, die 1959 ebenfalls in der Karlsruher Kunsthalle stattgefunden hatte und als Ergebnis einer jahrelangen, in erster Linie kennerschaftlich orientierten Forschung maßgeblich zur Konsolidierung des Œuvres des Künstlers beigetragen hatte. Mit der aktuellen Ausstellung bot sich überdies die Gelegenheit, Ansätze jüngerer Ausstellungen wie jener im Frankfurter Städel 2007 aufzunehmen bzw. zu überdenken. Die umfangreiche Forschungsarbeit, welche die aktuelle Schau in Karlsruhe vorbereitet hat, schlug sich in gleich zwei gewichtigen Publikationen nieder, die sie begleiten. Unter dem Titel »Hans Baldung Grien. Neue Perspektiven auf sein Werk« fasst eine Aufsatzsammlung 21 Beiträge der zeitgenössischen Baldung–Forschung zusammen, die von renommierten Spezialisten bzw. die altdeutsche Malerei und Graphik verfasst wurden.
Das Buch der Wahl, um die Ausstellung Revue passieren zu lassen, ist hingegen der Katalog. Auch dieser ist in keiner Weise ein Leichtgewicht: Mit über 500 Seiten wiegt das großformatige Buch schwer und ist im leuchtend grünen Einband – eine Anspielung auf Baldungs Beinamen Grien, den er wegen seiner grünen Kleidung erhalten haben soll – ansprechend gestaltet. Schon beim ersten Durchblättern sticht überdies die hohe Qualität der Abbildungen ins Auge. Die Gemälde sind so genau wiedergegeben, dass selbst sehr feines Craquelé zu erkennen ist; zudem ist die Farbtreue außerordentlich hoch. Ebenso präzise sind auch die Abbildungen der Graphiken wiedergegeben. Dies kommt insbesondere den Kupferstichen zugute, bei denen selbst die feinsten Linien deutlich erkennbar bleiben. Bedauerlich ist allenfalls, dass man sich bei einigen wenigen Abbildungen für eine Formatierung über den Mittelfalz entschieden hat. Insgesamt aber kommt der Katalog in technischer Hinsicht dem Ausstellungserlebnis so nahe, wie es nur möglich ist.
Auch inhaltlich bleibt das Buch eng am Aufbau der Schau, wobei dem Katalog der ausgestellten Werke drei einführende Essays vorangestellt sind: Holger Jacob–Friesen erläutert im ersten das Ausstellungskonzept des Heiligen und Unheiligen anhand eines bislang nicht publizierten Baldung–Gemäldes mit der Darstellung von Lot und seinen Töchtern, von dem die Kunsthalle drei Fragmente besitzt. Julia Carrasco gibt einen stilkritischen Überblick über Baldungs graphisches Werk, in dem die als ‚Kugelläuferin‘ bekannte Hell–Dunkel–Zeichnung im Zentrum steht. Frank Mullers Essay thematisiert schließlich mit Humanismus und Reformation am Oberrhein die maßgeblichen geistesgeschichtlichen Diskurse, in deren Kontext Baldungs Werk entstand. Der anschließende Katalogteil zeichnet dann in 17 Stationen den eingangs benannten biographisch–chronologischen Aufbau der Ausstellung nach, wobei in der ersten Hälfte die Orientierung an biographischen Abschnitten wie Baldungs Beziehung zu Dürer und Baldungs Tätigkeit in Straßburg überwiegt, während Baldungs Werk von seinen mittleren Lebensjahren bis zum Spätwerk nach thematischen Schwerpunkten wie Hexen, Sündenfall, antiker Mythologie und den Herausforderungen der Reformation geordnet wird. Dass gerade einige Arbeiten aus Baldungs Spätwerk – allen voran der unter dem Titel ‚Der behexte Stallknecht‘ berühmt gewordene Holzschnitt aus der Zeit um 1534 – letztlich kaum befriedigend zu deuten sind, verschweigen die ausführlichen, aber angenehm lebhaft verfassten Beiträge zu den einzelnen Bildern nicht.
Es gehört zu den besonders zu würdigenden Leistungen des Katalogs, dass diese Texte bei angenehmer Lesbarkeit den Stand der Forschung reflektieren. Die Autoren haben mithin der Versuchung widerstanden, als Begleitband zur Ausstellung lediglich ein anmutiges ‚Bilderbuch‘ zu publizieren, wie es bei vergleichbaren Schauen mitunter der Fall ist. In der vorliegenden Form bietet der Katalog nicht nur eine makellose Einführung in Baldungs Werk; zusammen mit der erwähnten Aufsatzsammlung liefert er auch eine hervorragende Grundlage für die universitäre Lehre.