Rezensionen

Hermann A. Schlögl/Regine Buxtorf: Ägypten - Geschichte in Stein. Harrassowitz Verlag

Vor gut einem Jahr, am 11. Juli 2022, ist Eric Hornung gestorben. Er war einer der größten Ägyptologen der Nachkriegszeit. Mit 24 Jahren hielt er die ersten, wegweisenden Vorträge, mit 34 wurde er Professor in Basel, wo er so etwas wie eine eigene Schule gründete. Die hier zu besprechende Neuerscheinung sollte ein wissenschaftlicher Nachruf auf ihn sein. Doch Hermann A. Schlögl, Emeritus an der Universität Fribourg, der zusammen mit der Baslerin Regine Buxtorf dieses Buch herausgab, verstarb ein halbes Jahr nach dem Tod seines Doktorvaters und Kollegen an der Universität Basel. So ist das Buch auch zu seinem Vermächtnis geworden. Walter Kayser hat sich angesehen, was sich hinter dem vollmundigen Titel verbirgt.

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Wer sich mit dem Alten Ägypten beschäftigt, muss einen ausgeprägten Sinn für den Tod und das Jenseits mitbringen. Denn leicht vergisst man, dass kaum etwas von dem, was wir heute in den Museen der Welt bestaunen können, je dafür bestimmt war, von unseren Augen erblickt zu werden. All die archäologischen Ausgrabungsstücke und Kunstwerke von atemberaubender Schönheit waren zunächst und ausschließlich notwendige Ausstattungsstücke auf dem Weg ins Jenseits. Sowohl der Verfasser dieses Buches als auch vor allem sein Widmungsträger waren Experten für die Jenseitsvorstellungen der alten Ägypter. Eric Hornung blieb ein Nestor seiner Zunft über die Emeritierung 1998 hinaus. In den kaum überschaubaren Titeln seiner Publikationen tauchen häufig die Begriffe «Geist» und «Religion» auf, denn wie kaum ein anderer seiner Zunft wurde er zu einem Vermittler der nur Fachleuten verständlichen Hintergründe jener transzendentalen Landschaften des Alten Ägyptens. Er eröffnete dieses «innere Geheimwissen für einen verschlossenen Kreis» von Eingeweihten (- so die griechische Ursprungsbedeutung von «Esoterik») und gab die alten Texte zu der Jenseitsreise auf den Spuren der Nachtmeerfahrt der Sonne heraus. Weltweit wurde er als der beste Kenner der Spiritualität Ägyptens anerkannt, wie es sich in seiner ganzen Komplexität in den Königsgräbern von Theben-West zeigte. In dieser Tradition entwickelte sich Hermann A. Schlögl (neben und nach seiner Karriere als renommierter Theater- und Filmschauspieler) zu einem würdigen Nachfolger. Sein Forschungsschwerpunkt lag vor allem in jener Phase des Neuen Reiches, den wir mit dem Namen Echnaton verbinden. Von dessen berühmten Nachfolger Tutanchamun wird in diesem Buch ein Kopffragment aus Kalkstein vorgestellt. Unter ihm begann bekanntlich die stufenweise Revision des Anspruchs, wonach der Pharao nicht mehr alleinig der direkte Übermittler von Aton ist. Die mächtige Kaste der Priesterschaft konnte ihren Einfluss zurückgewinnen. Insgesamt gibt Schlögl auch mit diesem Buch einen groben Überblick über alle Phasen, wie er das schon 2006 mit dem bei C.H.Beck erschienenem Werk «Das Alte Ägypten. Geschichte und Kultur von der Frühzeit bis zu Kleopatra» getan hatte.

Sein Titel «Ägypten – Geschichte in Stein» klingt sehr umfassend und sehr gewichtig. Doch nach der Lektüre des Buches kommt man eher zum gegenteiligen Eindruck: Die vorgestellten Objekte der überreichen altpharaonischen Tradition sind in aller Regel von der Art, dass man sie höchstwahrscheinlich achtlos in irgendeiner Vitrine übersehen würde: zu unscheinbar, zu ramponiert, zu winzig. Es handelt sich tatsächlich fast immer um kleine Dinge von wenigen Zentimetern Größe.

In der Frühen Hochkultur am Nil prägte zuallererst das Wasser und der Sand, die alles beherrschende Antinomie von Fruchtland und Wüste das Leben und Denken. So war das Material Stein von Anfang an die Hauptquelle all jener Zeugnisse, die auf Beständigkeit ausgelegt waren. Weiß doch auch heute noch der Volksmund, dass etwas noch in Frage gestellt, angezweifelt und verändert werden kann, solange es nicht «in Stein gemeißelt» ist.

Es ist in Erinnerung zu rufen, dass die allerersten Werkzeuge der Arbeiter, noch bevor man mit Hammer und Meißel Figuren oder Schriften für die Ewigkeit schuf, aus dem Material Stein bestanden, weil Metall noch nicht geschmiedet werden konnte. Für jeden Ägyptenbesucher ist es beispielsweise noch heute ein unvergessliches Erlebnis, vor der nahezu unversehrten Statue des Pharao Chefren zu stehen, die neben vielen anderen in seinem Totentempel gefunden wurde und heute jede 10-Pfund-Note des Landes ziert. Die Figur besteht aus einem der härtesten Steine überhaupt, einem dunkelgrauen Diorit. Dieser ist von einer feinen weiß-geblichen Äderung durchzogen und konnte damals, das heißt vor mehr als 4500 Jahren, nur aus dem tiefen Süden, im nubischen Toshka, nach Gizah geschafft worden sein. Er wurde gebrochen, behämmert, gebohrt, geschliffen und wunderbar glatt poliert - mit nichts anderem als wiederum: Stein.
Dass das Autorenpaar die etwa 20 Kapitel zu den Funden, die sie erläutern, historisch angeordnet haben ist nur logisch. Ohnehin ist für den Laien die 50 Jahrhunderte umfassende Periodisierung der altägyptischen Geschichte nicht leicht zu erfassen. Zwischen die einzelnen Buchabschnitte ist jeweils eine doppelseitige Abbildung des Ausgrabungsgeländes als Portalseite eingefügt.

Die ersten Kapitel dieses Buches behandeln Objekte aus der so genannten vordynastischen Zeit (4000 bis 3100 v. Chr.), noch gut 15 Jahrhunderte vor Chefren und den großen Pyramiden vor den Toren des heutigen Kairo. Aus dieser Frühzeit sind Grabbeigaben, auch Alltagsgegenstände, Schminkplatten, Schnurösengefäße und schlichte Töpfe überliefert, die einen ausgesprochenen Sinn für Abstraktion, vollendete Zurückhaltung in der Formung und die Einbeziehung von Maserungen verraten: schlichte Schönheiten von zeitloser Ästhetik.
Nicht immer nehmen es die Autoren freilich mit der Treue zum Material «Stein», welches der Titel ankündigt, sehr genau. Fayencen können schließlich nur dann noch mit einiger Mühe als künstliches «Steingut» durchgehen, wenn man das gemahlene Kalksteinpulver als ihre Grundsubstanz gelten lässt. - Ein hölzerner Uschebti beim besten Willen aber nicht mehr. Jene zumeist in Mumienform dargestellten Repräsentanten des Toten hatten seit der 18. Dynastie des Mittleren Reiches bekanntlich die Funktion, diesem auf Abruf als Diener im Jenseits zur Verfügung zu stehen. Die Verfasser nehmen als Beispiel das Holzfigürchen des Ineni, der unter Pharao Thutmosis I. im Jahr 1501 zum Bürgermeister der Stadt Theben und zum «Scheunenvorsteher des Amuntempels von Karnak» berufen wurde. Ein anderes Uschebtifragment trägt die Porträtzüge des Bürgermeisters Sennefer. Auch dieses Bruchstück ist denkbar unscheinbar, ganz und gar nicht allerdings Sennefers reich dekorierten Grabkammern, welche wunderbar frisch über und über mit Weinranken überzogen sind. Sein Grab kennt nahezu jeder zeitgenössische Ägyptenbesucher, ist es doch allein schon eine Reise in das etwas abgelegene «Dorf der Handwerker» in Theben-West wert, welches heute den arabischen Namen Abd el-Qurna trägt.

So verstehen es Schlögl und Buxtorf (als seine Stammfotografin) nicht nur hier meisterhaft, im Unbekannten eine Bedeutung aufscheinen zu lassen, weil sie es in einen größeren Horizont einordnen und mit dem Bekannten verknüpfen. Denn genau das ist es ja, was archäologische Arbeit für den Laien immer wieder aufs Neue faszinierend macht: das Einfügen einiger winziger Details in einen verloren gegangenen Zusammenhang, so dass sie zu sprechen beginnen.
Die hier vorgestellten Objekte, klein und zum größten Teil auch in Privatsammlungen verstreut (so ganz klar wird ihre Provenienz nicht), werden neben andere gestellt, - größere Kunstwerke und vor allem auch Schriftquellen. Es sind dies etwa Rollsiegel, Kopfstützen, Porträtfragmente, vor allem Amulette in der Form von Skarabäen, Schildkröten oder auch der Nilpferdgöttin Thoeris, wie sie erst im Neuen Reich und der Spätzeit beliebt wurden, weil diese Schwangere und Neugeborene schützen sollten. Ein Netz von Beziehungen wird geknüpft, die in der Regel auch sehr bedeutende Funde aus den großen Museen der Welt einbeziehen.

Schlögl und Buxtorf, die auch in der Vergangenheit schon als Autorenteam in Erscheinung getreten sind, lassen zusammenwachsen, was quer über die Welt verstreut ist und nur in Buchform miteinander korrespondieren kann. Plötzlich wird sichtbar, was ein kleines Fayenceobjekt mit einer prominenten Statue im ohnehin überquellendem Ägyptischen Museum von Kairo verbindet. Ein Name, der uns als «Schall und Rauch» erscheinen würde, ein gewisser Petamenophis, der den auch unter Priestern nicht besonders hochstehenden Titel «Oberster Vorlesepriester» tragen durfte, kann einem riesigen spätramessidischem Grab in Theben zugeordnet werden, welches seinerseits nur mit der nichtssagend-nüchternen Kennzeichnung «TT 33» belegt ist und sich bis in eine Tiefe von 100 Metern unter dem Sand der westlichen Wüste erstreckt.
Die kleinen Puzzleteile werden auf eine Weise zusammengefügt, bis dahinter wieder ein Mensch in seinen Umrissen ersteht, der uns über die große räumliche und zeitliche Distanz hinweg nah wird und manchmal sogar wie aus Fleisch und Blut erscheint. Dabei ist es unentbehrlich, regelmäßig die Bildzeugnisse mit den schriftlichen Dokumenten zu verbinden. Immer wieder ist das Grundprinzip zu beobachten: Im Besonderen wird das Exemplarische sichtbar, hinter der unscheinbaren Erscheinung blitzt ein tiefer Gedanke eines weltanschaulichen Kosmos auf. - Der für seine Schwerpunkte Orientalistik und Osteuropa seit 150 Jahren bekannte Verlag Harrassowitz aus Wiesbaden hat ein Buch für den Fachmann wie für interessierte Laien herausgebracht.

Hermann A. Schlögl und Regine Buxtorf
«Ägypten – Geschichte in Stein»
Harrassowitz Verlag
Wiesbaden 2023
200 Seiten
ISBN-10:3447120096
ISBN-13:978-3447120098
Abmessungen : 21.3 x 2.1 x 27.4 cm
Preis: 58,00 €

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