Rezensionen

Herzog Anton Ulrich–Museum/Braunschweig: Max wird Beckmann. Es begann in Braunschweig. Bis 12.02.2023

Max Beckmann (Leipzig 1884 – 1950 New York) gehört zu den international wichtigsten Künstlern der Moderne. Als Maler, Zeichner, Druckgraphiker, Bildhauer und Schreiber ergründete er in seinem Werk auf ungeheuer intensive und sinnliche Weise „die Realität, die das eigentliche Mysterium des Daseins bildet“. Zwei Kriege, Diktatur und Exil prägten seinen Lebensweg. Die aktuelle Ausstellung im Herzog Anton Ulrich–Museum/Braunschweig schlägt ein für Leben und Werk dieses Jahrhundertkünstlers entscheidendes und doch wenig bekanntes Kapitel auf: Seine Herkunft und seine Anfänge. Konrad Donhuijsen hat die Schau besucht.

Max Beckmann, Selbstbildnis, 1899, © Sprengel Museum Hannover
Max Beckmann, Selbstbildnis, 1899, © Sprengel Museum Hannover

Schon wieder eine Ausstellung zu Max Beckmann und die nächste startet schon bald in München (Beckmann–Departure, 24.11.2022–12.3.2023). Die Bedeutung des neben Picasso größten Malers des 20. Jahrhunderts ist tatsächlich nicht zu überschätzen. Das betrifft auch stärker denn je die aktuellen Auktionspreise seiner Gemälde.
Die Ausstellung in Braunschweig ist klein, aber fein und reich an neuen Erkenntnissen. Sie befasst sich mit dem Start des jungen Beckmann in die Kunst. Der Titel „Max wird Beckmann“ trifft es genau. Warum und wie begann was in Braunschweig? Dieser Frage ging der Kurator Thomas Döring über zwanzig Jahre akribisch nach und kann nun zusammen mit dem Co–Kurator Andreas Uhr sowohl neue Werke Beckmanns und bisher unbekannte Dokumente vorlegen als auch überraschende Zusammenhänge herstellen. Das Museum besitzt mit aktuell 49 Werken die weltweit größte Sammlung an graphischen Selbstbildnissen Max Beckmanns.

Max Beckmann wurde am 12. Februar 1884 in Leipzig geboren. Beide Elternteile stammten jedoch aus dem Braunschweiger Land (Helmstedt, Königslutter). Der Vater Carl Beckmann war ein erfolgreicher Kaufmann für Mühlenbedarf und lebte für einige Jahre in Leipzig, bevor er mit seiner Familie und dem elfjährigen Max 1895 in die Stadt Braunschweig zog. Hier wohnten auch die Geschwister der Eltern.

Die Ausstellung zu Max Beckmanns frühem Werdegang ist in fünf Kapitel gegliedert: Herkunft, Berufung, Aufbruch, Liebe und Inspiration. Diese Themen sind räumlich getrennt und farblich voneinander abgehoben. Präsentiert werden über 100 Objekte aus allen Gattungen. Zu Beginn stehen seine frühesten erhaltenen, noch etwas unbeholfenen Selbstbildnisse als Zeichnung und Gemälde, die er mit 15 Jahren schuf. Sein Vater war 1895 gestorben und so wurde dessen Bruder Friedrich zum Vormund von Max bestimmt. Friedrich Beckmann war in Braunschweig ein erfolgreicher Bauunternehmer in der Gründerzeit und verlangte nachdrücklich einen Schulabschluss seines Mündels. Alle diesbezüglichen Versuche (fünf Schulwechsel) waren vergeblich und konnten Max nicht von seinem Ziel, Künstler werden zu wollen, abbringen. Sein Zeichenlehrer an der Jahnschen Realschule in Braunschweig – der Hofmaler Hermann Tunica – kopierte im Herzoglichen Museum Werke der Alten Meister. Sein Schüler Max wohnte unmittelbar neben dem damals neuen Museum, zeitweise sogar im selben Haus wie der Museumsdirektor. Max’ Wunschliste zu Weihnachten 1899 umfasste u.a. Monographien zu Rafael, Michelangelo und Rembrandt. Sein erstes erhaltenes Skizzenbuch vom Oktober 1899 bis April 1900 enthält 179 Seiten vor allem zu Braunschweig, aber auch zu Berlin, Ahlshausen und Dresden. Schon früh erprobte er autodidaktisch verschiedene Techniken (Bleistift, farbige Kreide, Aquarell, schwarze Tinte, Rötel, Tusche, Farbstift, Gouache, Ölfarben und Deckweiß). Vorwiegend zeigen die Skizzen Menschenstudien, häufig Porträts, aber auch einige Landschaften, Architekturzeichnungen und Stillleben. Selbstgestellte Übungen zu Perspektive, Proportion, Bewegung, Augentäuschung und Naturphänomenen bestimmen seine Skizzen. Diese sind fast immer datiert und mit Ortsangaben versehen, gelegentlich aber auch um Bemerkungen etwa zu Frans Hals, Rubens oder einem Göthe [sic]–Zitat ergänzt. Eine Auswahl seiner Skizzen wird als Faksimile auf Leuchtkästen eindrucksvoll in Szene gesetzt. Porträtfolgen seines Vormundes, offenbar als Nachweis seines Könnens gedacht, zeigen seine raschen Fortschritte. Frühe Handstudien, u.a. nach Vorlagen von Rubens zeugen von seinem Ehrgeiz. Die Beziehung zur Gemäldegalerie Alter Meister im Herzoglichen Museum muss eng gewesen sein, findet sich doch noch ein sog. Bruckmann–Druck – Pigmentdruck nach einer Reprofotografie – eines Gemäldes aus dem Museumsbestand in Beckmanns Nachlass. 1900 wird der 16–jährige ohne Schulabschluss in der Großherzoglich–Sächsischen Kunstschule in Weimar zum Studium zugelassen. Nach drei Jahren am Institut holt er auf Drängen der Mutter seinen Realschulabschluss in Braunschweig nach.

Max Beckmann, Bildnis der Mutter, © Hamburger Kunsthalle
Max Beckmann, Bildnis der Mutter, © Hamburger Kunsthalle

In Weimar lernt er die Studentin der Malerei Minna Tube, seine spätere Frau, kennen. Ihr bisher unbekannter Einfluss auf die Kunst des jungen Malers wird angesprochen, etwa anhand des Selbstbildnisses mit Seifenblasen und des Porträtbildes seiner Mutter. Gemälde von Minna Tube und seines Weimarer Lehrers Frithjof Smith sind erstmals zu sehen. Vorstudien zu seinem preisgekrönten Bild „Junge Männer am Meer“ von 1905 lassen seine Überlegungen zu Komposition und Umsetzung erkennen. Auf den Tod der Mutter am 23. August 1906 – noch im August desselben Jahres in der „Großen Sterbeszene“ dramatisch festgehalten und in der Ausstellung präsentiert – folgen kurz darauf die Hochzeit mit Minna Tube und ein Umzug ins eigen Atelierhaus nach Hermsdorf bei Berlin.

Der letzte Abschnitt der Ausstellung „Inspiration“ zeigt Anregungen zu Beckmanns Werken, etwa zu „Die Sintflut“ von 1908 durch Gemälde von Paolo Veronese und Cornelis Cornelisz. van Haarlem im Herzoglichen Museum. Das Gemälde „Schlafende“ von 1924 bietet enge Analogien zu „Schlafende Nymphe und Hirt“ von Jan Gerritsz. van Bronchorst, um 1645–50. Rembrandt–Bezüge werden anhand mehrerer Beckmann–Grafiken deutlich. Tagebuch–Bemerkungen in den USA reflektieren noch seine Braunschweiger „embryonale“ Zeit. Sein vorletztes Triptychon „The Beginning“ (1946–1949) ist seiner Jugendzeit in Braunschweig gewidmet und bereichert – leider nur als Reproduktion – die Ausstellung.

Im Vordergrund stehen die wissenschaftlichen Ergebnisse zu Max Beckmanns Anfangsjahren, welche durch frühe Bildbeispiele und spätere Bezüge wie etwa der bisher noch nie öffentlich ausgestellten Gouache „Der Müller und seine Frau (Bild der Eltern)“ von 1936 anschaulich ergänzt werden. Personen, Orte und die Zeit der Jahrhundertwende werden durch z. T. unveröffentlichte Fotografien lebendig. Die kleinteiligen Dokumente sind didaktisch gut gegliedert und übersichtlich in Vitrinen präsentiert. Zahlreiche handschriftliche Originaldokumente sind in Deutscher Kurrentschrift geschrieben und für den Laien kaum lesbar. Erst der gelungene, dringend empfohlene Audioguide macht sie lebendig und lässt den jungen Max anhand der Exponate anschaulich zu uns sprechen.
Abschließend begleiten wir den jungen Max in die Gemäldegalerie bis zu dem von ihm bewunderten Familienbild Rembrandts. Auf dem Weg sehen wir Reflexionen von Serena Ferrario (geb. 1986) und Kaspar Toggenburger (geb. 1960) zu Max Beckmann und den Alten Meistern in der Galerie.

Die Ausstellung nimmt erstmals Max Beckmanns Braunschweiger Jugendjahre in den Blick und zeigt ihre Bedeutung im Werk des Expressionisten auf. Eine Überfrachtung wird vermieden. Der Verzicht auf das letzte ausgeführte Gemälde „Die jungen Männer am Meer“ zugunsten der Münchener Beckmann–Ausstellung schmerzt. Es ist aber bewundernswert, dass die mit einer Vielzahl an Leihgaben versehene Schau trotz zweimaliger Verschiebung zustande kam und zahlreiche neue Ergebnisse zum jungen Max Beckmann präsentiert werden können. Zweifellos haben dies der lange Atem und die sorgfältige Forschungsarbeit der Kuratoren ermöglicht. Die Ergebnisse (und mehr) sind in einem aufwendig gestalteten Katalog zusammengefasst, der im Hirmer Verlag erschienen ist (Museumspreis 39,95 Euro). Ergänzend kommen digitale Angebote hinzu: Neben dem Audioguide zur Ausstellung sind dies, ein Stadtführer zu Beckmann–Orten innerhalb Braunschweigs, die auf das engste mit der Person Max Beckmann verbunden sind oder in seinem ersten Skizzenbuch durch ihn in Szene gesetzt worden sind, und eine Challenge zu Basiswissen über Max Beckmann, jeweils aufzurufen über die Homepage des Herzog Anton Ulrich–Museums.

Die Ausstellung verfolgt einen kulturgeschichtlichen Ansatz und stellt heraus, welche Rolle Stadt und Land Braunschweig im Leben des heranwachsenden Max Beckmann spielten. Sie lässt die Ausstellungsbesucher:innen an der Künstlerwerdung Beckmanns teilhaben und führt vor Augen wie der Schulabbrecher Max zum erfolgreichen Künstler wurde. Liebhaber des Malers Max Beckmann erhalten in der Ausstellung einen neuen Blick auf seinen Werdegang.

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