Buchrezensionen

Jürgen Wilhelm (Hg.): Piene - Im Gespräch, Hirmer Verlag 2015

Otto Piene, Heinz Mack und Günther Uecker, sie waren die Gründerväter von ZERO. Jetzt wird die einstige Avantgarde-Kunst wieder entdeckt, hoch gehandelt und gefeiert. Gerade rechtzeitig kommt also diese Sammlung von Interviews mit Weggefährten Otto Pienes. Andrea Richter hat in den Erinnerungen über den künstlerischen Aufbruch der 1950er und 60er Jahre gestöbert.

Piene © Cover Hirmer Otto Piene brachte mit seiner Kunst Licht ins Dunkel © Foto: Lothar Wolleh Der Künstler in seinem Atelier © Foto: Maren Heyne Otto Piene vor einem seiner Inflatables © Henry Dorochovich
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Piene ist 16 Jahre alt, als er zur Flak beordert wird. Es sind die letzten Kriegsjahre. Der Junge verabscheut den Lärm der Flieger und der Luftabwehrgeschütze, Flakscheinwerfer, gleißend hell, das ohrenbetäubende Pfeifen und Sirren der fallenden Bomben, den donnernden Aufprall, die Schreie der Sterbenden und der Verwundeten. Später wird er es »die Kakophonie des Krieges« nennen. Später wird er die Rauch- und Feuerbilder entwickeln, Lichtballette aufführen und die Sky Art erfinden. Er wird mit Heinz Mack und Günther Uecker die Künstlergruppe ZERO gründen.

ZERO will den radikalen Neuanfang, bei Null. Das Informel als vorherrschende künstlerische Strömung der Nachkriegszeit lehnen sie ab, die Tafelbilder in ihren schweren Rahmen, verkrustet, düster, erdrückend. Man habe mit Zero Licht ins Dunkel bringen wollen, erinnert sich Heinz Mack, man bevorzugte die Klarheit der Farben, die möglichst rein zur Geltung kommen sollten. Die Strahlkraft der Künstlerformation reicht weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Eine internationale Bewegung entsteht; Yves Klein, Lucio Fontana und Jean Tinguely schließen sich der Gruppe an. Ihr Ziel ist es, den Kunstraum zu erweitern, raus aus den Museen, in den öffentlichen Raum hinein. Piene entwickelt die Inflatables, mit Helium gefüllt Plastiken. In einer spektakulären Performance lässt er Charlotte Moorman in den Himmel steigen, Cello spielend. Atemberaubend auch der riesige Regenbogen, den er über dem Münchner Olympiastadion installiert, zum Abschluss der Olympischen Spiele 1972, wenige Tage nach dem tödlichen Attentat, ein Symbol für Frieden und Völkerverständigung. Die Erfahrungen des Krieges haben aus ihm einen radikalen Pazifisten gemacht. Doch in den 1970er Jahren konnten die Deutschen das Leichte, auch das Humorvolle seiner Arbeiten nicht als Qualität wahrnehmen, erinnert sich Mary Bauermeister. Das Spielerische seiner Lichtballette und riesigen Luftskulpturen traf nicht selten auf Unverständnis. Er musste sich Naivität und Träumerei vorwerfen lassen.

Auch seine Faszination für Technik und die damals so genannten Neuen Medien findet in der damaligen Kunst in Deutschland kein großes Echo. Es zieht ihn in die USA. 1968 geht er ans MIT in Boston, als Fellow am neu gegründeten Center for Advanced Visual Studies (CAVS), wird schließlich 1974 für zwanzig Jahre dessen Leiter. Auch in dieser Position entwickelt er große Strahlkraft: bei seiner Gründung war das Institut für zehn Jahre das einzige seiner Art auf der Welt, heute sind es hunderte, die an den Schnittstellen zwischen Kunst und Technik forschen, darunter die Kunsthochschule für Medien in Köln und das ZKM in Karlsruhe, dessen Berater Piene jahrelang gewesen ist.

Die Idee einer biografischen Collage, nach der das vorliegende Buch konzipiert ist, ergibt ein facettenreiches Bild, liest sich als wohlwollendes vielstimmiges Porträt, als Hommage an einen sympathischen Künstler und Altruisten. Es bleiben jedoch offene Fragen. Das nicht ganz spannungsfreie Verhältnis zu Joseph Beuys zum Beispiel wird völlig ausgeklammert. Auch seine Haltung zu den politischen Bewegungen der 1960er und 70er Jahre bleibt eher diffus.

Der Künstler selbst hat die Veröffentlichung der biografischen Erinnerungen nicht mehr mit erlebt. Otto Piene starb im vergangenen Juli im Alter von 86 Jahren, in einem Taxi, auf dem Rückweg von einer Teambesprechung in der Neuen Nationalgalerie Berlin, wo seine bis dahin größte Werkschau zu sehen war.

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