Buchrezensionen

Jutta Dresken-Weiland: Die frühchristlichen Mosaiken von Ravenna. Bild und Bedeutung, Schnell & Steiner 2015

Es ist schwer sich der Faszination frühchristlicher Kunst zu entziehen. In Ravenna kann man sie in wunderbaren Mosaiken intensiv erkunden. In Ihrem Band versammelt und untersucht Autorin Jutta Dresken-Weiland diesen Komplex und hat Ulrike Schuster damit überzeugt.

Wer Ravenna liebt, wer dem Zauber der Mosaiken einmal erlegen ist, der wird den vorliegenden Band auf Anhieb ins Herz schließen. Die Qualität der Abbildungen ist schlicht und ergreifend phänomenal. Großformatige Raumaufnahmen von höchster Brillanz wechseln mit Details und Ausschnitten, die gewöhnlicherweise für den Betrachter aus der Perspektive vom Boden aus verborgen blieben. Allein das Schwelgen in den Bildern macht das Buch zum Erlebnis – schöner ist nur mehr das Original.

Dazu kommen die sachkundigen Erläuterungen von Jutta Dresken-Weiland, sie ist Professorin für Christliche Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen, sowie Spezialistin für frühchristliche Ikonografie. Jedem Kapitel hat sie einen Abriss der Baugeschichte beziehungsweise der Genese der Kirchen und ihrer Ausstattungen vorangestellt, da die zahlreichen Umbauten und Neugestaltungen aus späteren Epochen nicht unerheblich sind. Sie stellen zum Teil beträchtliche Eingriffe in die ursprüngliche Bausubstanz dar. So wurden im Laufe der Zeit bei fast allen zur Rede stehenden Bauwerken die Fußbodenniveaus erhöht. Im Mausoleum der Galla Placidia beispielsweise liegt der Boden heute 1,43 Meter höher als in spätantiker Zeit und der Mosaikschmuck in den Gewölben ist dadurch ein Stück näher zum Betrachter gerückt. Außerhalb des Baus stieg das Niveau sogar um 3,20 Meter, so dass das Bauwerk niedriger erscheint, als es ursprünglich tatsächlich war. Zudem steht das Mausoleum in heutiger Zeit als isoliertes Monument, während es ursprünglich einen Annex bildete zur Vorhalle der Kirche S. Croce, die in der Renaissancezeit abgebrochen wurde.

In anderen Fällen wurden Vorhallen entfernt, Umgänge abgetragen, Öffnungen vermauert und Innenausstattungen ersetzt. Mittelalter, Renaissance und Barock hinterließen ihre Spuren in den frühchristlichen Kirchen und Baptisterien, und nicht alles davon ist auf den ersten Blick als spätere Zutat erkenntlich. Eine große Restaurierungswelle fand schließlich im 19. Jahrhundert statt. Unter anderem wurde das Interieur von S. Vitale einer umfassenden Purifizierung unterzogen, bei der man den Kirchenraum auf das spätantike Erscheinungsbild zurückführte. Dabei wurden Marmorinkrustationen restauriert und ergänzt, ebenso wurden große Teile des Fußbodenmosaiks aus dem 6. Jahrhundert nach erhaltenen Fragmenten großflächig wiederhergestellt.

Natürlich blieben die Mosaiken ebenso wenig vom Wandel der Zeiten unberührt. Viele Wandbilder gingen verloren, immerhin ist jedoch einiges davon durch schriftliche Aufzeichnungen dokumentiert. Doch auch der erhaltene Bestand erfuhr zahlreiche Überarbeitungen und Restaurierungen. Die ersten Umgestaltungen geschahen bereits in frühbyzantinischer Zeit. Am prominentesten sind die Veränderungen in der Basilika S. Apollinare Nuovo, die um 500 unter Theoderich errichtet wurde und dem Gotenkönig wohl als Hofkirche diente. In den 560-er Jahren in katholischen Besitz überführt, kam es zum großflächigen Austausch der Friese an den Langhauswänden, wobei einige Stellen noch Schemata der einstigen, darunter gelegenen Bildschicht offenbaren. Die Schwesterbasilika S. Apollinare in Classe wurde im 7. oder 9. Jahrhundert einiger Erneuerungsarbeiten unterzogen, doch orientierten sich die Künstler der mittelbyzantinischen Zeit am großen Vorbild von S. Vitale. Der größte Umfang an Restaurierungen ist einmal mehr dem 19. Jahrhundert zuzuschreiben, als zuweilen ganze Partien neu gearbeitet wurden. Was also dem heutigen Betrachter so wundervoll wie aus einem Guss geformt erscheint, ist in Wahrheit das Werk vieler Jahrhunderte – und dennoch, die erhaltenen Bildwerke sind und bleiben die eindrucksvollsten Zeugnisse der spätantiken Welt, die auf uns gekommen sind.

Dresken-Weilands Führung durch die Sakralbauten von Ravenna ist chronologisch sowie nach Bautypen geordnet. Ausführlich erläutert sie die anspruchsvollen theologischen Bildprogramme und verweist auf zeitgenössische ikonografische Parallelen in der Sarkophagplastik, der Buchmalerei, im Kunsthandwerk und den wenigen vergleichbaren Kirchenausstattungen außerhalb Ravennas. Zu den Besonderheiten von Ravenna zählt jedoch auch, dass manche Schlüsselmotive der christlichen Kunst tatsächlich zum ersten Mal im Bild erscheinen. So etwa das Leben Jesu in detailreich aufgegliederten Szenen nach dem Neuen Testament in S. Apollinare Nuovo, welche die Felder zwischen den Fenstern im Obergaden füllen. Andere Bildschöpfungen blieben in ihrer Art singulär, etwa die komplexe, symbolisch verschlüsselte Darstellung der Verklärung in der Apsis von S. Apollinare in Classe.

Über die unbekannten Meister der Mosaike lässt sich nur mutmaßen. Stilistische Analysen legen nahe, dass mehrere Werkstätten unabhängig voneinander arbeiteten. Möglicherweise gab es Spezialisten für bestimmte Themen, Figuren oder Muster. Andererseits findet man signifikante Unterschiede in Stil und Ausführung, die sehr wahrscheinlich den Möglichkeiten der finanziellen Mittel sowie der Verfügbarkeit von Handwerkern und Werkstätten geschuldet waren. Der letztere Aspekt wird noch deutlicher, wenn man die höfische geprägte Kunst Ravennas mit zeitgleichen Mosaiken vergleicht, die außerhalb der großen Metropolen entstanden. Generell konstatiert Dresken-Weiland einen Formenwandel um die Mitte des 6. Jahrhundert, der das römisch-antike Erbe zunehmend in den Hintergrund treten ließ. In der Behandlung der Gewandfiguren ersetzte abstraktes Faltenornament die körperlich-plastische Wiedergabe, anstelle von porträthaften Charakterköpfen traten formelhaft wiederholte Gesichter. Wenig Einfluss auf die Themenauswahl habe hingegen die theologische Ausrichtung der Bildstifter getätigt, so die Einschätzung der Verfasserin: der vielzitierte Streit zwischen Arianern (Homöern) und Orthodoxen habe keine nennenswerten Spuren in der Ikonografie hinterlassen.

Alles in allem bewegt sich Dresken-Weiland auf einer pragmatischen, vorwiegend deskriptiven Ebene. Wer sich von ihr neue Deutungsansätze erwartet, mag vielleicht ein wenig enttäuscht werden. Andererseits gewinnt man aus ihren Beschreibungen viel Hintergrundwissen, nicht nur über Baugeschichte, Stil und Technik, sondern auch über Mode und zeitgenössische Trachten, Kopfbedeckungen, Frisuren und Accessoires. Wertvoll sind zudem Verweise auf gängige, aus der Antike übernommene Bildformeln und rhetorische Gesten. Als virtuelle Reise zu den Wundern von Ravenna im Kopf ist das Buch eine rundum gediegene Lektüre.

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