Buchrezensionen

Künstler für die Hosentasche: Käthe Kollwitz | Alexej von Jawlensky, Wienand Verlag 2016

2015 startete »Wienands kleine Reihe der Künstlerbiografien« mit dem Anspruch (laut Klappentext: »alles, was wir über einen Künstler oder eine Künstlerin immer schon wissen wollten«, zu erzählen. Grund genug also, sich einmal die neuen Bände genauer anzusehen. Nach August Macke und Paula Modersohn Becker sind 2016 Käthe Kollwitz und Alexej von Jawlensky dran. Stefanie Handke hat die Reihe unter die Lupe genommen.

Beginnen wir mit Käthe Kollwitz: Alexandra von dem Knesebeck verknüpft deren künstlerische Entwicklung mit familiären und politischen Ereignissen. Hineingeboren in eine fortschrittliche Familie, die Eltern Mitglieder der ersten freien evangelischen Gemeinde Deutschlands und politisch fortschrittlich eingestellt, wurde sie bereits in ihrer Kindheit künstlerisch gefördert, ja, der Vater Carl Schmidt machte sich Hoffnungen auf eine Karriere der Tochter – dass er selbst sie nicht für besonders hübsch hielt, schien ihm dabei ein Vorteil zu sein, denn dass »Liebesdinge« ihr im Weg stünden, das erwartete er nicht. So erhielt Käthe bereits mit 14 Jahren Privatunterricht, besuchte als junge Erwachsene dann die Zeichen- und Malschule des Berliner Künstlervereins und ab 1888 an die Münchner Künstlerinnenschule.

In München befand sich Käthe Schmidt in einem Umfeld, das sich durchaus mit der damals sogenannten »Frauenfrage«, mit der bürgerlichen Moral und ähnlich kritischen Themen auseinandersetzte. Hier kam sie außerdem mit Max Klingers Werk in Kontakt, der als erster das Leid von »gefallenen Mädchen« nicht nur ihrer eigenen Schuld zuschreibt, und wandte sich unter diesen Eindrücken in symbolistisch beeinflussten Zeichnungen der Darstellung von Proletarierinnen zu. 1890 kehrte sie nach Königsberg zurück und heiratete Karl Kollwitz. Mit dem gemeinsamen Umzug nach Berlin stellte sich ein erster Erfolg ein, insbesondere dank ihrer ersten druckgrafischen Folge »Weberaufstand«, die Max Liebermann dazu veranlasste, sie für eine Medaille der Großen Berliner Kunstausstellung 1898 vorzuschlagen – ein Vorschlag, der aufgrund des Geschlechts der Schöpferin abgelehnt wurde.

Die Beschäftigung mit sozialen Themen blieb stets zentrales Element in Kollwitz‘ Schaffen, auch mit wachsendem Erfolg. Eindrucksvolle Werke wie »Frau mit totem Kind« (1903) und ihr »Bauernkriegszyklus« (vollendet 1908) entstanden. Ab 1908 arbeitete sie zudem für den »Simplicissimus« und setzte ihre Beschäftigung mit der Situation des Proletariats hier fort. Hatte Käthe Kollwitz als Jugendliche vom Kampf auf Barrikaden geträumt, sollte der erste Weltkrieg ihre Einstellung zum Kampf ändern: Ihr Sohn Peter zieht 1914 als Freiwilliger in den Krieg – und fällt. Ihre Gefühle angesichts dieses Verlusts verarbeitete sie schließlich in der Folge »Krieg«, auch unter dem Einfluss der Kunst Ernst Barlachs, die sie dazu ermutigte. Als inzwischen äußerst anerkannte Künstlerin wurde sie zudem bereits 1919 in die Preußische Akademie der Künste gewählt und konnte sich in der Nachkriegszeit vor Aufträgen für Plakate, Flugblätter, Broschüren kaum retten – wer, wenn nicht diese Künstlerin, die sich derart sozialpolitischen Themen verschrieben hat? Nach diesen Jahren des Erfolgs muss die Machtergreifung der Nationalsozialisten eine Katastrophe gewesen sein – wie viele Künstler wählte Kollwitz die innere Emigration, um die Zeit zu überstehen, erlebte aber immerhin in der Ateliergemeinschaft der Klosterstraße einen gewissen Schutz, denn obwohl immer wieder Werke der Künstler auf den jährlichen Ausstellungen abgehängt wurden, konnten sie doch weitgehend unbehelligt agieren. Einige ihrer letzten Arbeiten entstand hier – »Mutter mit zwei Kindern« und die in den 90er Jahren heftig diskutierte »Pietà«, die heute die Berliner Neue Wache bereichert – bevor sie 1940 das Atelier aufgab und nach einigen traurigen Jahren 1945 starb.

Stets erkennt man in der Darstellung Alexandra von dem Knesebecks den Einfluss aktueller Ereignisse auf das Werk von Käthe Kollwitz: gesellschaftskritische Themen haben ihr zwar sicherlich von Anfang an gelegen, jedoch dominieren sie seit der Münchner Zeit und sind immer wieder von aktuellen Ereignissen wie dem Ersten Weltkrieg und der ihm folgenden Krise inspiriert. Zugleich schafft sie es, Kollwitz‘ Familienleben, das in der Regel glücklich und von gegenseitiger Achtung und Liebe geprägt sein musste, einfühlsam darzustellen ohne dass dies rein biografischem Interesse genügt, denn auch hier finden sich Einflüsse auf ihre Kunst, etwa wenn seit der Geburt ihrer Enkel immer wieder unbeschwerte Kinderdarstellungen entstehen.

Die Laufbahn Alexej von Jawlenskys verlief da freilich anders, auch wenn dieser dieselbe Zeit politischer und gesellschaftlicher Umbrüche durchlebte. In Roman Zieglgänsbergers Porträt fallen vor allem die unterschiedlichen Frauen auf, die ihn immer wieder beeinflussten und auch förderten. Im Gegensatz zu Kollwitz war ihm als Offizierssohn keine künstlerische Laufbahn vorherbestimmt und entschied sich für einen Kniff: Er besuchte statt der Moskauer die Petersburger Offiziersschule, die es manchen Schülern erlaubte die dortige Kunstakademie zu besuchen. Hier, in St. Petersburg, lernte er Marianne von Werefkin kennen, die bereits als »russischer Rembrandt« Erfolge gefeiert hatte und bildete mit ihr und Ilja Repin ein regelrechtes künstlerisches Dreiergespann. Auf Rat eines Akademieprofessors quittierte er schließlich den Militärdienst und widmete sich sodann ganz der Kunst. Aufgrund seiner Militärpension und des väterlichen Erbes Marianne von Werefkins, war das Paar ab 1896 finanziell unabhängig und konnte zu neuen Horizonten aufbrechen.

München sollte es werden, wo der von Werefkin eingerichtete »rosafarbene Salon« bald der Künstlertreffpunkt schlechthin wurde, dessen zentraleuropäische Lage Reisen nach Russland ermöglichte und wo der Glaspalast ein idealer Ausstellungsort war. Während Werefkin sich hier vor allem der kunsttheoretischen Förderung Jawlenskys widmen wollte, konzentrierte der sich auf praktische Arbeiten und entdeckte bald die französischen Impressionisten für sich. Hier entsteht auch sein Werk »Helene im spanischen Kostüm« (1901/02), das wohl das wichtigste seines Frühwerks ist und das größte sein wird, das er jemals gemalt hat, Dargestellt ist Helene Nesnakomoff, die Werefkin und Jawlensky nach München begleitet hatte und hier den Haushalt führte. Das Bild setzt sie als Jawlenskys Helene, nicht etwas als Bedienstete Werefkins in Szene und war damit ein offenes Bekenntnis zur Liebe zu Helene. Das Kostüm weist überdies auf die Vorliebe des Künstlers für Kostümbälle und kostümierte Modelle.

Gemeinsam mit Wassily Kandinsky, Gabriele Münter und Marianne von Werefkin sollte Alexej von Jawlensky bald das »Wunder von Murnau«, die Erfindung des deutschen Expressionismus vollbringen. In den Jahren rund um dieses Ereignis reiste er immer wieder nach Frankreich, vor allem nach Paris, und knüpfte dort immer zahlreiche Kontakte, insbesondere zu Pierre-Paul Girieud, der ihn zahlreichen Kollegen vorstellte und mit dem ihn eine intensive Freundschaft verband, die gegenseitige Besuche einschloss. Auch entwickelte sich Werefkins rosafarbener Salon zu einem der Treffpunkte der Münchner Bohème. Um 1906 malt Jawlensky deren Porträt, in einem Moment, als sie wieder künstlerisch tätig wird und offenbart immer noch eine enge Verbundenheit mit seinem »platonischen Lebensmenschen« Werefkin. Künstlerisch setzte er sich in den Jahren vor dem Weltkrieg mit der Kunst der Nabis, dem Pointilismus und den Fauves auseinander, wovon etwa sein »Selbstbildnis mit Zylinder« (1904) zeugt. Münter und Kandinsky stellten im Nachhinein fest, dass ihr Kollege ein wichtiger Impulsgeber für sie war. Sein Begriff des Synthétisme-Begriffs Paul Gauguins machte ihn nämlich zu einem unverwechselbaren Künstler, wenn er die Wirklichkeit auf das Wesentliche reduzierte und zugleich frei anwendete. Ab 1909 war er damit sehr erfolgreich, stellte im Folkwang oder auf der Kölner Sonderbundschau aus. Die Tendenz zur Typisierung setzte sich dabei auch in seinen Bildnissen fort, wie »Prinzessin Turandot« (1912) beweist.

Einen Bruch musste in dieser Arbeit der Beginn des Ersten Weltkriegs bedeuten, als der Haushalt Werefkin – Jawlensky – Nesnakomoff ausgewiesen wurde und Schweizer Exil gehen musste. Hier kann er an seine frühere Produktivität nicht anknüpfen und entwickelt schließlich seine »Variationen über ein landschaftliches Thema«, die er vom Fenster aus malte. Sie waren der Beginn seiner Hinwendung zur Serie, die sich mit seinen »Mystischen Köpfen« und »Abstrakten Köpfen« fortsetzen sollte. Nach der Rückkehr nach Deutschland 1921 vermarktete Emmy Scheyer, »seine Galka« (Drossel) seine Kunst und plante eine Ausstellungstournee. Jawlensky ließ sich mit Helene und dem gemeinsamen Sohn in Wiesbaden nieder und heiratete schließlich auch. Nichtsdestotrotz sollten aber weiter andere Frauen eine Rolle spielen: Mela Escherich schreibt Artikel über seine Kunst, Hanna Bekker vom Rath fördert ihn und die Malerin Lisa Kümmel ist eng mit ihm befreundet und erstellt vor allem eine Werkliste und schreibt seine Lebenserinnerungen 1937 nieder, Auch in Amerika fasste seine Kunst dank »Galka« Scheyer Fuß und wird ab den 1930er Jahren zum Statussymbol.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialismus musste auch Alexej von Jawlensky ein Ausstellungsverbot erdulden, vier Jahre später wurden seine Bilder aus öffentlichen Museen entfernt. Nichtdestotrotz war er noch einmal ungeheuer kreativ und schuf seine »Meditationen«, diese mehr als 1000 Werke umfassende Serie im Postkartenformat, die auch seine fortschreitende Arthritis zuweilen thematisiert (»Meditationen. Erinnerung an meine kranken Hände«, 1934). Die Krankheit schränkte ihn immer mehr ein bis er schließlich 1941 starb.

Zieglgänsberger zeichnet in seiner Darstellung vor allem das Bild eines europäischen Künstlers: Alexej von Jawlensky lebte nicht nur in der Mitte Europas, sondern unterhielt auch vor allem zahlreiche Kontakte zu internationalen Kollegen und rezipierte und beeinflusste die wichtigsten europäischen Strömungen und Künstler für sich, vom Expressionismus bis zum Japonismus. Auch sein Werk erfuhr durch Schicksalsschläge Einschnitte und Richtungswendungen, blieb aber dabei immer konsequent.

Dabei sind die Bücher, ganz gemäß dem Reihenanspruch, in der Tat überaus unterhaltsam und anregend geschrieben. Beiden Autoren gelingt eine gekonnte Verknüpfung von Leben und Werk der Künstler – etwas, das nicht jedem gelingt. Zahlreiche Bilder von Werken, aber auch von den Künstlern und ihrem Umfeld, illustrieren ihre Arbeit und ihr Leben im besten Sinne. Wer hier ein kleines Mitbringsel für kunstinteressierte Laien sucht, findet es! Mit kleinen Exkursen und Fußnoten zur Erläuterung wichtiger stilistischer Strömungen bilden die Bücher freilich keine wissenschaftliche Literatur, aber werden dem eigenen Anspruch, den »Menschen hinter der Kunst« darzustellen, gerecht.

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