Reiseberichte

Kunst zwischen Popkultur und Glauben: Wat Rong Khun, der Weiße Tempel

Während neuere westliche Kirchenbauten modern und zumeist unauffällig daherkommen, entstehen insbesondere in den asiatischen Ländern auch heute noch Gotteshäuser, die Altes und Neues verbinden. Klassische Tempelarchitektur geht dann einher mit Themen und Motiven der Moderne und transportiert so die Religion ins 21. Jahrhundert. Ulrich Handke hat auf seiner Thailandreise ein solches Kleinod entdeckt.

Eingangsbereich der Tempelanlage © Foto: Ulrich Handke
Eingangsbereich der Tempelanlage © Foto: Ulrich Handke
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Thailand bietet dem Reisenden viel mehr als Strandurlaub und luxuriöse Hotelanlagen. Immerhin geht seine Geschichtsschreibung bis ins 7. Jahrhundert zurück und eine entsprechend reiche Kultur erlebt der Reisende. Die Kunst des Landes lässt sich ebenfalls schon früh greifen und ist außerordentlich vielfältig. Die verschiedensten Stile entstanden dabei vor allem im zeitlichen Nacheinander, existierten jedoch auch stets nebeneinander. Teilweise sind sie außerordentlich unterschiedlich, jedoch sorgen die Vorliebe für bestimmte Materialien und Themen dafür, dass das westliche Auge eine Einheit wahrnimmt. Vielmehr durchlief jede Richtung ihre eigene Entwicklung, griff Einflüsse anderer auf und setzte eigene Akzente.

Vor allem die Religion lässt sich in Kunst- und Baudenkmalen greifen: Buddhismus, aber auch Hinduismus, Islam, Christentum und der Bahaismus existieren nebeneinander. Hier in Thailand ist es besonders der Buddhismus, der dem Reisenden immer wieder begegnet, in alltäglichen Situationen, aber auch in den zahlreichen Tempeln. Er sorgt auch für gewisse Gemeinsamkeiten in den thailändischen Stilen, ist stets die gemeinsame Referenz – nicht umsonst verbinden wir mit der asiatischen Kunst unterschiedlichste Buddhastatuen. Bis heute ist die thailändische Kunst religiös bestimmt, denn erst seit dem 19. Jahrhundert wandten sich unter westlichem Einfluss hiesige Künstler auch profanen Inhalten zu.

So verwundert es nicht, wenn auch heute noch Tempel und Stupas entstehen und auf ihre Ausgestaltung besonderer Wert gelegt wird. Ihre Elemente stammen aus unterschiedlichsten Epochen und sind nicht nur Zeugen ihrer Zeit, sondern auch der zeitgenössischen Frömmigkeit: Gestiftet wurden – und werden – sie zumeist aus Anlass besonderer Ereignisse, die auch heute noch die Gelegenheit geben, ein solches Kleinod zu schaffen. Nicht zu unterschätzen sind dabei Erweckungserlebnisse Einzelner. Ein solcher Fall ist der Wat Rong Khun, der sogenannte »Weiße Tempel«. Dabei handelt es sich um ein Kloster, ein Wat – neben den berühmten Stupas eine der beiden großen Bauformen der buddhistischen Architektur in Thailand.

Nicht nur für die Thais ist der Tempel ein Besuchermagnet, auch immer mehr Touristen tummeln sich hier und bestaunen das Zusammenwirken von klassischer Tempelarchitektur und moderner Bildsprache, die selbst popkulturelle Sujets enthält. Er befindet sich in der Nähe der Stadt Chiang Rai im Norden Thailands und damit nahe einem der Zentren thailändischer Kunst – steht also ganz in der Tradition großer Bauten, denn die Stadt war ehemals Hauptstadt des Königreichs Lân-Nâ und damit eines der Kunst- und Kulturzentren der Region.

Der Künstler und Architekt Chalermchai Kositpipat begann die Planungsarbeiten 1996 und im Jahr darauf die Bauarbeiten – alles auf eigene Kosten. Er fühlt sich persönlich dazu berufen, dieses Kunstwerk zu schaffen, und sieht ihn als seine Opfergabe an Buddha. Sein erklärtes Ziel ist, den schönsten Tempel der Welt zu bauen und er will die Pracht und Herrlichkeit moderner thailändischer buddhistischer Kunst zeigen, die ihre Wurzeln sichtbar in der Geschichte hat. So ist Wat Rong Khun klassisch angelegt: entlang einer Achse befinden sich die Tempelgebäude wie der Ubosot, der begrünte Tempelhof und ein Wandelgang, die auf einen zentralen Schrein zulaufen.

Gemeinsam mit seinen Schülern, aber auch mit anderen Künstlern arbeitet Kositpipat bis heute an der Anlage und fügt ihr immer neue Details hinzu. Auch bei meinem Besuch im April 2014 wurde denn auch an mehreren Objekten der Tempelanlage gearbeitet. Der Besucher erlebt hier also ein Kunstwerk in seiner Entstehung. Sein Erbauer nimmt an, dass die Arbeiten am Tempel auch noch 60 bis 90 Jahre nach seinem Tod andauern werden. Er ist stolz darauf, seiner Arbeit in vollkommener Freiheit und ohne jegliche Einflussnahme nachgehen zu können – eine Besonderheit für einen Tempelbau, der ja zumeist im Auftrag anderer entsteht, deren Vorgaben ihr Architekt einhalten muss. Hier aber nutzt Kositpipat die Gelegenheit, seine eigene Religiosität zum Thema des Tempelbaus zu machen und ihm einen eigenen Stil zu geben.

Im Tempel selbst finden sich Einflüsse aus Indien und Sri Lanka, aber selbstverständlich auch Verweise auf die thailändische Geschichte und die hiesige Baukunst. Die historisch-politische Entwicklung des heutigen Thailands führte dazu, das bereits Ende des 13. Jahrhunderts die Stile greifbar waren, die später in der »Nationalkunst« aufgehen sollten. Bereits im 14. Jahrhundert entwickelte sich dann eine erste Schule, die sich als Erbe einer solchen nationalen Kunst sah – die Kunst des Königreiches Ayuthyâ. So sind die Dämonenmasken, die im Innenhof die Bäume beleben, im klassischen Stil gehalten und die traditionellen Gesten des Buddha zeigen natürlich auch die Darstellungen des Tempels.

Die eigentliche Tempelanlage erstrahlt in den Farben Weiß und Silber. Weiß steht für die Reinheit Buddhas, das silbrige Spiegelmosaik lässt den Tempel obendrein im Sonnenlicht erstrahlen und steht für die Weisheit des Religionsstifters. Die verspielten und bis ins kleinste Element gestalteten Gebäude, Figuren und anderen Elemente erhalten dadurch eine besondere Wirkung. Chalermchai Kositpipat setzt in seiner Anlage auf klare Unterschiede zwischen religiöser und profaner Sphäre: Im Gegensatz zu den eigentlichen, in weiß gehaltenen Tempelgebäuden sind profane Bauten in Gold gehalten, Skulpturen, die vor Gefahren wie Alkohol oder Nikotin warnen, dagegen kommen in bedrohlichem Rot daher. Die Verwendung dieser wenigen Farben unterscheidet Wat Rong Khun von den zahlreichen anderen, nicht minder beeindruckenden Tempelanlagen Thailands, bestechen diese doch im Gegensatz dazu durch ihre Farbenpracht – und sind in der Regel golden statt weiß. Der farbliche Minimalismus des Wat Rong Khun ist dabei zugleich modern und traditionell, ist doch die religiöse Interpretation das Maß der Gestaltung. Die Abkehr von der traditionell goldenen Farbgebung ist Folge von Kositpipats individueller Religiosität – denn genau diese Farbe bedeutet für ihn eher profane Bedürfnisse, während das Weiß eher der Reinheit des Buddha entspricht.

Das Betreten der Anlage gleicht einer Himmelfahrt: Der Zugang zum Tempel führt durch die »Hölle«. Hände, Gesichter, Gebeine und Opferschalen recken sich durch eine Spalte in der Erde den Besuchern, aber auch dem Himmel entgegen, um ihrem Leiden zu entfliehen. Ihre detaillierte Darstellung erinnert ausgerechnet an zwei europäische Künstler: an Auguste Rodin und an die Reliefs und Skulpturen des Norwegers Gustav Vigeland. Von diesem Fegefeuer aus führt der Weg über eine fantastisch gestaltete Brücke, bevölkert von Dämonen und in schlangengleichen Wellen angelegt, zum Ubosot, der Versammlungshalle der Mönche. Eine ständig wechselnde Position bietet überraschende Sichten auf das Ensemble, wodurch immer neue Eindrücke entstehen – Leidende hier, Selige da, Mythische Figuren überall. Der Tempel ist angelegt in der klassischen Pagodenbauweise wie man sie vor allem aus China kennt – ein Paradebeispiel für den Einfluss der regionalen Kunst auf die thailändische Architektur. Galerien umschließen auch hier den zentralen Schrein und die axiale Anlage ermöglicht Prozessionen. Ein See fungiert nicht nur als Spiegel des Tempels, sondern dient ebenfalls religiösen Zwecken.

Im Ubosot dann sind es die Wandmalereien, die einen verblüffenden Eindruck hinterlassen. Einerseits verwendet Kositpipat hier traditionelle buddhistische Symbole, die lediglich in einer anderen, erfrischenden Art gestaltet sind – vor allem in poppigen, teilweise schrillen Farben. Andererseits zitiert er aktuelle Ereignisse und die Popkultur des 20. und 21. Jahrhunderts: 9/11 ist zu finden in all seiner verheerenden Konsequenz. Bush und Bin Laden sind vereint mit einem Bezug zu James Bonds Moonraker, es finden sich Hinweise auf die ISS und Superman fliegt ebenfalls über die Wände der Halle. Gold bestimmt hier die Farbskala. All das ist eingebettet in die überdimensionale Darstellung Maras, des buddhistischen Herrn der Finsternis: In dessen Maul entdeckt der Besucher ebenjene Zitate aus Popkultur und aktuellem Zeitgeschehen, in den Pupillen seiner Augen »spiegeln« sich George W. Bush und Osama Bin Laden als Paradebeispiele für das Negative in der Welt. Die Superhelden und Fantasy-Figuren dagegen sind pure Ironie, denn ihre Anwesenheit im Kontext des 11. September kann die Katastrophe nicht verhindern. Das Ungeheuer selbst ist ein klassischer asiatischer Dämon mit stark geschwungenen Augenbrauen, mächtigen Hauern und spitzen Zähnen.

Ihm gegenüber befindet sich zwei Skulpturen Buddhas: Beide sitzen und demonstrieren zentrale Aspekte des Religionsstifters: Der vordere Buddha zeigt eine Geste der »Erdberührung«, seine rechte liegt auf dem Unterschenkel und weist gen Boden. Er ist in Gold gehalten und befindet sich auf Höhe der Tempelbesucher. Bei dem zweiten handelt es sich ebenfalls um eine Darstellung eines sitzenden Buddha, dessen Rechte eine »Vitarka Mudra«, eine Geste der Lehrdarlegung macht, und der wieder in weiß gehalten ist, umgeben diesmal von goldenen Flammen und Lotosblättern – Zeichen für seinen Erkenntnisgewinn. Er ist erhöht angebracht. Die Wandmalerei hinter beiden ist schließlich übergroß und zeigt den erlösten Buddha, der ins Nirvana eingegangen ist. Die Gegenüberstellung von Dämon und Buddha ist hochreligiös und repräsentiert für den Künstler den Widerstreit zwischen diesen beiden Polen.

Die Wandmalereien sind schon jetzt fantastisch, aber noch lange nicht vollendet. Zugleich transportiert Kositpipat damit die in den thailändischen Tempeln besonders wichtige Kunst der Wandmalerei ins 21. Jahrhundert: Einerseits werden seine Bilder den Anforderungen einer religiösen Anlage dank ihrer Monumentalität, aber auch ihrer technischen Ausführung gerecht. Darüber hinaus sind die klassischen Themen der thailändischen Wandmalerei auch hier zu finden: Die »drei Welten« Hölle, Welt der Formen und die Welt ohne Form finden sich thematisiert, selbstverständlich der Buddha, aber auch sogenannte Jatakas, mythische Erzählungen und Episoden aus der Geschichte des Landes. Andererseits lässt er klassische religiöse Darstellungen, die sich zumeist eher in der fernen Vergangenheit verorten, hinter sich und nutzt stattdessen moderne Inhalte, um seine religiöse Botschaft zu vermitteln.

Nach Verlassen der Tempelhalle erreicht man sogenannten »Wunschbäume«. Jedem Tempelbesucher steht es frei, einen Wunsch aufzuschreiben und an einem der Bäume zu hinterlassen. Sie befinden sich in einem Hof und hier finden sich auch die Mahnmale gegen Alkohol oder Nikotin, ebenso aber von Dämonenköpfen bevölkerte Bäume – und diese Dämonen sind nicht nur die der Mythologie, sondern auch ein Hellboy oder Batman. Das Bildprogramm ähnelt dem des Ubosot und nimmt die Mischung aus traditionellen und aktuellen Verweisen auf. Obendrein begegnen in der Tempelanlage immer wieder Buddhas, zumeist in sitzender und betender Position. Die mit reicher Ornamentik verzierten Säulen, Säulengängen und Pagoden kennzeichnet eine verspielte Architektur, die mit ihrer Stufenbauweise wieder auf die Tradition verweist. Die Frage, ob das noch Kunst oder Kitsch ist, stellt sich freilich.

Fast schon grotesk und mit ein wenig Augenzwinkern zu betrachten ist dagegen der »Tempel im Tempel«, das laut eigener Aussage »schönste Klo der Welt«. Im Gegensatz zum eigentlichen Tempel in Gold gehalten ist der Bau nicht nur pompös, sondern wieder ein Gegenprogramm zum klassischen Stil: Hier demonstriert Kositpipat seine Auffassung, dass diese Farbe vielmehr für weltliche Bedürfnisse steht, auf ganz praktische Art und Weise. Nichtsdestotrotz ist auch dieses Gebäude regelrecht kitschig ausgestaltet und mit pompösen Ornamenten versehen.

Mit Entsetzen bin ich bei der Recherche zu diesem Bericht auf die Information gestoßen, dass Anfang Mai 2014 ein Erdbeben in der Region große Schäden verursacht hat. Auch die Tempelanlage Wat Rong Khun wurde stark beschädigt und ist bis auf weiteres geschlossen. Der Künstler ist entsprechend verzweifelt. Neben den Verzierungen des Dachs hat es insbesondere die Wandmalereien im Ubosot getroffen und sie sind in ihrer Ursprünglichkeit nach Einschätzung von Chalermchai Kositpipat kaum wiederherzustellen. Dieser Artikel versteht sich daher auch als Dokumentation, denn den Platz der zerstörten Kunstwerke werden nun wohl andere einnehmen. An eine Meldung über das Erdbeben in unseren Medien kann ich mich übrigens nicht erinnern. Mir bleibt, den Bewohnern der Region, aber auch dem Architekten nur das Beste zu wünschen.

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