Ausstellungsbesprechungen

Lucas Cranach der Jüngere – Entdeckung eines Meisters. Landesausstellung Sachsen Anhalt, Augusteum Wittenberg, bis 1. November 2015

2015 ist das Jahr des jüngeren Cranach, zweifellos. Eingebettet in die Lutherdekade blicken in diesem Sommer von thüringischen und sachsen-anhaltinischen Plakaten Fürsten, Reformatoren und Co. auf das Kunstgeschehen in Deutschland. In Wittenberg, der Heimat des ewigen Sohns will man nun beweisen, dass er auch ein eigenständiger Künstler war. Stefanie Handke hat die Schau besucht.

Nein, in Wittenberg kommt man nicht an ihm vorbei. Allein schon dank des Cranach-Hauses am Markt und der Werke in der Wittenberger Stadtkirche; in diesen Tagen begegnen dem aufmerksamen Besucher außerdem zahlreiche kleine Schlangen überall in der Stadt. Wenn es einen dann endlich ins Augusteum verschlägt, ist man also bereits voll auf die nächsten Stunden in der Ausstellung eingestellt.

Die Stars der Ausstellung sind dabei sicherlich 13 Porträtzeichnungen aus dem Musée des Beaux-Arts, die zwar schon lange der Cranachwerkstatt zugeschrieben worden waren, die man aber erst durch neueste Forschungen ausnahmslos Lucas Cranach d. J. zuordnen konnte. Dabei handelt es sich um fein ausgearbeitete Porträtstudien, die wohl als Grundlage für Bildnisse der sächsischen Herrscherfamilie dienten. Während Kleidung und Körper nur als Zeichnung angedeutet sind, hat Cranach die Gesichter detailliert in Tempera ausgeführt, sie sind ausdrucksstark und können in einigen Fälle sogar genau einem späteren Porträt zugeordnet werden – so zum Beispiel das Abbild Philipps I. von Pommern-Wolgast (um 1540/41), das als Vorbild für ein Porträt diente.

Sie begegnen aber erst im zweiten Teil der Ausstellung; zuvor wird das gesamte Schaffen Cranachs d. J. vor dem Besucher ausgebreitet und in all seinen Facetten beleuchtet. Wie bei den Korrespondenzschauen in Thüringen kommt der Besucher um höfische Repräsentationsformen und Glaubensbilder schwerlich herum, hier steht aber nun eben nicht die ganze Werkstatt im Focus, sondern die zweite Hälfte des 16. Jh., als der Sohn die Werkstatt vom Vater übernahm und ihr seinen Stempel einprägte. Der unterscheidet sich auf den ersten Blick gar nicht so sehr von der Kunst des Vaters, setzt aber durchaus andere Schwerpunkte. So nimmt das Porträt im Schaffen Lucas Cranachs d. J. eine größere Bedeutung als in dem seines Vaters ein, gilt er hier doch als der größere Meister. Auch wenn Elke Anna Werner im Katalog eine genauere Einordnung in die Porträtkunst des 16. Jahrhunderts mit Bedauern nicht vornehmen kann, zeigt sie aber immerhin einige Spezifika auf. So fiel er am Beginn seiner Karriere vor allem durch seine Porträts auf und die Studien aus Reims scheinen zu beweisen, dass ihm diese Kunst bei aller Ökonomisierung der Bildproduktion besonders lag. Auch die lebensnahe Ausführung der Gesichter, die die Papierstruktur überdeckt, gehört zu den individuellen Merkmalen der Kunst des Sohnes, ebenso die individuellere Darstellung seiner Protagonisten. Die dafür angefertigten Zeichnungen übernahm er zum Teil 1:1, konnte sich das aber wohl auch leisten, da sie detailreich genug waren. Auch schuf er eine neue Form des Porträts: in der Ausstellung lassen sich ein ganzfiguriger Luther (1570/80) und ein Melanchthon (1570/80) entdecken; und immerhin wird das früheste Ganzkörperbild Luthers ihm zugeschrieben. Zugleich stehen diese Figuren auf einem Podest, im Falle der beiden Reformatoren werden sie vom Bildrahmen überwölbt, zuweilen stehen sie auch in Rundbogennischen – sie werden zu fast übermenschlichen Wesen überhöht. Diese Form des Bildnisses war bis dato eher bei Herrscherbildnissen zu finden; nun wandte Cranach sie auf bedeutende Geistesgrößen an.

Diese Verschiebung im Bildschwerpunkt der Cranach-Werkstatt liegt zwar an den veränderten Bedingungen, unter denen der jüngere Cranach arbeitete – er war kein Hofmaler, auch wenn der oft Werke bei ihm in Auftrag gab, und die heftige Propagandaschlacht der ersten Reformationsjahre war vorbei – muss aber auch als Handschrift Cranachs d. J. verstanden werden. In seinem Katalogbeitrag weist Guido Messling diese nach und gibt Einblick in die zugleich auf Effektivität und Genauigkeit setzende Arbeitsweise Cranachs: der Aufteilung des Blatts folgte eine einfache Skizze von Gesicht und Körper und schließlich die farbige Ausarbeitung des Gesichts der Person. Dabei verwendete er beispielsweise einen Pinsel, mit dem er mehrere Haarsträhnen auf einmal setzen konnte.

Überhaupt setzt die Schau in großem Maße auf die technische Kompetenz der cranach’schen Werkstatt: Unter dem Motto »Cranach durchleuchtet« können die Besucher »Das Opfer des Elias« (nach 1552) unter die Lupe nehmen: Infrarotaufnahmen machen’s möglich. Dank Ihnen lassen sich mit Stift angebrachte Anweisungen des Meisters, etwa zu den Farben der Gewänder, entdecken, die Besucher erfahren, dass der heutigen Bildfassung eine ältere vorausgehen, in der Mitglieder der Stifterfamilie fehlten. Überhaupt schöpft die Schau die digitalen Möglichkeiten der Gegenwart aus; an einem Modul kann sich der Besucher seine persönliche Cranachgalerie aus zahlreichen Bildern des »Cranach digital Archive« zusammenstellen und sich per E-Mail nach Hause schicken lassen: die Ausstellung kommt ins Wohnzimmer.

Bei all der Ähnlichkeit zwischen den Werken des älteren und des jüngeren Cranach war letzterer nicht nur »der Typ, der Vaters Werk fortsetzte«, sondern verstand sich als eigenständiger Künstler und Unternehmer, der als Ratsherr die Politik seiner Heimat Wittenberg mitprägte So widmet sich denn die Schau auch dem Netzwerk des Künstlers, das aus Persönlichkeiten am Fürstenhof und in Stadträten bestand. In der Tat beklagt Katja Schneider im Katalog, dass »kein Künstler derart ignoriert« worden sei wie der Protagonist der Ausstellung. Sicherlich mag das im Ruhm des Vaters begründet sein und die Unterschiede zwischen den Kunstwerken beider Cranachs sind oft nur marginal; nichtsdestotrotz schloss die Werkstatt erst mit dem Tod des Sohnes ihre Pforten. Ein Beweis, dass Cranach der Meisterschaft seines Vaters in nichts nachstand? Vielleicht, wie das »Abendmahl« (nach 1565) der Köthener St.-Agnus-Kirche beweist. Die Farbigkeit ist wie stets lebhaft und üppig, die Pinselführung genau und zahlreiche Details auszumachen. Auch hier bilden aber die Porträts der Protagonisten einen Schwerpunkt, sie sind für eine so große Szene keinesfalls grob ausgeführt und zeigen die Personen redend, nachdenklich und ergriffen. Sogar ein mögliches Selbstporträt Cranachs d. J. als Mundschenk mit Siegelring lässt sich entdecken. Noch beeindruckender ist die detaillierte Ausführung der Personen aber im »Opfer des Elias«, die stets individuell und ausdrucksstark dargestellt sind.

Natürlich ähnelten sich die Bildthemen von Vater und Sohn; Glaubensbilder wie »Christus und die Ehebrecherin« (nach 1537), »Jesus segnet die Kinder« (um 1560) und lehrhafte Gleichnisse bildeten eine Kontinuität der Werkstatt. Nun aber war die zweite Generation der Reformatoren am Zuge und thematisierte den Konflikt zwischen katholischen und protestantischen Kräften weniger polemisch, nichtsdestotrotz aber bissig. Im »Weinberg des Herrn« (1582) lässt Cranach d. J. die katholischen Bischöfe, Mönche und andere Würdenträger die Weinreben und alle Zäune zerstören und die Erde vertrocknen, während die fleißigen und ehrbaren Reformatoren um Luther, Melanchthon und den Fürsten Georg von Anhalt eifrig arbeiten und den Weinberg liebevoll pflegen. Das steht durchaus in der Tradition frühreformatorischer Grafiken, wenn etwa der Papst im Vordergrund fordernd seine Hand austreckt und von feisten Mönchen begleitet wird, während ein barfüßiger Jesus das Volk segnet, die Komposition in dieser Form ist neu.

Wenn man in die Ausstellung geht, darf man auch als Erwachsener eines nicht verpassen: Pop Up Cranach! Die für Kinder konzipierte Mitmach-Ausstellung im zweiten Obergeschoss des Ausstellungsgebäudes erlaubt Telefonate im Werkstatt-Büro, lädt zu einer Tanzstunde und zu Farbexperimenten ein, macht die Perspektive der Bilder erfahrbar und einiges mehr. Für Kinder bietet sie lehrreiche Erfahrungen, für Erwachsene einen herrlich spielerischen und etwas anderen Zugang zur Schau.

Eine Landesausstellung zu einem rein kunsthistorischen Thema ist stets ein Wagnis, muss sie sich doch von klassischen Sammlungspräsentationen abheben. Den Ausstellungsmachern gelingt dies mit digitalen Angeboten und der Möglichkeit, die Werke Lucas Cranachs d. J. dadurch intensiver zu entdecken. Die einzelnen Werke ordnet sie thematisch, beginnend mit der Person des Protagonisten und hinführend zu seinen Bildthemen. Das gelingt durchaus, auch dank der gut ausgearbeiteten Ausstellungstexte und eines üppig ausgestatteten Katalogs, der einer Beschäftigung im Nachhinein Vorschub leistet. Nicht zuletzt ist »Pop Up Cranach« eine Empfehlung für kleine und große Kinder, die den Meister einmal aus einem anderen Blickwinkel entdecken wollen.

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