Buchrezensionen

Sabine Maier, Rüdiger Maier: Der Cranach-Altar zu Neustadt an der Orla (1513). Unterzeichnung und malerische Ausführung, Schnell + Steiner 2013

Cranach hier, Cranach da, Cranach allerorten. Man wird fast erschlagen von den zahlreichen Publikationen und Ausstellungen zum Werk der mitteldeutschen Künstlerwerkstatt des 16. Jahrhunderts. Doch die Aufmerksamkeit ist berechtigt und das nicht nur anlässlich eines Jubiläums. Das beweist eine bereits 2013 erschienene Studie, die sich den Altar der Stadtkirche in Neustadt an der Orla genauer ansieht. Raiko Oldenettel ist nun schlauer.

Sabine und Rüdiger Maier sind beide keine unbekannten Namen, wenn es um die Frage nach mittelalterlichen und hochgotischen Kunsttechniken geht. Ihre Schwerpunkte liegen einerseits in der Frage nach non-invasiven Untersuchungen sensibler Kunstgegenstände, andererseits in der Frage konservatorischer Eingriffe und Techniken eben dieser. Sie beide haben nun einen Band zum, ihrer Meinung nach wenig beachteten, Cranach-Altar zu Neustadt an der Orla verfasst und nutzen dazu die Ergebnisse aus den Forschungen mit der Infrarot-Reflektografie an den Tafeln des Altars. Anhand der Unterzeichnungen, der Abweichungen, der modulierenden Linien und der Art des Auftrags soll sich ablesen lassen, welche Techniken zum Übertrag von Karton auf Tafel genutzt wurden und in welchen Verfahrensschritten der Meister selbst Hand angelegt hat. Beziehungsweise, welche Bildgenerierungsabläufe in welchen separierten Einzelschritten erkennbar und somit individuell interpretierbar werden.

Liest sich dieser Absatz nicht herrlich trocken? Und genau so geht es auch los. Maiers merkt man an: Sie beide sind Experten auf ihrem speziellen Gebiet. Mit Experten muss es allerdings nicht langweilig sein, wenn es um einen Forschungsbeitrag geht. Doch leider ist es in diesem Fall genau so passiert, wie die Kapitelüberschriften im Index vermuten lassen. Wir sehen uns mit dem Anspruch der Wissensvermittlung und Kontextualisierung angesichts humanistischer Hintergründe in Cranachs Umwelt konfrontiert. Der Text zündet allerdings nicht und das hat mehrere Gründe. Anfangs fühlte ich mich ein wenig veralbert, da sich mit zunehmender Seitenzahl Worte auf einer Seite nicht nur bis zu vier Mal wiederholten, sondern sich genau dadurch vollkommen abnutzten. Dass Cranachs Werkstatt effizient war - darauf wurde ich mit einer nervenden Penetranz hingewiesen. Effizienz schien auch die Prämisse im Verfassen der Kapitel zu sein. Statt Sätze zu schreiben, die sich natürlich anfühlen, wird hier versucht mit knappen Wortschöpfungen dem knochentrockenen Gerippe Leben einzuhauchen. Man merkt dem Text an, dass die Kapitel mit großem Zeitabstand verfasst wurden. Ständig wiederholen sich Phrasen, Informationen werden geradezu redundant für einen schnellen Leser, da er sie überhaupt ja gerade schon einmal gelesen und somit meist erfolgreich begriffen hat. An dieser Stelle möchte ich Halt machen. Wieso mache ich mir die Mühe und schreibe einen Verriss über Lesegefühl und Vermittlung in einem Buch, von dem man nicht ausgehen dürfte, die beiden Komponenten dort anzutreffen?

Weil es die Forschungslage jedermann zugänglich machen sollte. Ich mag Cranach und ich habe überdies einen Faible für Flügelaltäre und deren Bildprogramm. Bevor ich also den Band aufschlug, war ich Feuer und Flamme ihn zu rezensieren. Wieso aber scheitern so viele tolle Themen an der Vermittlung? Weil es nicht im Sinne der Autoren ist in einem so speziellen Verlag auch das »normale« Publikum zu erreichen? Das bezweifle ich. Vielmehr mag es daran liegen, dass sie nicht anders schreiben können. Ein kleines Beispiel: In der Mitte des Bandes wird viel über das historische Umfeld gesprochen, als Exkurs für die These. Doch was ist die These? Habe ich das überblättert? Mal wieder von vorne lesen und die ersten achtzig Seiten scannen. Nichts, nur ein paar Punkte. Eingerückt und mit wechselnden Aufgabenstellungen versehen. Man könnte meinen die These entwickelt sich mit dem Lesen. Ich hätte mir dort im Vorwort eine eindeutige Formulierung gewünscht. Ein fett gedrucktes: »Bitte verinnerlichen und darauf achten, ob wir den roten Faden einhalten können.« wäre schön gewesen. Kontext klar machen. Infographiken nutzen. Visualisierungen erstellen. Es kann doch nicht sein, dass ich nur Bilder der MIRR-Aufnahmen und des Altars bekomme, aber keinen Zeitstrahl, an den man ohne Probleme die aufgezeigten Neuerungen an Künstlern und deren Bildern hätte festmachen können. Oder Bilder, die einem die Verfahrenstechniken Cranachs schematisch näher bringen. So bindet man Wissen ein. Schließlich lese ich hier ja einen Forschungsbericht, oder doch? Ja. Obwohl eigentlich für einen Forschungsbericht das letzte Buchdrittel ausgereicht hätte. Dieses Drittel ist übrigens sehr informativ, wie eigentlich das ganze Buch auch – es transportiert nur den Inhalt nicht.

Mir fällt die Reise im Lehnstuhl ein. Der Gedanke der Wunderkammer, in der Wissen sortiert und Weltbilder evoziert werden. Auch die Forschungsergebnisse von Sabine und Rüdiger Maier sind wunderbar, aber sie landen eher in einer düsteren Kammer, was ihre sprachlichen Fähigkeiten anbelangt. Ein anderes Beispiel, das ich gerne zur Erhellung anführen will: Oftmals gibt es Fachbegriffe aus dem konservatorischen oder kunsthistorischen Raum, die nicht selten unerklärt bleiben. Natürlich kann man davon ausgehen, dass die geneigte Leserschaft in der Lage ist, diesen Umstand mit einem Handgriff in das eigene Regal zu klären und die Dinge nachzuschlagen. Wieso aber nicht anhand einer Fußnote einbinden? Tut niemandem weh, kostet allerhöchstens ein wenig Tinte. Die hätte man zweifelsfrei einsparen können, denn oft wird wiederholt, wiederholt, wiederholt. Ich habe mir einige Seiten notiert, in denen Cranach wie eine lebende Legende durch die Sprache abgebildet wird. Ein auf Effizienz bedachter Kunstgott, dessen Fähigkeit eine Werkstatt zu leiten von allen Kunsthistorikern ja nur belächelt wurde, weil sie es nicht besser wussten; und überhaupt steht der Altar aktuell an einer völlig falschen Stelle. Bei so viel Beweihräucherung und Häme gegenüber der vorherigen Forschung fiel es mir zunächst schwer, den Bericht ernst zu nehmen. Ist das denn noch so professionell, wie der Text es mich glauben machen will? Kann sein. Leidenschaft ist ja grundlegend nicht schlecht. Aber Apotheose sollte ein Thema der Bilder selbst bleiben.

Hier hätte ich noch so viel schreiben wollen. Was der Text hätte leisten können, ja müssen! Doch was nutzt es sich zu wiederholen? Es liest sich furchtbar, ist aber von den Ergebnissen her einmalig und sicherlich ein Meilenstein in der Erklärung der Bildfindung Cranachs. Ein beispielloser Ansatz der Forschung, in dem endlich mal gesagt wird, dass Bilder auch rückwärts, nämlich in ihrer Entstehung, durch moderne Techniken begriffen werden können. Ich sehe da ein großes Potential und Maiers haben nicht nur Mühe, sondern auch penibel gearbeitet, sodass keiner mehr auf sie verzichten kann. Der wirklich wahre Cranach hätte sich beim Lesen allerdings gefreut, dass seine Mitarbeiter nur zum Abpausen, nicht aber zum Entwickeln der Technik herangezogen worden sind. So fällt das Lob auf ihn allein. Ein Handwerksbetrieb lernt jedoch nicht nur vom Meister, sondern auch aus sich selbst heraus. Das gebe ich zu bedenken. Für einen unbedarften Leser, der einen Einstieg in das Thema (sei es der Altar, seine Restauration oder Cranach und seine Bildfindung) haben will, empfehle ich den Kauf aus oben genannten Gründen nicht. Dafür sind die betretenen Felder zu groß und die Brücken zwischen den Gräben zu schmal. Für diejenigen, die mitten im Thema stecken, ist das letzte Drittel Gold wert.

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