Dieser kunsthistorische Audioguide steuert Sie in einer individuellen Führung zum Hören durch den Dom von Köln. Das 16-seitige Begleitheft mit Grundrissen, Rekonstruktionszeichnungen, Fotos und einem Glossar gibt zudem viele ergänzende Informationen. Die Eignung zur Vor- bzw. Nachbereitung einer Dombesichtigung hat Walter Kayser für Sie getestet.
Im Caput IV seines 1844 bei Hoffmann und Campe in Hamburg erschienenen Versepos „Deutschland – ein Wintermärchen“ kommt Heinrich Heine mit gewohnt spitzer Zunge auf den Kölner Dom zu sprechen. Die Torsogestalt des „verteufelt schwarz“ emporragenden „kolossalen Gesellen“ ist ihm ein doppeltes Sinnbild seiner deutschen Heimat. Sie steht für den desolat rückständigen Zustand und gleichzeitig für eine noch ausstehende Hoffnung:
„Er ward nicht vollendet – und das ist gut,
Denn eben die Nichtvollendung
Macht ihn zum Denkmal von Deutschlands Kraft
Und protestantischer Sendung.
Ihr armen Schelme vom Domverein,
Ihr wollt mit schwachen Händen
Fortsetzen das unterbrochene Werk,
Und die alte Zwingburg vollenden!
O törichter Wahn! […]
Er wird nicht vollendet, trotz allem Geschrei
Der Raben und der Eulen,
Die, altertümlich gesinnt, so gern
In hohen Kirchtürmen weilen.
Ja, kommen wird die Zeit sogar,
Wo man, statt ihn zu vollenden,
Die inneren Räume zu einem Stall
Für Pferde wird verwenden.“
So weit ist es dann doch nicht gekommen, Gott sei Dank! Im Gegenteil, der Kölner Dom wurde zum Symbol des deutschen Einheitsstrebens und verkörperte, so der Untertitel der hier zu würdigenden Audio-CD, sogar die „Vollendung der Gotik“, einer bekanntlich rein französischen Erfindung.
Trotz einer äußerst verwickelten Baugeschichte wirkt der Kölner Dom bemerkenswert geschlossen. Auch wenn jahrhundertelang der Baukran auf dem unvollendeten Südturmstumpf ein beherrschendes Motiv aller alten Köln-Veduten ist; Grundriss und Schmuckformen lagen weitgehend im 13. Jahrhundert fest. Die Konzeption schloss unmittelbar an die Kathedrale von Amiens als Vorbild an und wurde zielstrebig eingehalten. Allein die Bauruine war so gewaltig, dass sie von Anfang an alle bis dahin je in Angriff genommenen Projekte in den Schatten stellte. Immerhin war schon bis 1520 so viel Raum umbaut wie in der vollendeten Kathedrale von Amiens. Der Dombau am Rheinstrom blieb eine ökonomische Utopie, bis er zur romantischen Vision wurde.
Die Fertigstellung im Zeichen des Preußenadlers hielt sich streng an die mittelalterlichen Prinzipien und machte das Wahrzeichen der Romantik zu einer viele Jahrhunderte und Generationen übergreifenden Bausynthese. Mit dem Umbau von St. Denis 1250 nahm man zwar Abschied vom Vorbild Amiens. Hätte man aber in Paris oder der Île-de-France um 1270 eine neue gotische Kathedrale in Angriff genommen, herausgekommen wäre der Kölner Dom. Denn mit dem Umbau veränderte der verantwortliche Architekt Pierre de Montreuil in St., Denis das nördliche Querhaus, baute das Langhaus neu mit einer Triforienverglasung und die hier erstmals zu \"Röhren\" vereinheitlichte Pfeiler und Wanddienste entstanden.
In der gewohnten und bewährten Machart, mit der der Verlag Kunst+Reise mittlerweile schon etliche dieser Hörführer vorgelegt hat, folgt eine imaginäre Besuchergruppe der Stimme im Ohr von einer markanten Position des Gebäudes zur nächsten. Dazwischen markieren ein Glockengebimmel und schlürfende Schritte den fälligen Standortwechsel. Der Aufbau der Besichtigungstour ist wohlüberlegt: den wenigen Kapiteln mit Grundsatzinformationen zur Baugeschichte und Bautechnik folgt zunächst ein Außenrundgang, um dann noch einmal 10 Stationen im Innern des gewaltigen Bauwerks zu absolvieren.
Verantwortlich für den Text ist neben Marc Steinmann, der 2003 mit einer Publikation über „Die Westfassade des Kölner Domes und den mittelalterlichen Fassadenplan F“ hervortrat, Christian Freigang, seit 2003 Professor für Kunstgeschichte und Architektur in Frankfurt /Main.
Die wissenschaftliche Qualität dieser Experten beweist zur Genüge, dass es hier nicht um einen Touristen-Cicerone des örtlichen Fremdenverkehrsvereins geht, sondern das Niveau recht hoch angesetzt ist. Neben den rein architektonischen Instruktionen werden Zentralfiguren wie der Erzbischof Reinald von Dassel, der im 12. Jahrhundert als Kriegsbeute aus Mailand die Reliquien der Heiligen Drei Könige mitbrachte, oder Konrad von Hochstaden, in dessen Episkopat die Grundsteinlegung datiert, gebührend berücksichtigt. Die Ausführungen zum Dreikönigsschrein des Nikolaus von Verdun, dem Dreh- und Angelpunkt und eigentlichem liturgischen Zentrum, kommen aber entschieden zu kurz. Dass der Anbetungsaltar Stephan Lochners mit keinem einzigen Satz Erwähnung findet, ist nicht einzusehen, selbst wenn man darauf verweisen wollte, dass es sich doch um einen Architekturführer handelt.
Insgesamt muss aber eine positive Bilanz gezogen werden. Die CD ist äußerst instruktiv, öffnet die Augen und macht Lust, wieder einmal nach Köln zu fahren. Und auch die Stimme des Sprechers Michael Mentzel lässt in allem keine Wünsche offen. Sie verkörpert genau das, was man von einem guten Sprecher erwartet: ruhige Klarheit in gemessener Diktion, eine Betonung, die Verständnis für das Gesagte erkennen lässt, ein angenehmes, sachliches Timbre, ohne modische Aufgesetztheiten und Manierismen.