Interviews

Marie-Theres Arnbom: Die Villen von Pötzleinsdorf. Wenn Häuser Geschichten erzählen. Amalthea Verlag. Interview mit der Autorin

Um 1850 lockt der nahe Wienerwald mit seiner herrlichen Natur zahlreiche Wiener nach Pötzleinsdorf. Anfangs kommen die illustren Gäste nur zur Sommerfrische, doch bald suchen sie dauerhaft Erholung am Stadtrand. Künstler wie die Bildhauer Franz Barwig oder Josef Heu lassen sich hier zu neuen Werken inspirieren. Doch das Jahr 1938 wird vielen Villenbesitzern zum Schicksal. In ihrem neuen Buch gibt Marie–Theres Arnbom so manchem Bewohner seine Geschichte zurück. Andreas Maurer hat mit der Autorin über die historische Entdeckungsreise gesprochen, die auch tief in Arnboms eigene Familiengeschichte führt.

Die Villen von Pötzleinsdorf Cover © Amalthea Verlag
Die Villen von Pötzleinsdorf Cover © Amalthea Verlag

Andreas Maurer: Nach den »Villen vom Attersee«, den »Villen vom Traunsee« und den "Villen von Bad Ischl« ist nun Ihr mittlerweile vierter »Villen«–Band erschienen. Darin widmen Sie sich den »Villen von Pötzleinsdorf«, einem Stadtteil von Wien der sich über den 18. und den 19. Gemeindebezirk erstreckt. Worin liegt die Faszination der Villenbauten?

Marie–Theres Arnbom: Die Villen spiegeln die Welt ihrer Erbauer und Bewohner. Welchen Architekten beauftragte man? Wer erfüllte die Villen mit Leben? Welche Gäste empfing man? Womit beschäftigte sich die Familie? Lauter Fragen, die sich sehr intensiv mit der privaten Sphäre der Villen beschäftigen. 
Es geht um die Menschen, um ihre Schicksale, um Glück und Leid. Denn die Villen bieten nur den Rahmen, lebendig werden sie durch die Menschen, die sie bewohnen. 

AM: Aber wieso gerade Pötzleinsdorf?

MTA: Mein Familie lebt seit 1907 in Pötzleinsdorf, 1935 ließen meine Urgroßeltern eine Villa erbauen, in der ich aufgewachsen bin. Es birgt ein gewisses Risiko, sich mit der vertrauten Umgebung zu beschäftigen – und doch muss man sich dieser Geschichte stellen, denn sie hat, oftmals unbewusst, den eigenen Lebensweg geprägt. 
Pötzleinsdorf war bereits in der Biedermeier Zeit eine beliebte Sommerfrische. Die Städter schätzen die gute Lage und die gute Luft, um der stickigen und heißen Stadt im Sommer zu entfliehen. Hier gab es ebenfalls Vorbehalte gegenüber den Fremden – »Althäusler« und »Neuhäusler« wurden stark unterschieden – nicht anders als im Salzkammergut. Mir war es ein Anliegen, diese heute vergessene Sommerfrische wieder in Erinnerung zu rufen. 

AM: Wie kann man sich die Villen–Recherche vorstellen? Wo beginnen Sie die Reise? Klopfen Sie einfach an oder führt Ihr erster Schritt aufs Meldeamt, aufs Bauamt?

MTA: Der Anfang ist mehrschichtig. Zuerst schaue ich mit offenen Augen. Und denke nach. Dann befriedige ich meine Neugier und konsultiere das historische Grundbuch, das ich aber nicht nur punktuell durchforste, sondern auch vor und zurück blättere. Dabei stoße ich oft auf interessante Menschen.
Ich klopfe nie real an – außer, ich kenne die Bewohner. Virtuell klopfe ich jedoch sehr wohl an: Ich schreibe den Nachkommen der vergangenen Eigentümer E–Mails und bekomme meist glückliche, gerührte und dankbare Antworten mit alten Photos, Geschichten und Erinnerungen. Dies fließt dann in die Kapitel ein. 
Erweitert wird dies durch andere Quellen: Verlassenschaftsabhandlungen, Arisierungs– und Rückstellungsakten, Nachlässe in diversen Archiven, autobiographische Aufzeichnungen, zeitgenössische Zeitungsberichte. Die Vielfalt ist groß und bringt oftmals erstaunliche Erkenntnisse zutage.

Villa Gartner © Marie-Theres Arnbom
Villa Gartner © Marie-Theres Arnbom

AM: Auffallend ist der Mikrokosmos, der sich zwischen diesen 31 Häusern in Pötzleinsdorf abzeichnet. Jeder scheint irgendwie mit jedem verbandelt oder verstrickt zu sein...

MTA: Das ist ein typisches Phänomen aller Sommerfrischen. Denn man wollte den Sommer wie auch den Winter mit Freunden und Verwandten verbringen, mit ihnen kommunizieren, musizieren, Karten spielen, jausnen, Tennis spielen – also leben. Pötzleinsdorf stellt da keine Ausnahme dar. Auch in anderen Sommerfrischeorten ließen sich Clans, Freunde, und Familien nieder. Die Mobilität war eingeschränkt, daher verbrachte man den Sommer gemeinsam in einem überschaubaren Bereich. Gerade in Pötzleinsdorf spielte die böhmische Textilindustrie eine große Rolle – rund um die Mautners [Anm.: Isaak Mautner war Unternehmer im ostböhmischen Nachod; sein Sohn Isidor erweiterte das Textilimperium mit einer Zentrale in Wien sowie Fabriken in Böhmen und Niederösterreich. U.a. versorgte er die k.u.k. Landwehr mit Stoffen, ebenso hielt er Patente für Offiziers– und Mannschaftszelte] ließen sich Industrielle wie die Spieglers, Lembergers, Mollers und Kornfelds hier nieder – und das ist nur ein kleiner Ausschnitt. 

AM: Abgesehen von ihrer Lage und ihrer Größe, viele der Villen können als steinerne Porträts des 20. Jahrhunderts gelesen werden, insbesondere der 30er und 40er Jahre. Die Villa »Regenstreif« etwa spiegelt nicht nur das Schicksal einer Familie wider...

MTA: Die Villen spiegeln auch die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen und Veränderungen des 20. Jahrhunderts wider. 1938 veränderte sich alles. Die meisten Villenbesitzer galten den Nazis als jüdisch, sie wurden bedroht, beraubt, verhaftet, ermordet, vertrieben. Ein Kahlschlag. Andere Bewohner bezogen die Villen, ohne Wert auf den Geist zu legen, den sie ausgemerzt hatten. Nach 1945 versuchten die ursprünglichen Eigentümer, ihren Besitz zurückzubekommen. Ein schwieriges, schmerzliches und unerfreuliches Unterfangen. Viele Villen mussten verkauft werden – und wurden abgerissen. Gesichtslose Wohnbauten nahmen ihren Platz ein. Mit Menschen, die keine Ahnung und wohl auch wenig Interesse hatten, zu erfahren, wo sie denn nun ihr Leben verbrachten. Schon als Kind spürte ich, dass hier in Pötzleinsdorf irgendetwas nicht zusammenpasste. 

AM: Auch die Kunst spielt in Ihrem Buch eine nicht zu unterschätzende Rolle, wenn ich da etwa an die Geschichte der Villa für Hans und Anny Moller denke. Erbaut von Adolf Loos steht sie stellvertretend für die Geschichte der Moderne.

MTA: Die Moderne spielte in Pötzleinsdorf eine große Rolle – egal, zu welcher Zeit. Anfang des Jahrhunderts war es Viktor Postelberg, der eine außergewöhnliche Villa erbaute. Später waren es Joseph Frank, Adolf Loos und der junge Hans Glas, der in der Emigration das legendäre Hindustan Building in Kalkutta errichtete. Und Otto Marmorek, der die Wiener Moderne nach Bogotá brachte. Doch auch der Innenarchitekt und Portalspezialist Viktor Goldberg erhielt seine Chance, ebenso wie Hubert Gessner, einer der wichtigsten Architekten des »Roten Wien« [Anm.: So wird die österreichische Hauptstadt in der Zeit von 1919–1934 bezeichnet als die Sozialdemokratische Arbeiterpartei wiederholt die absolute Mehrheit erreichte]

Villa Spiegler heute © Marie-Theres Arnbom
Villa Spiegler heute © Marie-Theres Arnbom

AM: Für Ihr Buch haben Sie sich intensiv mit den Häusern, ihren Bewohner*innen und ihren Geschichten beschäftigt. Gabe es Überraschungen?

MTA: Franz Barwig, ein heute als eher kreuzbraver und wenig innovativer Bildhauer angesehen, schaffte es bis nach Florida. Dort konnte er das Anwesen einer reichen Cornflakes Erbin ausstatten – mit Statuen, aber auch Papageien und anderen grotesken Figuren. Heute befindet sich dieses Anwesen namens Mar–a–Lago im Besitz von Donald Trump. Dieser weiß wohl nicht, dass sich ein Bildhauer aus Pötzleinsdorf und ein Wiener Innenarchitekt namens Joseph Urban bereits in Wien ein Denkmal gesetzt haben. Im Theater und Kabarett »Die Hölle« im Souterrain des Theaters an der Wien. From »Hölle to hell« kann also das Motto der Künstler lauten. 

AM: Die »Villen von Pötzleinsdorf« vereinen 31 Gebäude und ihre Geschichten. Einige davon regen zum Schmunzeln an, viele – vor allem jene die sich um Restitution und Enteignungen drehen – machen wütend. Spazieren Sie selbst heute anders durch Pötzleinsdorf?

MTA: Ganz anders. Es ist mir bewußt geworden, wie wichtig es ist, seine nähere Umgebung besser kennenzulernen. Nicht nur betrachte ich die Häuser und Villen genauer und erfreue mich an den unterschiedlichen Baustilen. Sondern ich denke auch über die Menschen nach. Warum mir manche näherstehen als andere. Warum mich manche Häuser mehr faszinieren als andere. Und plötzlich kommt die Erkenntnis. Eine schmerzliche. Denn die Welt, die meine Familie einst in Pötzleinsdorf ausgemacht und geprägt hat, gibt es nicht mehr. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung aufrecht zu erhalten. Dies sehe ich als meine Aufgabe an.

Marie-Theres Arnbom © Amalthea Verlag
Marie-Theres Arnbom © Amalthea Verlag

Marie–Theres Arnbom (*1968)
geboren in Wien, ist Historikerin, Autorin, Kuratorin und Kulturmanagerin.
2004 gründete sie das Kindermusikfestival St. Gilgen als wesentlichen Bestandteil des Musiksommers im Salzkammergut. Zuletzt bei Amalthea erschienen: »Die Villen von Bad Ischl« (2017), »Die Villen vom Attersee« (2018), »›Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt‹. Aus der Volksoper vertrieben – Künstlerschicksale 1938« (2018) und »Die Villen vom Traunsee« (2019)


Die Villen von Pötzleinsdorf. Wenn Häuser Geschichten erzählen.
Von: Marie-Therese Arnbom
Amalthea Verlag
272 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
ISBN–13: 978–3–99050–172–6

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