Ausstellungsbesprechungen

Max Pechstein. Künstler der Moderne, Bucerius Kunst Forum Hamburg, bis 3. September 2017

70 Werke des großen Max Pechstein zeigt in diesem Sommer das Bucerius Kunstforum. Stefan Diebitz hat sich die schöne Schau angesehen.

Pechstein ist für die meisten seiner Bewunderer ein expressionistischer Künstler, ein Mitglied der »Brücke« und Magier der leuchtenden Farben, natürlich auch ein Maler des Akts in der freien Natur. Das alles war er selbstverständlich, aber er war auch zusätzlich ein wenig mehr: er konnte zeichnen, schuf Druckgrafiken, malte mit Tusche und schnitt in Holz. In fünf Kapitel geordnet, präsentiert die Hamburger Ausstellung eine Übersicht über fast sein gesamtes Werk – nur fast, denn das Spätwerk lässt sie ganz aus: Nach 1936 entstandene Bilder werden nicht gezeigt.

1881 geboren, absolvierte Pechstein eine Lehre als Dekorationsmaler, bevor er die Kunstakademie in Dresden besuchte; danach war er sechs Jahre lang, bis 1912, als der einzige akademisch ausgebildete Maler Mitglied der »Brücke«. Von ihr wurde er von seinen Kollegen ausgeschlossen, nachdem er mit seiner Teilnahme an einer Ausstellung der »Berliner Secession« gegen die Satzung der »Brücke« verstoßen hatte, die eine Teilnahme nur in und mit der Gruppe erlaubte.

Max Pechstein war und ist berühmt für seine glühenden und leuchtenden Farben – als ein Expressionist der ersten Stunde nahm er besonders während eines Paris-Aufenthaltes die Anregungen durch den Fauvismus auf und schuf eine ganze Reihe von Bildern, die ihn in Thematik und formaler Gestaltung sofort als ein Vertreter des Dresdner Expressionismus verrieten. Für immer war er damit nicht glücklich, sondern bemühte sich nach einiger Zeit intensiv um ein eigenes Profil, das er mit seinem Umzug nach Berlin und einer großen Südsee-Reise nach Palau auch wirklich erlangte.

Unter den expressionistischen Künstlern war Pechstein wohl der eifrigste Reisende. 1907/08 lebte er eine Weile in Paris, nachdem es ihm in Italien nicht so recht hatte gefallen wollen. Schon vor Antritt seiner Reise war er zwar Mitglied der »Brücke« geworden, aber bis dahin entsprachen seine Werke noch nicht seinem späteren Profil; er schuf Radierungen und zeichnete, und die Farben seiner Bilder sind bei weitem noch nicht so spektakulär, wie sie es nur wenig später werden sollten. In Paris aber begegnete er Werken des Fauvismus oder Bildern von Henri Matisse und fand auch die Gelegenheit, eine große van Gogh-Ausstellung zu besuchen: das alles war natürlich von großem Einfluss auf seine eigenen Arbeiten.

1913/14 reiste Pechstein in die Südsee – wie Nolde, der im Sommer 1914 als Mitglied einer Expedition aufbrach, allerdings ganz auf eigene Faust. Anders als Nolde scheint er keinen kritischen Abstand zu dem Gesehenen gefunden zu haben. Pechstein, schreibt Rüdiger Joppien in seinem Katalog-Beitrag über die Südseebilder des Malers, »gibt den Mythos sexueller Freizügigkeit als Wirklichkeit aus«. Allerdings kann man dem Maler zugutehalten, dass das selbst Ethnologen (und nicht wenigen!) widerfahren ist. Aber auch sonst scheint Pechstein den Verhältnissen in Palau nicht sehr realistisch begegnet zu sein; offenbar war Nolde wesentlich kritischer und skeptischer als sein mit ihm befreundeter Kollege. Dazu malte Nolde, dessen Südsee-Gemälde man derzeit in Schleswig bewundern kann, einen ganz anderen Menschentyp, der dem Schönheitsideal des Europäers wesentlich weniger entsprach als die Modelle Pechsteins.

Joppiens Aufsatz ist besonders gehaltvoll und interessant, weil er die Kunst ins Verhältnis setzt zu rousseauistischen Tendenzen, die es in jenen Jahrzehnten überall gab, nicht zuletzt auch in der Literatur; der Autor kann gleich einige kommerziell erfolgreiche Buchtitel nennen, von denen einer, der Roman »Van Zantens glückliche Zeit« des Dänen Laurids Bruun, 1924 in seiner Jubiläumsausgabe mit einem Bucheinband von Pechstein erschien. Ein im Katalog abgebildetes, außerordentlich schönes Strandbild in grünblauen Farbtönen – »Monsunstimmung in Palau«, ein leider verschollenes Bild – lässt erahnen, wieviel wir alle verloren haben, als Pechstein von den Japanern festgesetzt wurde und in der Folge fast alle seine Arbeiten und Skizzen aufgeben musste.

In Europa waren für Pechstein besonders einige Küstenorte an der Ostsee wichtig. Vor dem ersten Weltkrieg liebte er besonders das heute litauische Nida auf der Kurischen Nehrung, aber später, nachdem es 1918 deutsch geworden war, zog er die heute polnische Ostseeküste mit Rowy und Łeba vor: auch dort gibt es viel Licht und dazu gewaltige Sanddünen, auf denen schwarze Kiefern wachsen. Der Leidenschaft vieler bis heute populärer Maler für diese Orte war 2011 eine großartige Schweriner Ausstellung unter dem Titel »Sommergäste« gewidmet, und auch Bilder von Pechstein fanden sich dort präsentiert, neben Arbeiten von Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Alexej Jawlensky, von Paul Klee oder Lyonel Feininger, die wie Kollege Pechstein diesen Landschaftstyp liebten. Wahrscheinlich werden es jetzt diese Bilder sein, die in ähnlicher Weise wie die leuchtenden Landschaftsgemälde Emil Noldes die Besucher anlocken, und viele sind auch tatsächlich schlicht und ergreifend schön. Das vielleicht gelungenste Bild zeigt einen 1926 entstandenen Sonnenuntergang bei Łeba, ein anderes ein reetgedecktes Fischerhaus in Rowy.

Angesprochen werden sollten noch seine Selbstporträts, von denen in Hamburg eine ganze Anzahl gezeigt wird. Unter der Überschrift »Es war immer dieselbe Pfeife« stellt ein sehr substantieller Beitrag von Roman Zieglgänsberger die Selbstdarstellungen des passionierten Pfeifenrauchers Pechstein in einen Zusammenhang mit anderen Werken der Zeit. Wichtig sind an diesem Artikel besonders die subtilen Bildanalysen, die das selbstreflexive Moment derartiger Arbeiten herausstellen. »Pechstein führt uns, indem er die Farben von der Palette links auf die Leinwand rechts überträgt, jenen kunstvollen Spagat vor Augen, den ein Maler mit jedem Gemälde, das er umsetzt, vollführen muss. […] Liest man das Bild in der abendländischen Leserichtung von links nach rechts, sehen wir durch Pechstein, wie Kunst entsteht.«

Ein anderes interessantes Motiv ist die exotische Maske, die in eben diesen Jahren für europäische Künstler auch dank eines bereits 1915 erschienenen Büchleins von Carl Einstein als Motiv wie als Symbol wichtig wurde. Zieglgänsberger kann zeigen, wie sich maskenhafte, starre Gesichtszüge mit großen dunklen Augen nach seiner Ozeanien-Reise auch auf Pechsteins Selbstbildnissen wiederfinden und den kritischen Abstand zu dem Erlebten andeuten. Dieser Aufsatz geht auch auf den späten Pechstein ein, der leider in der sonst sehr schönen und empfehlenswerten Ausstellung (wie natürlich auch im Katalog) vernachlässigt wird.

Nach 1936 zog sich Pechstein zurück – oder er musste sich zurückziehen. Er hatte zu den Künstlern gehört, die an der letzten Ausstellung des 1904 gegründeten Künstlerbunds in Hamburg teilnahmen; im Herbst 1936 wurde erst die Ausstellung geschlossen und gleich darauf der Künstlerbund aufgelöst – für Pechstein der Beginn einer schwierigen Zeit, die er größtenteils in dem von ihm geliebten Pommern verbrachte.

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