Ausstellungsbesprechungen

Nolde und die Brücke. Kunsthalle zu Kiel, bis 2. April 2018

Nur zwanzig Monate war er Mitglied, aber die Begegnung mit den Künstlern der »Brücke« und die Bekanntschaft mit ihren Zielen und Projekten hat trotzdem großen Einfluss auf das Werk Emil Noldes ausgeübt. Nun stellt den ganzen Winter über die Kieler Kunsthalle diese Epoche seines Lebens in einer schönen und durchdachten Ausstellung vor. Stefan Diebitz ist nach Kiel gefahren.

1906 besuchten die vier Brücke-Mitglieder eine kleine Ausstellung, in der unter anderem auch Emil Noldes »Feriengast« von 1904 ausgestellt wurde – ein einschneidendes Erlebnis, das zu einem Auftrag der Gruppe an Karl Schmidt-Rottluff führte, Nolde anzuschreiben und den immerhin gute fünfzehn Jahre älteren Kollegen zu einem Eintritt einzuladen. In seinem Schreiben nannte Schmidt-Rottluff mit einem heute berühmten Wort die »Farbenstürme« dieses Bildes als den Grund, Nolde die Mitgliedschaft in der kleinen, noch ganz und gar unbekannten Künstlergruppe anzubieten. Nolde zögerte zunächst, aber dann nahm er doch an, um schon nach kurzer Zeit – nach weniger als zwei Jahren – im Herbst 1907 wieder auszutreten.

In dem ersten Raum der Kieler Ausstellung kann man gleich eingangs das (immer noch impressionistisch wirkende) Gemälde eines unter einem mächtigen Baum lesenden, sehr soignierten Herrn anschauen, das den Brücke-Künstlern so sehr gefallen hat. Wahrscheinlich war es das strahlende, fast wirbelnd gemalte Laub, das die Kollegen so sehr beeindruckte. In den Jahren zuvor hatte Nolde noch eine weniger leuchtende Farbpalette gebraucht. Ein frühes, sehr eindrucksvolles Bild von 1901 zeigt unter dem Titel »Heimat« ein friesisches Bauernhaus in der Marsch – expressionistisch ist an diesem realistischen Gemälde mit seinen braunen und erdigen Tönen noch überhaupt nichts. Vielleicht lag der abgebildete Hof in der Nähe von Seebüll? Das einsam gelegene Gehöft könnte gut das Einzelgängerische und Herbe des Malers symbolisieren, das wohl neben anderem dafür verantwortlich war, dass er es nur so kurze Zeit in der »Brücke« aushielt.

Die Brücke-Künstler malten oft zusammen dasselbe Modell, wogegen Nolde ganz und gar für sich arbeitete. Kann man sich vorstellen, dass er mit anderen Malern zusammen vor demselben Nacktmodell stand? Dass er zusammen mit ihnen an einen Waldsee fuhr, um nackt zu baden? Immerhin verbrachte er mit Schmidt-Rottluff einen ganzen Sommer auf der – ein wenig nördlich von Flensburg gelegenen – dänischen Ostseeinsel Alsen, wo die beiden Künstler ähnliche Motive auf ähnliche, aber eben doch verschiedene Art bearbeiteten. Es ist sehr eindrucksvoll, diese Bilder nebeneinander zu sehen; Nolde arbeitete mit mehr und feiner abgestuften Farben, wogegen Schmidt-Rottluff reine Farben verwandte.

Diese Ausstellung präsentiert an ihrem Ende jede Menge Archivalien, also vor allem Briefe an Nolde und die Antworten, die sehr oft seine dänische Frau Ada übernahm. Viele solcher Postkarten und Briefbögen – mal problemlos lesbar, mal schwierig zu entziffern – werden in der Ausstellung im Original unter Glas präsentiert und im Katalog der Ausstellung abgebildet. So begegnet man noch einem anderen, eher überraschenden Grund für den Austritt Noldes aus der Gruppe: zwei der jungen Kollegen schwärmten für Ada Nolde, und dass der Ehemann das nicht besonders gut fand, wird man leicht verstehen. Im Katalog findet sich ein eigener Artikel von Astrid Becker über das Verhältnis von Ada Nolde zu den Künstlern der »Brücke«.

Wichtig war Nolde auch deshalb für die »Brücke«, weil er seine Kollegen mit der Radierung bekannt machte. Entsprechend zeigt die Kieler Ausstellung reichlich Grafik, natürlich dann auch Holzschnitte, die für den Expressionismus noch wichtiger wurden. Dabei ist diese Ausstellung (und mit ihr der Katalog) durchgängig darum bemüht, ähnliche Motive nebeneinander zu zeigen; so finden sich sowohl Grafiken als auch Gemälde mit dem Motiv »liegendes Mädchen«, und weil dieses Mädchen immer dieselbe Haltung einnimmt – die Füße rechts, der Kopf links –, darf man dasselbe Modell und dieselbe Sitzung vermuten. Und in diesem Fall muss auch Nolde dabeigewesen sein.

Überhaupt liegt die Stärke dieser Ausstellung in der Konfrontation ähnlicher Motive durch die fünf Künstler (außer Nolde und Schmidt-Rottluff noch Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl und Erich Heckel). Auf diese Weise erfährt der Besucher auf eine sehr unmittelbare und anschauliche Weise die Verwandtschaft der Auffassung wie den Unterschied der Malweise, und die Individualität aller Künstler tritt deutlich hervor. Es gibt Flusslandschaften, Windmühlen, Weiden auf der Wiese oder Alleen – immer wieder in verschiedenen Versionen von fünf Künstlern, die sehr ähnliche Absichten verfolgten und doch ihr individuelles Temperament nicht verbergen konnten.

Das vielleicht eindrucksvollste Beispiel für ein Bildpaar sind zwei Holzschnitte von Erich Heckel und Emil Nolde; Nolde bildete einen »Propheten« ab, Heckel bereits fünf Jahre zuvor einen »Richter«. Dasselbe Modell muss es also nicht gewesen sein. Weil immer wieder der Einfluss der japanischen Holzschnittkunst betont wird, wird man hier auf die ganz andere Auffassung und Arbeitsweise verweisen müssen, die bei den expressionistischen Künstlern oft auch die Maserung des Holzes mit einbezog. So unglaublich akkurat, wie die großen japanischen Meister gearbeitet haben – nein, die Arbeitsweise eines Hokusai war den Künstlern der »Brücke« ganz und gar fremd. »Je schneller mir ein Bild entstehen konnte«, schrieb Nolde im Rückblick selbst, «umso besser war es.« Diese Arbeitsweise ist vielen seiner Bilder auch deutlich anzusehen.

Als Nolde schon im Spätherbst 1907 wieder austrat, hatte er zusammen mit Schmidt-Rottluff einen arbeitsintensiven Sommer auf der dänischen Ostseeinsel Alsen verbracht, »der ganz unter dem Stern ihrer Van Gogh-Begeisterung stand«, wie es Janina Dahlmanns in ihrem Katalogbeitrag ausdrückt. Dieser Sommer wird in der Ausstellung mit mehreren Bildern dokumentiert, und Dahlmanns bietet in ihrem Artikel eine schöne Beschreibung der rein malerischen Aspekte mit Blick auf den eben erst von den Künstlern entdeckten Van Gogh. Sie zeigt, wie Schmidt-Rottluff Van Goghs Idee aufgreift, seine Bilder aus »verschiedenen Bildzonen mit unterschiedlich gerichtetem Pinselduktus« zusammenzusetzen. Auch Noldes Pinselführung wird von ihr gewürdigt, doch steht in dessen Bildern, wie es Dahlmanns darstellt, immer noch das »Interesse für die Darstellung des Lichts« im Vordergrund.

»Nolde und die Brücke« ist die siebte Ausstellung von acht, die anlässlich des einhundertfünfzigsten Geburtstages des großen Malers im Norden veranstaltet werden. Jetzt fehlt nur noch eine im Spätsommer 2018, die im Lübecker Behnhaus seine Arbeiten auf Papier präsentieren wird.

Die reich bestückte Kieler Ausstellung ist deshalb so gut, weil sie den Vergleich des rein Malerischen ermöglicht, indem sie viele, viele Bilder zum selben Sujet nebeneinander hängt, so dass man sich ganz auf die Pinselführung und die Palette konzentrieren kann. Der Katalog ist ebenfalls uneingeschränkt zu empfehlen – wegen der abgebildeten Arbeiten und kluger Aufsätze, aber auch dank eines sehr gelungenen Layouts.

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