Rezensionen

Michael Bird: Letters of Art. Künstlerbriefe von Michelangelo bis Frida Kahlo, München London New York. Verlag Prestel

Ausgewählte Briefe, die von und an großartige Künstlerinnen und Künstler verfasst wurden, bieten einen einzigartigen Einblick in das Leben so faszinierender Persönlichkeiten wie Leonardo da Vinci, Edouard Manet, Andy Warhol oder Salvador Dalí. Ein Buch wie eine Schatztruhe. Katja Weingartshofer hat sie geöffnet.

Cover © Prestel Verlag
Cover © Prestel Verlag

»Manchmal denke ich, schreiben, nicht reden, ist das einzige wirklich befriedigende Mittel, mit denen in Verbindung zu bleiben, die man liebt.«, schreibt Dorothea Tanning 1948 an Joseph Cornell. Die surrealistische Künstlerin weist auf etwas hin, das zahlreiche Künstler*innen über fünfhundert Jahre verbindet: der Briefaustausch. Die Themen bleiben über diese lange Zeitspanne fortwährend die gleichen: Liebe, Geld, Ideen, Sehnsüchte.

Autor Michael Bird zeigt mit einer Auswahl an etwa neunzig Briefen von neunzig Künstler*innen die vielfältigen Sujets ihrer Korrespondenzen und bündelt sie in acht inhaltliche Kapitel: Familie & Freunde, Künstler an Künstler, Geschenke & Grüße, Mäzene & Förderer, Liebe, Berufliche Angelegenheiten, Reisen und Abschied.
Wertvolles Archivmaterial aus weltberühmten Sammlungen wird anschaulich und exemplarisch aufbereitet und bietet dabei einen Streifzug durch die Kunstgeschichte aus einer gänzlich anderen Perspektive: Nicht nur die Kunstwerke, sondern vor allem die Lebensumstände der Künstler*innen stehen im Fokus.
Die Tatsache, dass in Michael Birds Auswahl deutlich mehr Briefe von Künstlern repräsentiert sind, macht deutlich, dass es nach wie vor viel Aufarbeitungsbedarf in den Nachlässen von Künstlerinnen gibt.

Um die momenthaften Einblicke für die Leser*innen zu vereinfachen folgen Darstellung und Kontextualisierung der Briefe einer stringenten Form: Neben einem Digitalisat des Originalbriefes, steht ein Kommentar des Autors mit Hintergrundinformationen und abschließend eine Übersetzung beziehungsweise Transkription der Quelle.
Michael Bird informiert in seinen Texten nicht nur über die jeweilige Lebenssituation beziehungsweise Schaffensphase der Künstler*innen. Besonders überzeugend sind seine Hinweise auf Kunstwerke, die in den Briefen erwähnt beziehungsweise antizipiert werden: Francisco de Goya zeichnet etwa 1794 in einem Brief an seinen Freund Martín Zapater eine Selbstkarikatur, die als Vorankündigung seines zwei Jahre später entstandenen Radierungszyklus Los Caprichos interpretiert werden kann.
Beatrix Potters berühmtes Kinderbuch The Tale of Peter Rabbit (1901) geht aus Bildern und Geschichten an den kranken Noel hervor, dem Sohn ihrer Gouvernante Annie.
Marcel Duchamp erwähnt in einem Brief an seine Schwester Suzanne erstmals sein Konzept des Readymade, das die Kunstwelt nachhaltig beeinflussen sollte: »Hier in N.Y. habe ich einige Objekte […] gekauft und ich behandele sie als readymade. […] Ich signiere sie und gebe ihnen eine englischsprachige Beschriftung.«
Marina Abramović und Ulay bitten ihren befreundeten Performancekünstler Mike Parr aus Australien darum zehn Bumerangs für sie zu kaufen. Ein vergoldetes Exemplar kam letztendlich bei der Performance Gold found by the artists (1981) neben einem lebendigen Python zum Einsatz.

In diesem Sinne schmückt bereits das Buchcover ein bedeutender Brief vom 17. Oktober 1888: Vincent van Gogh schickt ihn an Paul Gauguin, der bald zu ihm in das Gelbe Haus nach Arles ziehen soll. Er erklärt am Beispiel seiner Zeichnung Vincents Schlafzimmer wie er durch die Farbgebung bestimmte Empfindungen hervorrufen möchte. So sollen die »Wände hell violett, […] die Stühle und das Bett chromgelb« werden, denn er wollte »mit all diesen unterschiedlichen Tönen das Gefühl vollkommener Ruhe ausdrücken«.

»Ich habe gute Ideen für unsere Theatergeschichte«, schreibt Pablo Picasso an den Schriftsteller Jean Cocteau und umrandet das Geschriebene mit einem Muster, das an die Kostümstoffe der Tänzer*innen des berühmten Ballets Russes erinnert. Picasso schließt sich nach dem ersten Weltkrieg über Cocteau der Avantgardegruppe um Sergei Djagilew und dessen Ballets Russes an. Der Brief steht exemplarisch für die künstlerische Zusammenarbeit zwischen dem Ballets Russes, dem Komponisten Erik Satie, Cocteau und Picasso: Das Ballett Parade (1917). Picasso entwirft dazu das Bühnenbild und die Kostüme und bringt den Kubismus auf die Bühne.

So spannend die Einblicke in die Leben der Künstler*innen auch sind: selbst Autor Michael Bird weist auf die befremdliche Tatsache hin, »dass das Auge der Geschichte keine Privatsphäre zulässt«. Obwohl Michael Bird selbst das Problem aufzeigt, hat er für die Publikation in einigen Fällen sensible Schriftstücke ausgewählt, welche die Grenze des Intimen überschreiten. Etwa wenn Eva Hesse, eine bedeutende Vertreterin der Arte Povera, an ihre Psychologin schreibt, bei der sie wegen Ängsten und Depressionen in Behandlung war: »Manchmal hab ich die Tabletten gebraucht, manchmal nicht.«

»Zänks a lot für die wunderbaren Schachteln […] – JETZT – hör zu: Junge! Du bist herzlich zu MEINER Geburtstagsfeier eingeladen, […] wir werden uns jede Menge Drinks gönnen, diesmal auch ICH […]«, verspricht der Dadaist George Grosz seinem Freund Erich S. Herrmann. Der Künstler feiert seinen 52. Geburtstag und – offensichtlich – das Ende seiner Abstinenz. Der Wortlaut und die humorvolle Tuschezeichnung mit vielen Gläsern voll Hennessy–Cognac bringen die Leser*innen zum Schmunzeln, verweisen aber gleichzeitig auf Grosz‘ Anglophilie und seine satirische Grafik, mit der er das deutsche Militärwesen und die Bourgeoisie attackiert. Dieser Brief zeigt, dass in scheinbar nebensächlichen Nachrichten bedeutende politische und künstlerische Informationen stecken.

Das Buch ist eine Hommage an das Briefeschreiben. Michael Bird ist eine interessante Auswahl gelungen, die er fachkundig kommentiert. Von Leonardo da Vinci, der in seiner Bewerbung als Ingenieur am Hof Ludovico Sforzas in Mailand ganz nebenbei erwähnt, dass er auch künstlerisch tätig ist, bis hin zu Andy Warhol, der in New York City von »einer kakerlakenverseuchten Wohnung in die andere« zieht: Die Leser*innen tauchen ein in eine Welt vor WhatsApp, Twitter und Instagram und lernen bedeutende Künstler*innen (näher) kennen. Und vielleicht greifen manche danach wieder einmal inspiriert zu Stift und Papier…

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