Ausstellungsbesprechungen

Nach dem frühen Tod, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, bis 21. Juni 2015

Das verkannte Genie, der zu früh und zu unbekannt verstorbene Künstler: Dieses Bild umgibt so einige Künstler der Moderne, aber auch aus früheren Epochen. Und der Mythos nimmt kein Ende... Grund genug, dass man ihm in Baden-Baden eine Ausstellung widmet. Marco Hompes war dort.

In der Kunstgeschichte gibt es einen Mythos, von dem immer wieder gerne berichtet wird. Er handelt von verkannten Genies, die viel zu früh und völlig missverstanden starben. Dadurch können sie den Ruhm, der ihnen posthum widerfährt, nicht erleben. Einer der bekanntesten Protagonisten solcher Erzählungen ist ohne Zweifel Vincent van Gogh. Seine Biografie eignet sich besonders gut als Vorlage derartiger Legendenbildungen: Im Wahn soll er sich ein Ohr abgeschnitten haben, bettelarm soll er gewesen sein, da seine Kunst keine Käufer fand, und aus lauter Verzweiflung soll er seinem Leben eigenmächtig ein Ende bereitet haben. Erst nach seinem Tod erkannte man sein herausragendes künstlerisches Talent, weshalb die Preise für seine Bilder in schwindelerregende Höhen stiegen.

Es verwundert daher nicht, dass der niederländische Künstler Ausgangspunkt einer Ausstellung mit dem Titel »Nach dem frühen Tod« ist. Die Schau vereint Werke von über 30 Künstlerinnen und Künstlern. In Nachfolge van Goghs soll gezeigt werden, wie ein frühes Ableben sich auf die Preisentwicklung und die Rezeption eines Werks auswirkt. Mit dabei sind unter anderem Arbeiten von Jackson Pollock, Martin Kippenberger, Ana Mendieta, Christoph Schlingensief, Michel Majerus, Jean-Michel Basquiat und Eva Hesse.

Das Thema der Ausstellung ist überaus spannend. Es lässt Raum für viele Fragen und Überlegungen. Die Exponate, welche das Team der Staatlichen Kunsthalle zusammengetragen hat, sind mitunter von hervorragender Qualität und stammen aus prominenten Sammlungen. Inhaltlich und konzeptuell machen sich jedoch leider immer wieder starke Unklarheiten und Widersprüche breit.

So muss man sich fragen, was eigentlich mit »früher« Tod gemeint ist und ob nicht Unterschiede in der Bewertung gemacht werden müssen. Jackson Pollock etwa, vertreten mit einem seiner Drip-Paintings aus der Sammlung Frieder Burda, starb mit 44 Jahren, Yves Klein und Eva Hesse hingegen mit nur 34 Jahren. Während der Begründer des Action Paintings ein zentrales Hauptwerk hinterließ, kann dies für Klein und Hesse nicht gesagt werden. Spekulationen, wie ihre Kunst sich hätte entwickeln können, haben daher eine viel stärkere Brisanz. Gleiches lässt sich auch über die Preisentwicklungen ihrer Werke auf dem Kunstmarkt sagen. Unterschieden werden müsste auch hinsichtlich der Bekanntheit zu Lebzeiten. Félix González-Torres hatte bereits früh zahlreiche Einzelausstellungen und konnte auch kommerzielle Erfolge landen. Bei Francesca Woodmann, die mit nur 22 Jahren Suizid beging, ist dies sicherlich nicht so.

Was die Ausstellung in Baden-Baden gänzlich außen vor lässt, ist eine Unterscheidung der Todesarten. Das Werk eines Künstler, der wusste, dass er sterben wird, wird man vielleicht anders lesen müssen als das eines Suizidenten, welches wiederum anders bewertet werden könnte als das eines Unfallopfers. Innerhalb des Rundgangs versuchten die Ausstellungsmacher allerdings so weit wie möglich auf biografische Einzelheiten zu verzichten, und genau an diesem Punkt offenbart sich einer der größten Widersprüche des Konzepts: Der offenkundige Wunsch, die Ausstellungsinhalte nicht auf den Tod zu reduzieren, steht im Gegensatz zur Rezeption seitens des Publikums. Im Gästebuch des Museums liest man von »traurig machenden« Biografien oder von der Erkenntnis, dass wir »viel zu schnell leben«. Die Staatliche Kunsthalle schafft alleine durch die Setzung des Themas ungewollt ein »Memento Mori«, bei dem die Kunst lediglich als Mediator oder als Illustration für eine Metaerzählung dient. Denn die ausgestellten Bilder, Skulpturen und Installation selbst handeln freilich nicht vom Tod des Machers oder der Macherin. Auch hat die Tatsache des Lebensende bei den meisten Exponaten keinerlei inhaltliche Bedeutung. Was wird, so könnte man kritisch fragen, in den Räumen der Kunsthalle denn dann überhaupt gezeigt?

Im Grunde ist das Medium »Ausstellung« trotz ansprechender Werkzusammenstellung völlig falsch für die an sich spannenden Fragestellungen. Daher kommt dem Begleitkatalog eine besondere Bedeutung zu. Hier wird in aufschlussreichen Beiträgen das besprochen, was erklärtes Ziel der Kuratoren war. Die Werkschau hingegen bleibt vage und kratzt oberflächlich an Themen wie Kunstmarktanalyse, Legendenbildungen, Kunstgeschichtsschreibung, Politik und Tod.

Die Intentionen der Künstlerinnen und Künstler müssen somit notwendigerweise im Hintergrund bleiben. Vielleicht ist es kein Zufall, dass das Plakat zur Ausstellung kein Kunstwerk ziert, sondern ein Marketingprodukt: das Abbild einer Kaffeetasse mit van Gogh-Konterfei.

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