Wenn Albrecht Dürer auf dem Terminplan von Nürnberg steht, kommt auch die Bücherwelt in Wallung. Günter Baumann informiert Sie über aktuelle Titel.
Vom 24. Mai bis 2. September zeigt das Germanische Nationalmuseum die größte Dürer-Schau seit 40 Jahren: Auf 1300 Quadratmetern werden sich über 150 Exponate, davon 120 Arbeiten des Jahrtausendmeisters ausbreiten. Ein biografisches Jubiläum braucht Dürer (1471–1528) dabei nicht, wenngleich sein Name große Schatten wirft. So wird die Ausstellung auch vom Ruf, den Nürnberg als Dürer-Stadt genießt, getragen und von weiteren Ereignissen flankiert. Die dortige älteste Kunstakademie Deutschlands feiert 2012 ihr 350-jähriges Bestehen, darüber hinaus findet im Juli der 33. Internationale Kunsthistorikerkongress in Nürnberg statt, und nicht zuletzt wird 2012 die zweijährige Neukonzeption des Dürer-Hauses als multifunktionstauglichem Dürer-Museum abgeschlossen sein.
Wirbel gab es im Vorfeld der Megaschau zum »Frühen Dürer«, als bekannt wurde, dass die Münchener Alte Pinakothek ihr berühmtes »Selbstporträt im Pelzrock« von 1499 nicht auf Reisen schickt. Mancher Franke witterte stammesgeschichtliche Fehden, von Beutekunst war die Rede (dabei hat Franken das Bild 1805 für ein paar Hundert Gulden an München verscherbelt), auch von früheren Beschädigungen im Ausleihverkehr — die eigens vorgenommene Untersuchung des hinter Glas konservierten Gemäldes ergab dann schließlich, dass es allein wegen seines erschreckend schlechten Zustands nicht transportabel sei, der schon aus der Zeit vor der Präsentation in Nürnberg im Jahr 1971 zu beklagen war. Für das Germanische Nationalmuseum dürfte das zu verschmerzen sein. In mehreren Sektionen wird Dürers Künstlervita am Frühwerk widergespiegelt, die geographische (Italienfahrt), ideelle (Antikenrezeption), philosophische (Humanistenfreunde) und fachliche (Büchergestaltung) Nachbarschaft beleuchtet sowie ein Augenmerk auf die Neubesinnung über den Menschen, auf die Dramatisierung der Bilderzählung und auf die theoretische Fundierung gelegt. Der von dem Projektleiter Daniel Hess und Thomas Eser herausgegebene Katalog vereint dazu 18 Essays.
Der Nürnberger Dürer-Hype lässt in den Hintergrund treten, dass auch Bremen seine »Dürer-Zeit« präsentiert: Seit 14. März (und noch bis 13. Mai) läuft eine Ausstellung mit genau diesem Titel – es geht um die Geschichte der Dürer–Sammlung in der Kunsthalle Bremen. Hier wie begleitend im Katalog überrascht die Kuratorin Anne Röver-Kann zusammen mit Rainer Schoch und Manu von Miller mit dem »norddeutschen Dürer«: einer 1945 verloren gegangenen Sammlung von rund 50 Zeichnungen und Aquarellblättern, die zu Beginn des Dürerkults im 19. Jahrhundert nach 1820 entstand. Ihre Rekonstruktion wurde möglich, weil viele der Exponate auf kuriose Ab- und Umwege nach Bremen zurückkehrten oder in Reproduktionen überliefert sind, und sie ist eingebettet in Arbeiten der Dürerzeit — von Altdorfer über Baldung Grien bis hin zu Huber. Es dürfte neben Dürer kaum einen Künstler in Deutschland geben, der eine solche Dokumentation rechtfertigt, die auch offen das Verhältnis von Original und Faksimile thematisiert. Da, wo die Reproduktionssituation mangelhaft ist, hilft der Katalog mit einer stellvertretenden Abbildung nach, weshalb er nahezu unerlässlich zur Ergänzung der Ausstellung ist. Eine Empfehlung fällt aus einem weiteren Grund leicht: Wenn auch das Nürnberger Spektakel nicht an die Schau im Norden heranreicht, gehört der luftig gestaltete Katalog, der die Doppelseiten lebhaft durchkomponiert, zu den schönsten Publikationen des Dürer-Jahres. Die besondere Überlieferung der zugrunde gelegten Sammlung und deren dokumentarischen Aufbereitung rechtfertigt die zuweilen recht klein ausgefallenen Vergleichsabbildungen — anders als die mittlerweile zur Gewohnheit gewordene Bilderparade stellen die Herausgeber hier ein Exponat in den Vordergrund, fügen eine Reihe kleiner Bildbeispiele zur optischen Unterfütterung bei und setzen das Ensemble mit den ausführlichen Texten in Beziehung.
Für den »besten und bedeutendsten deutschen Künstler aller Zeiten«, wie der Imhof-Verlag seinen neuen, im Mai erscheinenden Bildband »Dürer – Meisterwerke im Großformat« bewirbt, lief die Bücherparade bereits im vergangenen Jahr an. Um die Bandbreite der potentiellen Zielgruppen zu zeigen, sei auf zwei Publikationen hingewiesen, von denen besonders Rolf Vollmanns »Dürer Verführer« im Herbst für euphorische Stimmung sorgte. Bekannt für seine umfassenden Streifzüge durch die Weltliteratur, hat sich Vollmann die Kupferstiche Dürers vorgenommen und sich essayistisch auf die faszinierende Stichelführung des Meisters eingelassen — so gründet er eine lockere Schule des Sehens, die sich aus der Leselust heraus entwickelt. Der Gewinn der Lektüre liegt gerade auf dem literarischen Ansatz. Selbst kein Kunsthistoriker, folgt der Autor assoziativ seinen Seh-Erlebnissen, die er klug in Worte zu fassen versteht. Auf die Schaulust verlegt auch der Prestel-Verlag das Interesse bei dem von Mona Horncastle entwickelten und von Barbara Yelin gezeichneten Kunst-Comic »Albrecht Dürer«, der Kinder ab neun Jahren in die Welt des Malers entführt. Den Einzelsequenzen sind kulturhistorische Anmerkungen, eine Galerie mit Dürer-Werken —darunter den selten abgebildeten, da monumentalen Holzschnitt der »Ehrenpforte« — und ein Glossar beigefügt.
Pünktlich zur Nürnberger Ausstellung im Mai erscheint — neben den genannten Bildbänden — auch eine Biografie, die nicht nur den bestehenden Viten einen weiteren Einblick in das Leben Dürers hinzufügt, sondern das Werk am Lebens-Lauf entlang dem Leser nahe bringt. Der Autor Thomas Schauerte, Leiter des Dürer-Hauses, kann sich dabei zum einen auf seine grundlegende Kennerschaft berufen, und er verfügt zum anderen über eine zauberhaft-leichte Sprache, die es dem Leser ermöglicht, sich die Zeit und das Werk des Ausnahmekünstlers lebhaft vorzustellen. Anders als Rolf Vollmann, der es sich leisten kann, auf höchstem Niveau zu dilettieren, greift Schauerte in die aktuelle Dürer-Forschung ein und bewertet insbesondere die Druckgrafik neu, die lange im Schatten der Malerei Dürers stand. Mit rund 70 Abbildungen darf sich »Dürer. Das ferne Genie« auch optisch sehen lassen.
Der Ausstellungskatalog »Der frühe Dürer« kann über das Germanische Nationalmuseum erworben werden.