Ausstellungsbesprechungen

Spiegel geheimer Wünsche - Stillleben aus fünf Jahrhunderten, bis 12. Juli

Stillleben faszinieren seit Jahrhunderten Betrachter und Künstler gleichermaßen. In der Blütezeit der Stilllebenmalerei im 17. Jahrhundert schwelgten Künstler wie Abraham van Beyeren, Pieter Claesz und Willem Claesz Heda in üppigen Blumenarrangements und überbordenden Tafeln, Ensembles mit raffinierten Chinoiserien und exotischen Früchten, mit hauchzarten Gläsern und schweren Silberplatten. Im 19. Jahrhundert wird das Stillleben immer mehr zum malerischen Experimentierfeld für neue Stilrichtungen, wie beispielsweise bei Max Beckmann, Gabriele Münter, Karl Schmidt-Rottluff oder Alexander Kanoldt. Selbst die zeitgenössischen Künstler schrecken keineswegs vor gefüllten Regalen, toten Tieren und gedeckten Tischen zurück.

Auch Stillleben können auf den letzten Silben betont sein: Unter die stillen Bilder der Becher und Pokale, Äpfel und Zitronen, die zur Zeit unter dem Titel »Spiegel geheimer Wünsche« in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen zu sehen sind, stechen zwei Videos heraus, auf dem Pia Maria Martin die Klischees des Genres auffährt und regelrecht zum Tanzen bringt: Totenkopf, Buch, Flasche, Kerze, Sanduhr, Violine, Salatkopf usw. machen den Bildschirm zur Bühne: Die Protagonisten oder auch Initiatoren des multimedialen Schau-Spiels sind unter anderem Schnecken, die recht munter übers Parkett der salathaltigen Tischplatte schnüren. Das fällt der Gattung durchaus nicht in den Rücken, wimmelt es doch genau betrachtet in Stillleben von Käfern, Schmetterlingen, Vögeln und zugegeben wenig aktionsfähigem Jagdwild. Pia Maria Martin, Jahrgang 1974 und eine der jüngsten Künstler(innen) der Schau, macht sich über das ansonsten lautlose Gewusel lustig, aber auch ihre Gedanken: heraus kommt eine sehr eigenwillige, gewitzte Arbeit, die das Stillleben gleichsam ad absurdum führt und doch ein Paradebeispiel dafür abgibt.

Die Ausstellung ist reich an Überraschungen, die sich freilich in den jüngsten Werken am unterhaltsamsten bemerkbar machen, wenn etwa James Hopkins ein Wandregal mit scheinbar banalen und alltäglichen Gegenständen füllt: Billiggloben, Musikinstrumente, Verstärker, Kartons, Leergut – aus der Distanz betrachtet, entpuppt sich das Ensemble als Totenschädel. Doch das Thema lässt sich lebhaft über die Jahrhunderte hinweg genießen, wenn man etwa, wie in Bietigheim-Bissingen, einen nicht ganz stringent bzw. pingelig durchgezogenen alphabetischen Parcours durchschreitet: Augentäuschung, Brot und Bier, Chinoiserien usw. – kaum ein anderes Genre hat so vielfältige Facetten zu bieten, dass sich eine ganze Enzyklopädie vor unseren Augen entfaltet. Übernommen wurde die Schau von der Hamburger Kunsthalle, was man den Exponaten ansieht: In der Mehrzahl sind sie von dort ausgeliehen (und die Ausstellung nahm in der Kunsthalle ihren Anfang). Was die übernommene Schau jedoch zusätzlich auszeichnet, sind die nur hier gezeigten Leihgaben der innovativen Galerien Reinhard Hauff (Stuttgart), Rolf Hengesbach (Köln), Springer und Winckler (Berlin), Michael Sturm (Stuttgart), aber auch interessante Arbeiten von Beckmann und Kanoldt aus Bremen und Karlsruhe.

Doch keine Frage: Man würde natürlich der Hamburger Kunsthalle Unrecht antun, wenn man nicht die einschlägigen Salonstücke Revue passieren lassen würde: Klassiker wie Pieter Claesz, Willem Claesz Heda, Jan Weenix und anderen sind genauso präsent wie einzigartige Arbeiten von Wilhelm Trübner über Karl Schmidt-Rottluff und Giorgio Morandi bis hin zu Mona Hatoums Installation »Deep Throat« sowie Zimmerbilder wie die von Albert von Keller oder Jürgen Brodwolf, die das Stillleben schon an benachbarte Genres heranführen. Mit großem Vergnügen kann man auch ohne gezieltes Interesse staunen über die fein nachempfundenen Blumengestecke oder über die souverän gerädelten Zitronen und überhaupt über die kunstvollen Kompositionen, Augentäuschungen und Manipulationen. Eher beiläufig wird man Zeuge abstruser, obsessiver und subversiver Ideen und Phänomene, wenn etwa ein leibhaftiger Schmetterling herhalten muss, um die transparenten Flügel lebensnah zur Schau zu stellen, oder wenn die Tulpomanie thematisiert wird, die in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts nahezu den ganzen Wirtschaftshandel in eine Krise stürzte (die Tulpenzwiebeln waren zeitweilig eine der teuersten Waren weltweit). Manche geheimen Wünsche wurden auch ’mal nicht erfüllt.

Die teilnehmenden Künstler (in Auswahl): Künstler: Carl Albrecht, Eduard Bargheer, Max Beckmann, Abraham van Beyeren, Jürgen Brodwolf, Pieter Claesz., Cornelius Norbertus Gijsbrechts, Franciscus Gijsbrechts, Jakob Gilling, Mona Hatoum, Willem Heda, Jan van der Heyden, Johann Georg Hinz, James Hopkins, Bethan Huws, Alexander Kanoldt, Paul Kayser, Jan van Kessel der Ältere, Albert von Keller, Laura Letinsky, Pia Maria Martin, Girogeio Morandi, Gabriele Münter, Christopher Muller, Gerhard Richter, Pieter Gerritsz van Roestraeten, Jan van Rossum, Jörg Sasse, Reinhold Schaefer, Karl Schmidt-Rottluff, Carl Schuch, Thomas Schütte, Daniel Seghers, Isaak Soreau, Herbert Spangenberg, Hinrich Stravius, Juriaen van Streeck, Franz Werner von Tamm, Wolfgang Tillmans, Wilhelm Trübner, Jeff Wall, Andy Warhol, Jan Weenix u.a.m.

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