Der Band untersucht in 9 Beiträgen die Fähigkeiten und Kompetenzen der spätgotischen Werkmeister, die als Hauptakteure der spätgotischen Baukunst gelten. Sie waren als Planer, Erfinder, Bauhüttenleiter, Ausführende, Berater und Gutachter an den großen Bauwerken der Zeit beteiligt. Daniel Thalheim hat sich mit diesem Berufsstand einmal beschäftigt.
Als „Werkmeister“ oder „magister operis” werden in zeitgenössischen Quellen die aus dem Steinmetzhandwerk hervorgegangenen mittelalterlichen Architekten bezeichnet, die eine Meisterprüfung abgelegt hatten. Als Entscheidungsträger an den Schnittstellen von Idee, Entwurf und Ausführung beteiligt, besaß der Werkmeister eine bedeutende Stellung innerhalb des Bauprozesses. Sie standen in der spätmittelalterlichen Bauhierarchie allerdings hinter den Baumeistern zurück. Dieser Umstand spiegelt sich in einer verwirrenden Quellenlage wider, die ihrerseits wiederum zu Fehlinterpretationen führte. So besteht das Ziel dieses Tagungsbandes darin, die Position und Aufgabenbereiche eines spätmittelalterlichen Werkmeisters zu definieren und als kunstwissenschaftliche Kategorie nutzbar zu machen. Dazu versammelt der Band neun Beiträge in den Sektionen »Definitionen«, »Aufgaben der Werkmeister — Zur Qualität werkmeisterlicher Betätigung« und »Bestallung, Verdingung, Entlohnung — Werkmeisterliche Anteile im Bauprozess«.
Den Kernpunkt der Untersuchung bildet dabei die Kompetenzenverteilung und Organisation auf der Baustelle. Schemenhaft umschreibt Bruno Klein in »Werkmeister oder Architekten? Ein Problem kunsthistorischer Paradigmen« ein Modell mit drei Akteuren, bestehend aus einem Baumeister (administrative Belange, Vertreter des Bauherrn), einem Werkmeister (Ausführungsplanung) und einem Parlieren (Leitungsaufgaben vor Ort). Wolfram Günther verdeutlicht im Anschluss anhand von Schriftquellen zum Bau der Zwickauer Hauptkirche St. Marien die Schwierigkeit, konkrete Aufgaben der Werkmeister nachzuweisen. Klein stellt parallel dazu klar, dass die Aufgabenverteilung im Einzelfall verschieden sein kann und im Vorfeld geprüft werden muss. Denn die am Bau verantwortlichen Personen bildeten kein “schöpferisches Kollektiv“, sondern gingen jeweils differenzierten Aufgaben nach. So lieferte der Werkmeister nicht nur die Entwürfe für den Bau, sondern koordinierte, nach Klein, v.a. die Materialbeschaffung und war auch für die Vorfertigung von Werksteinen bzw. die Berücksichtigung einer vorhandenen Bausubstanz zuständig.
Beispielhaft stellt Leonhard Helten in » ›Reisende Bouwmeester‹ – Der Werkvertrag zwischen den Kirchherren von St. Peter zu Leiden und dem Werkmeister Rutger aus Köln aus dem Jahre 1391« dar, wie die werkmeisterlichen Anteile aussehen konnten. Er zeigte, dass sich das Parallelrippengewölbe im Binnenchor der St. Nikolauskirche in Kampen unmittelbar mit Meister Rutger aus Köln in Verbindung bringen lässt, der seit 1369 mit der Fertigstellung des Baus beauftragt war. Ebenfalls unter seiner Leitung wurde die St. Peterskirche in Leiden zwischen 1391 und 1402 begonnen. Die schlichteren Formen dieses Baus sind auf den Import von größenteils in den Steinbrüchen vorgefertigten Werksteinen zurückzuführen. Ohne die schriftliche Überlieferung, wonach Meister Rutger 21 Tage pro Jahr auf der Baustelle präsent zu sein hatte, wäre diese Zuschreibung allerdings kaum möglich gewesen.
Ulrich Knapp präsentiert in seinem Beitrag » Steinmetz 58 – Ein Wanderer zwischen den Welten « ein Beispiel für die Fluktuation spezialisierter Arbeitskräfte, die bei Bedarf oder Auftragsmangel auch einfachere Aufgaben übernahmen.
Wie die Werkmeister an ihre Aufträge kamen, untersucht Franz Bischoff. Demzufolge gab es nördlich der Alpen spätestens seit dem 15. Jahrhundert einen Wettbewerb um Aufträge und Dienststellungen, wie Bewerbungsschreiben belegen. Im Einzelfall reichte das Spektrum vom Billigangebot über Initiativbewerbungen bis zur Bitte eines Stadtrates um die Ausleihe eines anderswo beschäftigten Werkmeisters.
Im Gegensatz zur Tagung, die einzelne Aspekte, wie die werkmeisterlichen Anteile am Bauprozess oder die politische Dimension bei der Wahl eines Werkmeisters, sehr ausführlich behandelte, gibt sich der zugehörige Tagungsband mit einer geradezu minimalistischen Auswahl an Beiträgen zum Thema zufrieden. Er eignet sich daher nur um einen allgemeinen Überblick zu erhalten. Zahlreiche Bilder und Quellen, sowie Verweise auf aktuelle Forschungsliteratur unterstreichen den wissenschaftlichen Charakter des Buches. Allerdings erschwert der überwiegende Gebrauch von Schachtelsätzen und Fachtermini, insbesondere aus dem Bereich Architektur, die Lektüre. Grundsätzlich ist das Buch empfehlenswert für interessierte Kunsthistoriker, aber nicht für interessierte Laien, da die Beiträge teilweise viel peripheres Wissen voraussetzen.