Kataloge, Rezensionen

Täuschend echt. Illusion und Wirklichkeit in der Kunst, Hirmer Verlag, 2010

Der druckfrisch vom Hirmer Verlag vorgelegte Katalogband zeichnet in acht spannend zu lesenden Beiträgen das künstlerische Interesse am Trompe-l’ œil in seiner geschichtlichen Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart nach. Neben dem umfangreichen Abbildungsmaterial, das den wissenschaftlichen Essays beigefügt ist, werden dem Leser darüber hinaus über 70 großformatige, qualitativ hochwertige Bildtafeln dargeboten, die einer präzisen und nachvollziehbaren Analyse unterzogen werden. Unsere Autorin Verena Paul hat sich in die Welt der Täuschung und Illusion begeben und den Katalog für PKG besprochen.

Täuschend Echt. Illusionen und Wirklichkeit in der Kunst ©Hirmer Verlag 2009
Täuschend Echt. Illusionen und Wirklichkeit in der Kunst ©Hirmer Verlag 2009

Den Anfang in der Reihe der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der augentäuschenden Kunst macht Bärbel Hedinger mit ihrem Beitrag „Eine moderne Gattung seit der Antike“, der mit treffenden Bildbeispielen die Entwicklung des Trompe-l’ œils skizziert. Zugleich gibt die Autorin dem Leser einen roten Faden in die Hand, indem sie die Schwerpunkte der nachfolgenden Essays geschickt in ihren Text einbindet und so nicht nur einen allgemeinen Überblick zur Gattung gibt, sondern auch der Publikation eine Struktur verleiht. In dieser Hinsicht ist Hedinger eine Einleitung gelungen, die den Leser informiert, ohne ihn zu überfordern oder gar zu langweilen, die sprachlich wunderbar gestaltet ist und so zur weiteren Lektüre animiert.

Als nächstes beschäftigt sich Sybille Ebert-Schifferer in ihrem klug aufgebauten Aufsatz „Der Durchblick und sein Gegenteil. Malerei als Täuschung“ mit der Gattungsgeschichte und den ideellen und technischen Bedingungen der Augentäuschungskunst. Dabei bildet Leon Battista Alberti, der im 15. Jahrhundert die Vorstellung vom Bild als Fenster prägte, den Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. Später rückt unter anderem der englische Maler und Kunstschriftsteller John Ruskin, der im 19. Jahrhundert gegen die Trompe-l’ œil-Kunst wetterte, ins Zentrum der Darstellung. Denn er glaubte, dass sie, „die von jeher zum Nachdenken über ihre Dinghaftigkeit, die Bedingungen ihrer Herstellung und unsere Wahrnehmungsfähigkeit zwang, gefährlich subversiv war, weil sie den Glauben an unsere Fähigkeit, die Wahrheit zu erkennen, in den Grundfesten erschüttern konnte.“ Marcel Duchamp erkannte„die nicht mehr umkehrbare Dinghaftigkeit des Bildes konsequent an und erklärte als Erster industriell hergestellte Gebrauchsgegenstände zu Kunstwerken.“. Dabei bietet dieser Künstler „in einer disparaten Synthese Topoi der vergangenen Mimesis-Geschichte auf und stellt zugleich den Riss dar, der sie nunmehr durchzieht.“ Ihren Text beschließt die Autorin, indem sie pointiert die neu gewonnene Attraktivität der zwischen Illusion und Wirklichkeit oszillierenden Kunst in der Moderne und der Gegenwart erläutert. In diesem Aufleben artikuliert sich eine Tradition, „in der dem Trompe-l’ œil die Rolle eines historischen Katalysators zukommt, der zugleich die ewigen Bedürfnisse des homo ludens bedient.“ Durch Ebert-Schifferers Ergänzung: „Alberti hat es, wenn nicht so gewollt, so doch verursacht“, schlägt der Text erneut eine Brücke zu seinem Ausgangspunkt: Leon Battista Alberti. Mit solchen und ähnlichen Querverbindungen webt die Autorin ein Netz, das es dem Leser innerhalb kurzer Zeit ermöglicht, einen Hintergrund aufzubauen und Gedankengängen schneller folgen zu können.

Mit „Die Lust am Schein im Trompe-l’ œil“ geht Gottfried Boehm der Frage nach, „warum Trompe-l’ œils interessant bleiben, auch wenn man sie zum zweiten Mal beschaut, ihre Mechanismen kennt und durchlaufen hat.“ Dabei legt der Autor sein Augenmerk auf die seit der Antike tradierte Erzählung des Plinius über den Wettstreit zwischen den beiden Malern Zeuxis und Parrhasios. Hierzu eignete sich Plinius Platons Gedanken an, dass Bilder entweder banal sind, das heißt einzig materielle Größen, oder aber gefährlich, das heißt „lügenhafte Suggestionen und Ineinssetzungen mit einer Sache, die sie in Wahrheit selbst nicht sind“. In Gestalt der Novelle verwandelt sich allerdings die harte Kritik Platons „in eine spielerische Lust am Schein, nach Regeln neuer Art“, so Boehm. Anhand zahlreicher Beispiele belebt der Autor seinen Essay, der insofern dem Leser die Möglichkeit gibt, zu reflektieren, zu vergleichen und sich der Gattung kritisch anzunähern.

Michael Philipp untersucht demgegenüber in seinem – auch kulturgeschichtlich interessanten – Aufsatz „Een recht natuerlijke Schildery. Johannes Torrentius, die Camera obscura und der Augentrug in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts“ am Beispiel eines Künstlers „zentrale Momente der niederländischen Malerei zu Beginn des 17. Jahrhunderts […]: die veränderten Sehgewohnheiten und den aufkommenden Realismus, die Faszination für optische Erfindungen wie die Camera obscura und den Diskurs über die perfekte Nachahmung der Natur.“ [Philipp] Torrentius, der 1627 wegen Ketzerei, Atheismus, unsittlichem Lebenswandel und Verführung zur Unkeuschheit angeklagt wird, war den Zeitgenossen hinsichtlich seiner nahezu perfekten Maltechnik, mit der er eine realitätsnahe Wiedergabe erzielte, ein Rätsel. Der Autor geht diesem Mysterium in einem spannend zu lesenden Beitrag nach, indem er den Fortschritt in den Naturwissenschaften und die Entwicklung optischer Geräte in seine Überlegungen einbindet.

Das Material Glas, „das vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart als illusionistisch dargestelltes gesprungenes Schutzglas über einem Kunstwerk die Möglichkeit eines künstlerischen Kommentars gab“, wie Bärbel Hedinger festhält, ist Gegenstand des Essays „Das zerbrochene Glas. Opake Kommentare in einem transparenten Medium“ von Monika Wagner. Dabei weitet die Autorin den Blick, indem sie sich das Motiv des beschädigten Glases nicht nur in der Kunst vergangener Jahrhunderte, sondern auch in zeitgenössischer Kunst ansieht und beispielsweise auf Thomas Demands Diptychon eingeht, das einzig die Oberfläche der gesprungenen Scheiben einfängt und nicht mehr – wie etwa über drei Jahrhunderte zuvor – den Blick „auf ein dahinter- oder darunterliegendes Bild“ wirft. Damit sei das „einst transparente velum […] opak geworden“, so das Resumée Wagners.

Victor I. Stoichita betrachtet in seinem scharfsichtigen Textbeitrag „Trompe-l’ œil kinematographisch“ die augentäuschende Kunst auf der Leinwand. Bevor er sich jedoch Woody Allens Film The „Purple Rose of Cairo“ aus dem Jahr 1985 und dem darin stattfindenden Sprung aus der Leinwand widmet, verweist er auf die Vorläufer, wie den „Phantasmagorien des 18. Jahrhunderts und den Zaubertricks von Jahrmarktskünstlern des 19. Jahrhunderts.“ Augentäuschungen finden, dem Autor zufolge, in Allens Film auf ganz eigene Weise statt: Die Umarmungen von Cecilia und Tom, den beiden Protagonisten des Films, „sind selbstverständlich Halluzinationen und von daher irreal, unlogisch, ja absurd, aber doch“, so der Einwurf Stoichitas, „von rührender Zartheit. Sie sind das Ergebnis eines Trompe-l’ œil, gewiss, aber eines besonderen Trompe-l’oeil, wie es nur der Film zustande bringt: Trompe-l’oeil – kinematographisch.“

 

Mit seinem Essay „Die doppelte (Ent-)Täuschung. Bilder nach Bildern bei Thomas Demand“, das sowohl auf der Inhalts- als auch auf der Sprachebene zu überzeugen weiß, nähert sich Michael Diers mit zahlreichen Beispielen der künstlerischen Strategie von Täuschung und Ent-Täuschung eines zeitgenössischen Künstlers an. Thomas Demand, wie der Leser erfährt, „tauscht die Wirklichkeit, indem er sie im Modell nachstellt, komplett aus, nur um sie hernach umso plausibler vortäuschen zu können.“ Der Künstler beginnt mit einem (Presse-)Bild, überträgt dieses penibel in ein Papiermodell, so dass die Motive, wie der Autor es formuliert, „durch seine Praxis mimetischen Nachbaus und zugleich subtiler Entstellung in ein Zwischenreich der Hyperrealität“ überführt werden. Insofern überlagern die Nachbilder die Vorbilder und „schlagen sie in Bezug auf ihre Erkenntnisqualitäten um Längen, weil sie in aller Offenheit Techniken der Täuschung zur Wahrheitsfindung nutzen.“

Zuletzt zeigt Bice Curiger in ihrem klar strukturierten Textkorpus „Der zeitgenössische Kunstraum als Augentäuschung“ anhand von sechs Beispielen, „wie sehr der alte Topos der Mimesis in einer Zeit, in der die Grenze zwischen Wirklichkeit und Virtualität durchlässig ist, die Künstler herausfordert.“ Peter Fischli und David Weiss, die seit 1979 als Team zusammenarbeiten, gestalten das zeitgenössische Trompe-l’oeil etwa in Form geschnitzter, bemalter Alltagsgegenstände, die „mit großem Überraschungseffekt auch in Museen“  ihren Platz finden. Demgegenüber geselle sich bei Robert Gober neben das Alltägliche auch, so die Autorin, „eine oft beklemmende psychologische Spannung“. Weiterhin setzt sich Curiger mit den Werken Glenn Browns, Thomas Hirschhorns, Maurizio Cattelans – der sich „als Eindringling in der Kunst, als Clown, aber auch als Betrüger“ gebärdet – oder Urs Fischers auseinander, dessen „Arbeit am Wirklichkeitsbegriff der Kunst […] zur gesteigerten Selbstreflexivität [gehört], die die Kunst seiner Generation auszeichnet.“ Wie gestalten sich also heute die künstlerischen Augentäuschungen? Heute entstehen sie, wie die Autorin es formuliert, „sowohl mit Hilfe der avanciertesten bildtechnischen Verfahren als auch in provokativ anachronistisch anmutender Handarbeit.“ Dabei – heißt es weiter – wird „[d]as Publikum […] mit spielerischer Hinterlist für die Grenze zwischen „Draußen“ und „Drinnen“ sensibilisiert.“ Wie wirklich ist also die Wirklichkeit, wenn wir vor diesen Arbeiten stehen? Derartige Gedankenspiele reflektieren, so das pointierte Fazit Curigers, „eine künstlerische Haltung, die uns die Wirklichkeit neu erfahrbar machen will.“

Den Essays folgen vier Teilen, die anhand von Bildbeispielen und deren Interpretationen die Entwicklung des Trompe-l’ œils nachzeichnen. Während der erste Teil „Nachgeahmte und vorgetäuschte Natur“ die Entwicklung von der Antike bis zur Renaissance darlegt, steht im Zentrum des zweiten Teils das 17. Jahrhundert und „Die Erforschung der Illusion“. Als im 18. Jahrhundert das klassische Stillleben für die Trompe-l’ œil-Malerei an Bedeutung verliert, wird – wie uns der vorangestellte Text informiert – fortan das Quodlibet beliebt, „das mit seinen collagehaften Zusammenstellungen von Briefen, Urkunden und Drucksachen historische Ereignisse wie bei Johann Albert von Studnitz […] und persönliche Erinnerungen wie bei Johann Caspar Füssli […] einbezieht.“ Mit dem 20. und 21. Jahrhundert wird das Verfahren des Trompe-l’ œils nicht mehr nur in der Malerei, sondern auch in anderen Medien angewandt. Während in den 1960er Jahren die Pop Art „auf den Überraschungseffekt [setzt], den lebensechte Nachbildungen alltäglicher Gegenstände hervorrufen“, spielen Grafik, Photografie und Videokunst der Gegenwart „mit Irritationen der Wahrnehmung.“ Und in der Installationskunst sind KünstlerInnen bemüht, mit Augentäuschungen „die Grenzen der Kunst und des Kunstraums auszuloten und aufzubrechen.“ In jenem letzten Abschnitt werden hilfreiche Ansätze zu Werken wie Pablo Picassos „Glas und Würfel“ von 1914, Kurt Schwitters „Ohne Titel (1/2 Hektoliter YL)“ von 1922, Gerhard Richters „Umgeschlagenes Blatt“ von 1965 oder Bethan Huws dreiteiliger Holzarbeit „Drei Walnüsse“ aus dem Jahr 2006 gegeben. Und es sind diese vielfältigen Bildbeispiele, die den Leser/Betrachter immer wieder neu in den Bann ziehen, so dass er unbewusst oder bewusst Vergleiche anstellt, vor- und wieder zurückblättert und dabei Jahrhunderte wie im Zeitraffer durchschreitet.

Fazit: Die wissenschaftlich fundierten und sprachlich lebendig gestalteten Beiträge des vorliegenden Bandes sowie die sich anschließenden 70 Werkanalysen nebst umfangreichem Bildmaterial geben dem Themeneinsteiger eine hilfreiche Einführung und dem Trompe-l’ œil-Kundigen einen bündigen Überblick. Insofern bereitet die sich in „qualitativ“ hochwertiger Gestalt präsentierende, preisadäquate Publikation Studierenden, Wissenschaftlern und allen an Kunst Interessierten ein anregendes, bereicherndes und vergnügliches Leseerlebnis – ein Buch, das ich nur ungerne aus der Hand gelegt habe!

Täuschend echt. Illusion und Wirklichkeit in der Kunst, Katalog zur Ausstellung im Bucerius Kunst Forum Hamburg 13. Februar bis 24. Mai 2010, hrsg. von Ortrud Westheider und Michael Philipp, Hirmer Verlag, München 2010, 224 Seiten, 135 Farbabbildungen. ISBN 978-3-7774-2431-6 Preis: 39,90 Euro

 

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