Die Wiener Gürtelstraße kann mit einem ganz besonderen Ort aufwarten: Valie Export schuf hier 2001 einen Veranstaltungs- und Kunstort, der fast einer Erscheinung gleicht. Der Bau ganz aus Glas ist tagsüber fast unsichtbar, entfaltet aber des Nachts seine ganze Faszination. Nina Zöpnek hat ihn entdeckt.
Es ist ein etwas verhangener Sommertag in Wien. Ein Tag jener Sorte, an dem es unangenehm schwül ist, die Wolken hängen tief, manchmal blitzt die Sonne dazwischen hervor und man wünscht sich, dass der verhangene Himmel irgendwann seinen Zweck erfüllt und Abkühlung bringt. Weil ich es in meinem Zimmer nicht mehr aushalte, nehme ich Kamera und Regenschirm und ziehe los. Zuerst einmal ziellos. Doch dann tragen mich meine Füße in Richtung Wiener Gürtelstraße. Genauer gesagt zur U-Bahn Haltestelle „Josefstadt“ an der Wiener Gürtelstraße. Und da steht er, etwas versteckt, etwas unscheinbar, der Glaskubus von Valie Export.
Valie Export. Der Name klingt eventuell vertraut, kennt man sich ein wenig mit der Aktionskunst der 1960er und 1970er Jahre im deutschsprachigen Raum aus. Sollten beim Klang dieses Namens keine Glocken der Erinnerung läuten, dann sind vielleicht Fotos oder Video-Ausschnitte ihrer damaligen Aktionen bekannt. Dabei stehen vor allem die aufsehenerregenden Happenings wie etwa das »Tapp- und Tastkino«, bei dem Passanten die nackten Brüste Exports unter einem Sichtschutz betasten durften, »Aus der Mappe der Hundigkeit«, wobei Export ihren Kollegen Peter Weibel an einer Leine durch die Wiener Innenstadt führte oder »Aktionshose – Genitalpanik«, bei der Valie Export ihre Vagina durch ein Loch in ihrer Hose der Öffentlichkeit präsentierte, im Vordergrund.
Valie Export nutzte ihren Körper als Kunstfläche, um auf Missstände in der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Vor allem ging es dabei um die Rolle, die Frauen in der Öffentlichkeit einzunehmen hatten und auch heute noch haben, die Passivität, die dem weiblichen Geschlecht gerne auferlegt wird und den männlichen Blick auf den weiblichen Körper.
Im Jahr 2001, also lange nach ihrer Hochphase als Aktionskünstlerin, ließ Valie Export in Zusammenarbeit mit dem Frauenbüro des Magistrats Wien einen Glaskubus an der Wiener Gürtelstraße aufstellen. Jeder, der schon einmal nachts seine Zeit am »Gürtel« verbracht hat weiß, wie trostlos diese Gegend sein kann. Der »Gürtel« trennt die Innenstadt von den äußeren Bezirken und besitzt eine Reihe an Bars, die vor allem von jungem Publikum aufgrund der moderaten Bier-Preise und der gelegentlichen Live-Musik geschätzt werden, aber kann vor allem mit zwielichtigen Nachtlokalen und düsteren Stadtbahnbögen aufwarten. Trotz des hohen Beschäftigungsanteils von Frauen in eben genannten Lokalen ist die Wiener Gürtelstraße kein Ort, an dem sich das weibliche Geschlecht gefahrlos aufhalten kann. Es ist ein Ort, an dem Männer immer noch gerne ihre Verfügungsmacht über Frauen ausleben.
Daher kam die Idee auf, einen Ort zu schaffen, an dem Frauen in und aus Wien sich und ihre Kunst besser repräsentieren konnten. Tagsüber mutet der Kubus Export fragil an, fügt sich problemlos in den Durchgang der Wiener Stadtbahnbögen ein, verschmilzt aufgrund seiner Transparenz beinahe mit seiner Umgebung. Bei Nacht allerdings, fließt grünliches Licht von in den Boden eingelassenen Leuchtstoffröhren die Glasplatten hinauf und gibt dem Kubus eine anziehende Aura. Und das ist gut so. Denn gelegentlich finden im Kubus Ausstellungen von weiblichen Künstlern, der Abschlussklassen Valie Exports oder aber auch Konzerte statt.
Aber eben leider nur gelegentlich. Würde sich die Stadt Wien den ursprünglichen Grund der Errichtung des Kubus wieder ins Gedächtnis rufen und den Kubus laufend bespielen, würde sich mit Sicherheit ein Ort bilden, an dem Frauen in aller Öffentlichkeit und trotzdem vor äußeren Gefahren geschützt ihre Werke einem großen Publikum präsentieren könnten. Und Valie Export hätte somit ein weiteres Mal geholfen, auf die immer noch fragwürdige Rolleneinteilung in der Gesellschaft aufmerksam zu machen.