Kataloge, Rezensionen

Venedig. Von Canaletto und Turner bis Monet. Katalog der Ausstellung in der Fondation Beyeler, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2008.

Als der Italienreisende Goethe am 28. September 1786 in der „Biberrepublik“ Venedig ankam, fand er, dass schon alles Wichtige über diese Stadt gesagt sei. Wie sehr mussten dann erst hundert Jahre später die Maler die Stadt der Kunst empfinden, welche selbst so künstlich ist wie kein anderer Flecken der Welt, als ein ästhetisch verschlissenes Gebilde empfinden!

Nicht erst im Frühjahr 1797 ging die tausendjährige Geschichte der Seerepublik zu Ende. Und tatsächlich lässt sich im Rückblick trefflich darüber streiten, ob nicht der Niedergang der Serenissima bereits im 16. Jahrhundert eingeläutet wurde. Denn damals hörte das Mittelmeer auf, das mare mediterranum, das „Meer in der Mitte der Welt“ zu sein. Andere Hafenmetropolen wie Lissabon, La Rochelle, Plymouth oder Amsterdam rückten in den Blickpunkt. Sie wurden Ausgangspunkt neuer, transatlantischer Passagen, über die nun die so kostbaren Gewürze aus dem Orient herbeigeschafft wurden.

Venedig blieb als Denkmal seiner selbst zurück. Die am häufigsten verbildlichte Stadt, ein Kultort, ein goldener Götze auf tönernen Füßen. Eine exorbitante Fluchtburg, halb Seeräubernest, halb Hochburg des Frühkapitalismus. Es begann zu verfallen. Es wurde das, was es heute mehr denn je ist: zwielichtige Schöne zwischen Wasser und Himmel, zwischen Verführung und Verfallenheit, zwischen Orient und Okzident, größtes Freilichtmuseum und Vergnügungspark für Millionen von Ein-Tages-Touristen. Im Basisaufsatz des Katalogs weist der Kurator der Basler Ausstellung Martin Schwander noch einmal darauf hin, dass sich schon im Verlauf des frühen 19. Jahrhunderts nach Lord Byron und John Ruskin um die bröckelnden Steine der Paläste und Kirchen ein Kult der Morbidität entwickelt hat (vgl. 16f.). Denn „die Schönheit hat sich hier am Rande des Todes angesiedelt und trägt, mindestens seit zwei Jahrhunderten, seit dem besiegelten Untergang der venezianischen Größe, dessen Farbe“, wie es Ernst Bloch später formulierte.

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Der Katalog, herausgegeben vom mehr und mehr sich in den Vordergrund schiebenden Filderstadter Kunstverlag von Hatje Cantz, ist monografisch aufgebaut. In elf Kapiteln werden die wesentlichen Hintergrundsfakten auf jeweils etwa vier Buchseiten zusammengetragen: Wann, wie und warum die jeweiligen Maler nach Venedig kamen und welche Schriftquellen dabei aussagekräftig sind. Der Aufbau der Einzelbeiträge ist additiv und chronologisch. Wer eingehende Bildanalysen oder übergreifende Interpretationsaspekte erwartet, wird eher enttäuscht.

Das besondere Licht der Lagune, die Spiegelungen des Wassers, Dunstschleier und eine herrlich luzide Farbigkeit waren ja schon immer ein Markenzeichen der venezianischen Malerschule. Venedig scheint von seiner geographischen Ausnahmeerscheinung her geschaffen für Pleinairmalerei. Umso unglaublicher ist es, dass Maler wie der große Romantiker William Turner oder auch Monet sich teilweise mit Skizzen und Farbangaben begnügten und das Atmosphärische nachträglich in ihren Ateliers daheim aus dem Gedächtnis umsetzten (vgl. S.57). Woran lag das? Brauchten sie den Abstand, um so die Autonomie künstlerischer Mittel zu entwickeln?

„No one enters Venice as a stranger“, versicherte ein englischer Reiseführer aus dem Jahr 1842 seinen Lesern. Aber die Umkehrung dieses Satzes ist genauso gültig: Jeder, der nach Venedig kommt, spürt die Ausnahmesituation. Sein Gastsein, der Kontrast zur Welt der Gegenwart, stößt ihm auf, denn wohl an keinem Stadtbild ist die Zeit so spurlos vorbeigegangen, keines erscheint so künstlich konserviert. Gerade Maler der sich anbahnenden Moderne hat das manchmal abgeschreckt. Sie empfanden den Status des Touristen als einengend. So hatte sich etwa Claude Monet bis zum Jahre 1908 standhaft geweigert, Venedig zu betreten. Diese Allegorie der Vergänglichkeit erschien ihm zu sehr von Klischees, Erwartungshaltungen und Bedeutungen umstellt. Dabei hätte ihm doch eigentlich das südliche Licht und die Wasserreflexion entgegenkommen müssen; waren sie doch ein Pendant zu seinen „Nympheas“ im Garten von Giverny. Immer wieder erwähnt seine Frau Alice in ihren Briefen an die Tochter Germaine, dass Claude Monet stöhnend ausgerufen habe: „Zu schön, um gemalt zu werden!“ (hier S. 193).

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Andererseits, gerade darin liegt für viele der Maler anscheinend eine besondere Herausforderung: Gegen die konventionalisierte ästhetische Erwartung und gegen den touristisch zugerichteten Blick mussten sich die neuen Sichtweisen behaupten. Vielleicht liegt es ja auch daran, dass gerade die Bilder mit den absolut klassischen Ansichten besonders wenig berühren kann (etwa der Blick auf Dogenpalast, Piazetta und Campanile von S. Giorgio Maggiore aus, wie es Renoir 1881 gemalt hat, Kat. S.161). Das gilt nicht für Manet oder Monet. Dass mehr als ein Dutzend der 36 Gemälde, die Claude Monet von Venedig gemacht hat, nun in der Basler Ausstellung erstmals seit genau 100 Jahren wieder zusammengetragen wurden, gehört zu den besonderen Verdiensten der Ausstellungsmacher um den Kurator Martin Schwander.

Mit dem amerikanischen Maler James McNeill Whistler verbinden wir zunächst die ebenfalls weitgehend gegenstandslosen und bedeutungsschweren „Nocturnes“ der 1870er Jahre. Am Ende dieses Jahrzehnts, mithin auf der Höhe seiner stark attackierten künstlerischen Laufbahn, kam Whistler im September 1879 mit seiner Geliebten für ganze 14 Monate nach Venedig. Zunächst suchte auch er den neuen Blick, nicht jene Bilder, „wie sie jeder Dummkopf mit nach Hause bringt“ (hier S.92). Er fuhr mit der Gondel in das Labyrinth der kleinen Kanäle und machte wunderbare Radierungen von wasserumspülten Toren und engen Gassen, die gar nicht so weit von seinem Kritiker John Ruskin entfernt sind. Meistens sind sie figurenreich und mit ihrer Feinlinigkeit auf die Bedürfnisse eines breiteren Kunstsammlerkreises zugeschnitten. Seine Pastelle stützen sich ganz auf die Wirkung des braunen Kartongrunds und begnügen sich mit leicht hingestrichenen Kreidetönen, fokussieren häufig nur das Zentrum und überlassen es der Betrachterphantasie, die Peripherie des Blattes mit der eigenen Erfindungsgabe zu ergänzen.

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In dem vielleicht wohl besten Essay des Katalogs arbeitet der Basler Kunsthistoriker Gottfried Boehm eindrücklich heraus, wie Monet, nachdem er Anfang der 1890er Jahre die Kathedrale von Rouen immer wieder in wechselndem Licht gemalt hatte, nun die Verflüssigung des Steinernen erneut an den Palazzifassaden des Canal Grande erprobt. Die Architektur wird vollständig aufgelöst und in unterschiedliches Licht getaucht, besonders in die Leuchtkraft der abendlichen Dämmerung. Dabei organisiert Monet die obere und die untere Bildhälfte oft um die waagrechte Spiegelachse, in der die Gebäude und die Wasserlinie zusammentreffen. So wird der Bildraum zur abstrakten, flirrenden Farbfläche, und die Architektur scheint unverankert dahin zutreiben. Alles wird verflüssigt, und die „Rationalität von Mass und Distanz weicht einer Irrealisierung“ (S. 196).

Dem Gastkurator Martin Schwander ist in der Ausstellung eine wunderbare Ergänzung gelungen, welche im Katalog leider zu kurz kommt: die historischen Fotografien aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die einzigartige Basler Sammlung Herzog hat hier Schönes beisteuern können. Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts war nämlich das aufstrebende Massenmedium auch in Venedig vertreten und spätestens seit den 1870er Jahren war der Handel mit Venedigansichten ein einträgliches Geschäft.

Druck und Abbildungsqualität des Katalogs sind in der kaum zu überbietenden Qualität, die man von Hatje Cantz gewohnt ist. Eine Unsitte ist es freilich, dass manches Referenzfoto für den zweispaltig und großzügig gesetzten Text nicht einmal die Größe einer Briefmarke hat. Was nützt das, selbst wenn die Lesebrille einmal in erreichbarer Nähe liegt?

Es sei hier auch auf ein ergänzendes Büchlein des Verlags Hatje Cantz verwiesen: „Die Geschichte einer Reise“, Alice und Claude Monets Briefe aus Venedig, sind zeitgleich von Philippe Piguet, herausgegeben worden.

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