Fallen zwei runde Jahrestage zusammen, ist das schon ein Grund zum Feiern. Das Karikaturmuseum hat sich denn auch zu seinem zehnjährigen Bestehen eine Ausstellung ins Haus geholt, die ihrerseits ein Jubiläum fixiert: 400 Jahre Karikatur und Bildsatire. Günter Baumann sah sich die Ausstellung und den dazugehörigen Katalog genau an.
Dazu ist ein schöner Katalog im Residenz Verlag erschienen, der die bedenkenswerten Daten über die Ausstellung hinaus sichert. Die Kuratoren sind Werner Hofmann, den Wienern bekannt als Gründungsdirektor des Museums des 20. Jahrhunderts, den Deutschen unvergessen als herausragender Leiter der Hamburger Kunsthalle, sowie Werner Nekes, dessen fulminante Sammlung zur einschlägigen »Geschichte der Bilderzeugung« – mit rund 25000 bildsatirischen Objekten und Karikaturen – den Grundstock der Ausstellung mit etwa 200 Exponaten bildet. Beide haben sich dazu entschieden, dem Thema (so Hofmann) »ohne einen theoretisch-didaktischen Apparat« auf den Leib zu rücken, was der Schau wie dem Katalog zugute kommt, geht es doch weniger um einen ernsten Diskurs oder eine speziell thematische Erkundung als um »eine lustvoll-naive Mischung aus Sittenbildern, Gespenstervisionen, abenteuerlichen Lebensläufen, politischen Zerrbildern, schlichten Wunderszenen und immer wieder Bildern, die andere Bilder versteckt in sich tragen«.
Letzteres begründet auch das Fixdatum um 1610, als etwa Chrstoph Jamnitzers »Neuw Grotteßken Buch« erschien, ein manieristisches Musterbuch satirischer und grotesker Motive. Denn eines verheimlicht die Ausstellung genauso wenig wie das Buch, die sich letztlich nicht penibel um die 400 Jahre hin oder her kümmern: Unter dem Motto »Ich traue meinen Augen nicht« präsentieren Kurator und Co-Kurator »Augentrug« vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Sicher hätte man auch antike Anklänge im weitesten Sinn finden können (man denke an die mosaizierten Bikini-Mädchen), aber der Einstieg, den Hofmann mit der mittelalterlichen Kathedralplastik wählt, ist doch eindrucksvoll – angesichts der dämonenhaften Mischwesen hätte man wohl auch das 800-jährige Jubiläum begehen können. So bietet das Thema einige gestandene Vorläufer, darunter auch keine Geringeren als Leonardo da Vinci oder Albrecht Dürer, die grandiose Zerrbilder schufen, welche nicht nur gegen das Renaissance-Ideal des schönen Maßes Sturm liefen, sondern auch – gerade im Dienste der individuellen Befreiung des Künstlers in der Renaissance – als Lockerungsübungen fungierten, die das moderne Selbstbewusstsein hervorbrachten. Kurzum: Im 17. Jahrhundert ist eigentlich schon alles gesagt, wenn auch die Karikatur, besser gesagt das Zerrbild der realen wie der idealen Welt, sich mehr und mehr verselbständigt. Doch traut man seinen Augen wirklich nicht, wenn man im Katalog eine Zeichnung von Agostini Carracci entdeckt, die ein aberwitziges Rätselbild zeigt: Über einem nach unten hin offenen Rechteck ragt ein schiefes spitzes Dreieck hervor – ein Kapuziner, der auf der Kanzel zusammengesunken und eingeschlafen ist! Derartige Spielchen gibt es bis heute.
Apropos: Werner Hofmann stellt sich dem Diktum Goethes entgegen, von der bildenden Kunst verlange man »deutliche, klare, bestimmte Darstellungen«. »Unser Ansatz«, so Hofmann, stellt diese Forderung spielerisch in Frage«. Was er anstrebt, ist eine Kunstgeschichte der Seitensprünge, der Spielerei mit verschiedenen Wirklichkeitsebenen. »So betritt der Betrachter ein sprühendes Panoptikum, in dem für das ›Bild‹ im alten, statischen Sinn … kein Platz mehr ist«. Unter den zahlreichen Künstlern sind zu nennen: Anna und Bernhard Blume, George Cruikshank, Honoré Daumier, Paul Flora, J. J. Grandville, William Hogarth, Maria Lassnig, Gerhard Rühm, Saul Steinberg u.a.m. Bewusst wurde auf Deix, Peichl & Co. verzichtet, die das groteske Vexierbild wiederum in blanken Realzynismus überführen, wo man mehr oder weniger entsetzt seinen Augen schon wieder trauen kann.