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„Kein Klein-Klein, bitte“

Sebastian C. Strenger zum Tod von Wolfgang Pehnt, dem bedeutenden Architekturkritiker und internationalem Regulativ in der zeitgenössischen Architektur. Ein Nachruf des Pehnt-Schülers über den Einfluss seines Professors auf die Architektur und heutige Gesellschaft.

Portrait Wolfgang Pehnt_Copyright SCS Bildarchiv, Berlin
Portrait Wolfgang Pehnt_Copyright SCS Bildarchiv, Berlin

Der renommierte Architekturkritiker Wolfgang Pehnt ist im Alter von 92 Jahren verstorben. Sein Lebenswerk umfasst zahlreiche Veröffentlichungen über Architektur und Baukunst, darunter Monographien über bekannte Architekten wie Gottfried Böhm und Karljosef Schattner. Hans Poelzig bedachte er zudem mit einer Monographie, wie auch Rudolf Schwarz, für den er ebenso eine Ausstellung ausrichtete. Vor allem aber war es sein Blick auf die gesellschaftlichen Hintergründe und zeitbezogenen Abhängigkeiten der Architektur, die seine Vorlesungen an der Ruhr-Universität so wertvoll machten.

Nachdem ich mein Studium bei Max Imdahl begonnen hatte, der von 1965 bis zu seinem frühen Tod 1988 Ordinarius für die Fakultät der Kunstgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum war und heute zu den Wegbereitern einer Kunstgeschichte der Moderne zählt, führte Pehnt durch sein Grundlagenwerk für die expressionistische Baukunst, die ihm 1995 in Bochum eine Titularprofessur durch das Land Nordrhein-Westfalen einbrachte, im Geiste seines Bochumer Gründervaters dies weiter. Dabei kritisierte er stets postmoderne Tendenzen und Rekonstruktionen und setzte sich zeitlebens für humane Lebenswelten ein. An meinem heutigen Wohn- und Arbeitsort also kein Wunder, dass die „Geschichtsmanipulation beim Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses“ Pehnt´s Verriss nach sich zog.

Noch bevor Pehnt in Bochum eintraf, stolperte ich über seinen im 1984 bei Artemedia erschienen Buchbeitrag „Documenta – Dokumente. Künstler im Gespräch“. Die Gespräche mit Künstlern wie u.a. Georg Baselitz, Penck, Markus Lüpertz, Meret Oppenheim, Richard Paul Lohse und Joseph Beuys inspirierten mich. Es war die Zeit, in der Beat Wyss mit mir als Student in Bochum den Versuch unternahm, eine bis dahin noch nicht vorhandene Bestandsaufnahme aller Documenta-Ausstellungen vorzubereiten. Wenngleich dem aus Zeitgründen kein Erfolg beschieden war, so doch später in dem gemeinsamen Projekt der Publikation „Die Ikemura-Schule“, für die ich als Herausgeber verantwortlich zeichnete.

Ruhr Universität Bochum aus der Luft_Copyright Ruhr-Universität © RUB, Marquard
Ruhr Universität Bochum aus der Luft_Copyright Ruhr-Universität © RUB, Marquard

Es waren die Mitte der Neunziger Jahre im Ruhrgebiet. Die Bochumer Ruhr-Universität hatte sich mit ihrer brutalistischen Architektur zwar bereits in den Achtzigern den Ruf als Selbstmöder-Uni erworben, jedoch wurde sie auch das Juwel für die internationale Kunstgeschichte, denn das Who-is-who der Kunstwelt von Künstler:innen wie beispielsweise Bernd und Hilla Becher bis zu Sammler:innen wie Peter Ludwig gab sich dort für regelmäßige Vorträge die Klinke in die Hand. Man gab sich weltoffen. Ebenso für den weltgewandten Wolfgang Pehnt.

Pehnt ging zuvor noch seiner Tätigkeit als Redakteur und Leiter der Abteilung Kunst und Literatur beim Deutschlandfunk nach und war bis zuletzt als Publizist und international renommierter Architekturkritiker für sämtliche bedeutenden Medien tätig. Vier Jahre vor seiner Emeritierung als Professor erschien ein weiteres Opus Magnum mit „Deutsche Architektur seit 1900“ und mit „Städtebau des Erinnerns“ von 2021 legt er noch zuletzt eine kritische Betrachtung über die Architektur von 12 Städten vor, um Einblick in Fragestellungen zu geben, wie: Wie kommt es, dass man von Dresden als dem „Elbflorenz“ spricht? Und warum wird der Name „Venedig des Nordens“ gleich von mehreren Städten beansprucht?

Angesichts der Fülle seiner Betrachtungen in der Architektur wurden ihm bereits früh Verdienst zuteil. Dafür erhielt Pehnt unter anderem den Kritikerpreis des Bundes Deutscher Architekten (1988), den Erich-Schelling-Preis für Architekturgeschichte und -theorie (1994), 2001 den Fritz-Schumacher-Preis für Architektur, den Ehrenpreis des Verbandes der deutschen Kritiker für ein Lebenswerk (2006) und zuletzt den Deutschen Preis für Denkmalschutz mit dem Karl-Friedrich-Schinkel-Ring im Jahr 2009.

Dabei hatte er zunächst in Marburg und München Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie studiert und wurde in Frankfurt am Main mit einer Arbeit über Zeiterlebnis und Zeitdeutung in Goethes Lyrik promoviert. Doch sein Faible für die angewandte Kunst und zeitgenössische Architektur brachten ihn in das Fahrwasser der kritischen Betrachtung. „Kein Klein-Klein, bitte“, war sein Credo und so konnte man in den großen Zeitungen und Fachmagazinen regelmäßig über seinen Frontalangriff gegen die „Verbrechen“ in der Architektur lesen. Als Freigeist mischte er sich in nahezu jede Debatte ein, die ihm lohnenswert erschien, wie beispielsweise zur Frankfurter Paulskirche, die aus sein Sicht nicht historisierend umgestaltet werden dürfe.

Jagdhaus St. Hubertus von Hendrik Berlage als Beispiel expressionistischer Baukunst_Copyright Hoge Veluwe Park
Jagdhaus St. Hubertus von Hendrik Berlage als Beispiel expressionistischer Baukunst_Copyright Hoge Veluwe Park

Damals begann ich mit ihm zum Thema der expressionisten Baukunst zusammenzuarbeiten. Nachdem ich zuvor Imdahls Engagement unter anderem für die Kunst Richard Serras erlebte, sollte ich später mit Bruno Klein einen Bestandskatalog zur Kunst im öffentlichen Raum der Ruhr-Universität Bochum erstellen. Als ich bei Pehnt schliesslich mein Magister-Thema zum expressionistischen Jagdhaus „St. Hubertus“ von Hendrik Berlage im Hoge Veluwe Nationalpark der Niederlande anmeldete, um für ein Jahr im Dreieck zwischen Amsterdam, Rotterdam und der deutsch-niederländischen Grenze zu pendeln, war mir noch nicht klar, dass der Stil und das Auftreten Pehnts mich später einmal ermuntern sollten, in die Kunstkritik zu gehen. Heute kann ich sagen: Pehnt wurde in seiner stillen und doch bestimmten Art für viele seiner Schüler zum Wegweiser und Mentor. Aber auch zum Vorbild von Kompromisslosigkeit in kunst- und kulturkritischer Betrachtung.

Dabei erinnere ich mich gerne an die zahlreichen Gespräche über die Auswirkungen der Postmoderne und auch zu faschistischer Baukunst mit dem im Jahr 1931 in Kassel geboren Pehnt, der als Jugendlicher noch die Zerstörung seiner Heimatstadt im Krieg erlebte. Allesamt Themen, die ich auch mit dem in Köln lebenden Joachim Petsch teilte, für dessen Bochumer Lehrstuhl ich bei einer ersten Inventarisierung aller 1950er-Jahre-Bauten in Köln mitwirkte, um einen ersten Entwurf einer Denkmalschutzliste für die Rheinmetropole vorzulegen, nachdem in Deutschland das Interesse für die Architektur der 1950er Bauten noch nicht erwacht war, jedoch immer mehr Architektur-Ikonen für neue Bauprojekte dem Abriss preis gegeben wurden und zu verschwinden drohten.

Nach dem Studium und Promotion war Pehnt zunächst als Lektor in Stuttgart tätig. Gerd Hatje mit seinem damals renommierten Verlag für moderne Kunst und Architektur ihn 1957 als Lektor eingestellt, wo er unter anderem die Buchreihe für „Neue Deutsche Architektur“ betreute, von der Pehnt den dritten Band noch als Rundfunkredakteur verfasst hatte.

1963 liess sich Pehnt dann in Köln nieder, wo er noch vor rund einem halben Jahr die Einweihungsrede für das sogenannte „Pehnthaus“ als Lern- und Forschungsstätte für Studierende hielt, seinem Wohnhaus, dass er mit samt seiner großen Sammlung an Büchern und Manuskripten im Vorlass der Technischen Hochschule Köln vermachte. Am vergangenen Wochenende verstarb Wolfgang Pehnt am Wohnort seines Sohnes und Physikers Martin Pehnt in Heidelberg. Gemeinsam mit der Schriftstellerin Annette Pehnt hinterlässt er zwei Kinder.
Die Kunst- und Bauwelt verliert damit einen seiner profiliertesten Architekturkritiker und mit seiner Stimme das stärkste Regulativ in der heutigen Architektur.

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