Die Malerin und Grafikerin Ruth Baumgarte hat Afrika über Jahrzehnte bereist. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts dokumentiert sie in ihren Bildern den Alltag in unterschiedlichen Ländern des Kontinents. Es ist das Ende der Kolonialzeit und der Aufbruch in eine selbstbestimmtere Zukunft, den sie in ihren farbintensiven Bildern festhält. Jetzt ist die von Prof. Beate Reifenscheid kuratierte Ausstellung »Turn of Fire« in St. Petersburg zu sehen. Susanne Braun hat sich den Katalog zur Ausstellung angesehen.
Sie zeigen meist Menschen in ihrem Alltag, die Gemälde und Zeichnungen von Ruth Baumgarte. Dabei sind die meisten von ihnen in leuchtenden Farben gehalten. Doch Ruth Baumgarte zeigt auf ihren Bildern keine idealisierte Welt oder gar eine Idylle. Sie bildet Frauen und Männer ab, die den Betrachter bei der Verrichtung ihrer alltäglichen Arbeiten skeptisch mustern. Sie thematisiert auf ihren Bildern Gewalt genauso wie Fürsorglichkeit, Angst oder Koketterie. Auf manchen Bildern scheinen die dargestellten Personen in Farbe und Form mit ihrer Umgebung zu verschmelzen und zu einem Teil der Landschaft zu werden. Es sind erkennbar einsame Menschen auf einer beschwerlichen Reise durch eine farbenfrohe und doch sehr karge Landschaft.
Ruth Baumgartes Bildsprache ist sehr komplex. Ihr Stil ist in seiner Farbgebung oft expressionistisch, ergänzt durch regelrecht pointillistische Elemente. Dabei erinnern viele ihrer Bilder außerdem an surrealistische Gemälde, die mit der Wahrnehmung des Betrachters spielen und sie in Frage stellen. Viele Aquarelle haben in Farbgebung und Aufbau Ähnlichkeit mit Werken Lionel Feiningers, die Gemälde mit denen Ernst Ludwig Kirchners oder August Mackes. Wenn Ruth Baumgarte Geschichten vom Lebensalltag der Menschen in ihren Gemälden festhält, verwendet sie oft unverkennbar Sprache und Stilmittel von Buchillustrationen und Comics.
Ruth Baumgarte (1923-2013) ist die Tochter des UFA-Verwaltungsdirektors und Mehrheitseigners der Tobis-Filmproduktionsgesellschaft, Kurt Rüpli, und der Schauspielerin Margaret Kellner-Conrady. Sie studierte in den 1940er Jahren Grafik und Malerei an der Staatlichen Hochschule für Bildenden Künste Berlin. Während des Studiums arbeitete sie für die Kaskeline-Zeichentrickfilm-Ateliers. Nachdem sie kurze Zeit als Pressezeichnerin für die erste deutsch-russische Tageszeitung gearbeitet hatte, zog sie 1945/46 nach ihrer Heirat nach Bielefeld. 1950 begann sie damit, den afrikanischen Kontinent regelmäßig zu bereisen und die Eindrücke in ihren Bildern zu dokumentieren.
Im Katalog zur Ausstellung »Turn of Fire« zeichnet Prof. Beate Reiffenscheid die Darstellung Afrikas in der Kunstgeschichte bis hin zu Ruth Baumgarte nach. Entstanden in enger Verbindung zu der Begeisterung für Orientalismus und Exotik, spielte etwa Delacroix Mitte des 19. Jahrhunderts in seinen Werken mit erotischen Mythen und Phantasien etwa über den Harem. Anfang des 20. Jahrhunderts verhalfen Paul Klee seine Reisen in diesen Kontinent zu seiner, für den westlichen Blick ungewöhnlichen, Farbpalette. Ergänzen ließe sich die Darstellung vielleicht noch um den Hinweis auf Scheherazade und ihre »Märchen aus 1001 Nacht«, die einen wesentlichen Anteil an der Orientalismus-Begeisterung des europäischen Publikums hatten. Anfang des 18. Jahrhunderts von Antoine Galland ins Französische übersetzt, verbreiteten sie sich schnell in ganz Europa.
Obwohl die aktuelle Ausstellung in St. Petersburg auf der gleichnamigen Ausstellung basiert, die vor einigen Monaten im Ludwig Museum in Koblenz zu sehen war, ist aus diesem Anlass ein neuer Katalog auf Russisch und Englisch erschienen. Er enthält einige Bilder, die der Ausgabe in deutscher, französischer und englischer Sprache fehlen. Da die Texte von Prof. Beate Reiffenscheid und den aus Afrika stammenden Schriftstellern Maren Bodenstein und Chirikure Chirikure jedoch in beiden Katalogen enthalten sind, ist die deutschsprachige Ausgabe auch allen Besuchern von »Turn of Fire« in St. Petersburg sehr zu empfehlen. Generell lässt sich sagen, dass Leser sich anhand des Katalogs einen umfassenden Eindruck von Ruth Baumgartes Afrika-Gemälden verschaffen können. Darüber hinaus helfen die Texte von Maren Bodenstein und Chirikure Chirikure dabei die Wertschätzung, die Ruth Baumgarte in Afrika genießt, nachzuvollziehen.
Im Übrigen scheint etwas von der vielschichtigen Bildesprache, die Ruth Baumgarte entwickelt hat, bis heute weiter zu leben. Beispielsweise erinnert das Design des Computerspiels »Ayo«, das von Inkline Games aus Beirut entwickelt worden ist, sehr an einige Gemälde von Ruth Baumgarte. Die Spieler von »Ayo« steuern ein junges Mädchen auf der überlebensnotwendigen Suche nach Wasser für ihre Familie durch ein unwegsames Gelände voller Gefahren. Inkline Games möchte damit auf die Situation vieler Mädchen in Afrika Aufmerksam machen. Viele von ihnen müssen so viel Zeit für die Beschaffung der lebensnotwendigen Wasserration aufwenden, dass ihnen die Zeit fehlt, zur Schule zu gehen. Dieses Anliegen sollte ganz im Interesse Ruth Baumgartes sein.
Den Trailer, Bildeindrücke und weitere Informationen zu dem Computerspiel »Ayo« finden Sie auf der Homepage: www.ayothegame.com.
Beate Reifenscheid (Hrsg.)
Ruth Baumgarte. Turn of the Fire
Prestel Verlag, ISBN 978-3-7913-5703-4, Ladenpreis 45,00 €