Graffiti und Aufkleber auf Hauswänden und anderen unfreiwilligen Leinwänden gelten den Liebhabern als feinsinnige Kunstwerke, vielen anderen Menschen als hässliche Schmierereien. Dieser nichtsanktionierten Kunst im öffentlichen Raum widmete der Taschen-Verlag den vorliegenden Band. Diana Kotte begab sich für PKG auf den Stadtrundgang.
Es sieht ein bisschen aus wie der erste sonnige Tag im Jahr. Grünes, frisches Gras, Sonnenstrahlen. Im Hintergrund sieht man Gebäude, im Vordergrund Grabsteine, Kreuze, auf einem die unverkennbaren ineinander geschwungenen Chanel-Cs, etwas dahinter die steinerne Umsetzung des goldenen McDonalds-Ms. Blättert man einige Seiten weiter, findet man ein auf eine Doppelseite gedrucktes Foto: halb abgerissene Gebäude, eine Baustelle, ein paar Autos und auf einer Hauswand einen fast fotorealistischen Ausschnitt eines Porträts in Überlebensgröße – ein Mann, der gen Himmel schaut, hoffend, den Mund leicht geöffnet, als würde er staunen und zu den Kränen hinaufschauen.
Man findet Schönes, Erstaunliches, Bewegendes, Verstörendes.
In acht Kapiteln und auf 320 Seiten wird die Geschichte der urban art nachgezeichnet und natürlich angemessen bebildert. Allerdings nicht, wie vielleicht zu erwarten wäre, mit Hochglanzbildern, sondern auf festem, matten Papier. Das ist hochwertig, wirkt aber dennoch nicht wie ein klassischer Ausstellungskatalog. Die Bilder zeigen auch keine perfekt ausgeleuchteten Exponate, sondern urbane Kunst im urbanen Kontext: Die Stadt wird zum Ausstellungsraum. Die Kapitel sind farblich abgegrenzt, die Typografie dem Thema angepasst, aber nicht verspielt. Sie steht eindeutig hinter den Inhalten und den Bildern, die zuweilen sogar Straßenkünstler bei der Arbeit zeigen.
Trespass – Hausfriedensbruch, also die vorsätzliche Verletzung der rechtlich geschützten Unverletzlichkeit befriedeter Besitztümer. Street Art in Form von Graffiti, Stampings und Aufklebern bereichert heute fast jeden öffentlichen Raum. Entsprechend nimmt »Trespass« den Leser auch auf eine internationale Reise mit: Banksy in Timbuktu, Keith Haring in New York und Faile in Israel, um nur einige Beispiele zu nennen.
Oftmals steckt hinter den Werken, die man meist achtlos passiert, eine Geschichte. Auch davon weiß das Buch zu berichten. Paul Harfleet pflanzte 2007 Stiefmütterchen an allen Plätzen, an denen er wegen seiner Homosexualität verbal angegriffen wurde, und benannte das jeweilige Werk nach der Beschimpfung, der er ausgesetzt war.
Das Faszinierende der urban art wird bereits nach einigen Seiten augenfällig: Ob es sich nun um guerilla gardening handelt oder um abstrakte Botschaften, ob es ironische Stencils sind oder einfache weiße Sprechblasen auf Werbeplakaten, die dann von Passanten beschrieben werden können: Urban art ist vielschichtig und bunt, oftmals klug und charmant, nicht immer leicht zu verstehen und wirkt daher gelegentlich wie einfache Schmiererei. Es kommt eben auf den Blickwinkel an.
»Trespass – Die Geschichte der urbanen Kunst« gibt einen facettenreichen Einblick in die bisher kurze Historie der urban art, in dem es in einem breit angelegten Bildband Kunstwerke und Künstler, Bild, Text und die Philosophie der Umgestaltung urbanen Lebensraumes informativ und beeindruckend zusammenführt. Eine ähnlich anschauliche Einführung zu diesem Thema wird man lange suchen müssen.