Constanze Küsel diskutiert den Einsatz und die Darstellung von Nahrungsmitteln in der bildenden Kunst – und damit ein Thema, das sowohl bei Kunsthistorikern als auch bei Kuratoren momentan en vogue zu sein scheint, man denke nur an die Ausstellung »Eat Art. Vom Essen in der Kunst«, welche noch bis Januar 2011 im Kunstmuseum Stuttgart zu sehen ist und zuvor in Düsseldorf und Innsbruck präsentiert wurde. Unsere Autorin Luise Stehfest hat sich die Publikation für Sie angesehen.
Das vorliegende Buch beinhaltet Küsels Dissertationstext, den sie unter dem Titel »Die Made in der Schokolade« an der Universität Kassel eingereicht hat. Sie versucht darin einen beinahe ganzheitlichen Überblick über zahlreiche Themengebiete zu geben, die auf irgendeine Weise mit Schokolade in der bildenden Kunst in Zusammenhang stehen. Die Darstellung verschiedener Formen der Umsetzung von Lebensmittelkunst erweist sich dabei als ausgesprochen kurzweilig und interessant, da es der Autorin gelingt, geradezu anekdotisch einzelne Beispiele von Schauen oder Fluxus-Events zu verbildlichen.
An diese grundsätzliche Charakterisierung der Eat Art schließt sich die langwierige Abhandlung zum Material der Schokolade an – beginnend mit der ursprünglichen Bedeutung der Kakaobohnen bei den Mayas und Azteken bis hin zur Entwicklung zum kulturellen Phänomen in Europa. Illustriert werden die letzten Schritte neben Darstellungen von speziellem Geschirr hauptsächlich durch Stillleben und Genregemälde des 18. Jahrhunderts, allen voran Liotards »Das Schokoladenmädchen«. Die Entwicklung der Schokolade zum Kunstmaterial im 20. und 21. Jahrhundert wird anhand der Arbeiten ausgewählter Künstler exemplarisch nachvollzogen. Die Spannweite reicht von den Vorreitern Marcel Duchamp und Joseph Beuys über Dieter Roth, einen „der bekanntesten und vielseitigsten Schokoladenkünstler“, bis zu denen, die heute die Kunstform weiter vorantreiben und stetig erneuern, wie Sonja Alhäuser oder Warren Laine-Naida.
Ein besonderes Augenmerk legt Küsel auf das geschlechterspezifische Verhältnis zu Schokolade sowohl aus der Perspektive der Kunstschaffenden als auch seitens der Rezipienten. So stellt sie beispielsweise fest, dass die sexuelle Konnotation beinahe ausnahmslos von Frauen thematisiert wird, und verweist dabei unter anderem auf die aufsehenerregenden Arbeiten Hannah Wilkes und Helen Chadwicks. „Vielleicht ist Schokolade das ideale Werkmaterial für die Auseinandersetzung vieler Frauen mit ihrer ‚Rolle‘ nicht nur als Frau, sondern vor allem auch als Künstlerin in einer immer noch in vielen Bereichen von Männern dominierten Gesellschaft.“
Ein wesentlicher Teil des Buches beschäftigt sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der Schokolade im Kunstbetrieb, das heißt einerseits mit der Reproduzierbarkeit von gegossenen Formen, andererseits mit dem ephemeren Charakter des Materials. Küsel unterscheidet hier zwischen Multiples und Originalen in Serie, wobei erstgenannte sich häufig dadurch auszeichnen, dass sie einen Veränderungsprozess durchlaufen, der nicht mehr durch die Hand des Künstlers bestimmt wird. Besonders bei Roth ist zu verfolgen, welchen essentiellen Einfluss das Konzept ‚work in progress‘ auf seine Arbeiten hat. Während für Konservatoren der Madenbefall ein Problem darstellen dürfte, ist er von Roth gewollt und für das exponierte Werk mindestens ebenso bedeutend wie sein eigenhändiger Anteil.
Leider weist der Text nicht unerhebliche Defizite in seiner Stilistik auf: Ausdruckschwächen sowie Orthografie- und Tippfehler reihen sich in einigen Abschnitten förmlich aneinander. Ein Buch, das sich thematisch mit zwei so schönen Aspekten des Lebens beschäftigt, sollte doch den Lesegenuss nicht vernachlässigen.
Doch auch wenn der umfangreichen Abhandlung ein Lektorat nicht geschadet hätte, erweist sie sich bei genauerer Betrachtung als ausgesprochen unterhaltsam und ebenso informativ. Obwohl es sich als Dissertationstext ausgibt, entpuppt sich das Buch als eher leichte Lektüre, die den Leser in verschiedene Themengebiete hinein schnuppern lässt, ohne in seiner Begrifflichkeit oder Analyse jemals wissenschaftlich zu erscheinen. Die durchgängig hochwertigen Abbildungen sowie die beschriebenen Installationen laden zum Verweilen bei einer Tasse heißer Schokolade und feinen Pralinen ein.