Rezensionen

Frank-Manuel Peter: Oskar Schlemmer und der Tanz. Wienand Verlag

Die Tänzerin Daisy Spies (1905-2000) lädt als Blickfang des Covers dazu ein, die modernen Tanzinterpretationen von Oskar Schlemmer (1888-1943) zu bewundern. Bewusst hat Frank-Manuel Peter den Titel „Oskar Schlemmer und der Tanz“ gewählt - denn eigentlich ist es nicht das Ballett, das als etablierte Kunst hier im Fokus steht. Für den Maler und Bildner Schlemmer, den Schöpfer der Bauhaustreppe, ist es der Tanz, der als Inbegriff des Triadischen eine ganz neue Definition erfährt. Melanie Obraz hat jene schillernd-experimentelle Welt auf sich wirken lassen.

Cover © Wienand Verlag
Cover © Wienand Verlag

Die Faszination geht sogleich von der Farbigkeit der Kostüme aus, wobei die teilweise starr wirkende Einhüllung der Körper und die mit Spiralen, Kugeln oder auch Ringen versehenen Gewänder der Blickfang schlechthin sind und in den Raum hineinragen. Tänzer:innen und Raum stehen nicht mehr nur irgendwie nebeneinander. Der Raum ist als Hintergrund wichtig, bietet eine Grundlage, um die darauf wie darin agierenden Tänzer:innen nicht nur als solche zu präsentieren, sondern als eigene Räumlichkeiten in den Mittelpunkt zu stellen. Die Farben des Raumes, sind oft grell und seelisch aufrüttelnd und beziehen das psychologische Moment mitein. Gelb: jovial-burlesk, rosa: feierlich, schwarz: mystisch-fantastisch. So zeigen sich die Interpretationsmöglichkeiten. Das Triadische als der Dreiklang, der sich nicht nur harmonisch ineinander schmiegt und darum nicht in dem federleichten Ballon des klassischen Balletts aufgeht, zeigt den Aufbruch hin zu einer andersartigen Auffassung von Tanz. Die gebannte Bewegung der Architektur trifft sich hier mit der sich im Fließen befindlichen Bewegung der Körper.

Schlemmer kam es darauf an, dem althergebrachten Ballett nicht kniefällig Folge zu leisten und in Ehrerbietung, der zweifellos großen Kunst, zu erstarren. Er kreierte den mit und in dem Kostüm agierenden Menschen im Raum. in diesem Sinne zeigte er sich als neuer Choreograph in der Szenerie des Tanztheaters. Der Tanz entsteht neu und beabsichtigt keine Leichtigkeit. Die Weiterentwicklung des Balletts wie sie sich in den höfischen Gesellschaftstänzen zeigt und mit den Balletten des französischen Barock starke Ausdruckskraft erlangte, weckte nicht das Interesse Oskar Schlemmers. Er sah hier keine Entwicklungsmöglichkeiten, auch die klassische Tanztechnik fand in seinen Arbeiten kaum Beachtung. Dennoch beachtete er die Historie genau wie das Kugelkostüm verdeutlicht, welches als Anlehnung an einen Kostümentwurf von Daniel Rabel aus dem 17. Jahrhundert gelten darf. Doch arbeitete Schlemmer, der wahre Schöpfer und Kreator, mit seinen Tänzer:innen nicht als (Tänzer:innen)-Choreograph zusammen, sondern bereitete den Tanz mit dem Auge des bildenden Künstlers, in eben jener Perspektive neu auf. Für ihn avancieren die Tänzer:innen zu Skulpturen besonderer Art, die den Raum mit ihren Bewegungen erfüllen.

Schon allein die Namensgebung „triadisch – bezogen auf den triadischen Tanz -, bewirkt fast uferlose Interpretationen. Ebenso wird die Musik (u.a. Paul Hindemith) zur tragenden Säule, die sich aber ebenso neu und andersartig präsentiert wie die gesamte Idee des neuen Tanzes. Die Musik ist experimentell und spiegelt die teilweise abgehackt wirkenden Bewegungen wider. Sie hebt nicht die Tänzer:innen - wie im romantischen Ballett - zum sogenannten „Ballon“, welcher den Eindruck der Leichtigkeit und Schwerelosigkeit suggeriert. Bei Schlemmer sind die Tänzer:innen mit der Erde und dem Raum verbunden. Er deutet vielmehr die Grundaussage des Ballettauftritts Louis XIV.in der Weise, dass sich hier eine „Urszene des Tanzes“ zeige, mit welcher sich zwei Sonnen „tangential und nicht konzentrisch zur königlichen Figur mit ihrem ‚Drahtkostüm‘ bewegten.“ In jenen Drahtlinien sieht Schlemmer die Visualisierung der Planetenbahnen. Eine ganz neue Ordnung beginnt, die sich im Ausdruck des hierin spiegelnden Tanzes bekundet. Jenes nicht Vorhersehbare ist auch essenzieller Bestandteil des triadischen Tanzes. Die Spirale erweitert und unterstreicht das Voranschreiten des Menschen in eine andere und somit neue Zeit. Damit beginnt zugleich die immerwährende Suche nach dem neuen Zeitgeist, welcher sich nicht in Erstarrung und Repräsentation von hochgelobten Ballettaufführungen ergeht. Schlemmer fordert den Blick der Zuschauer:innen geradezu heraus, damit die Fiktion in die Gegenwart einmündet.

© Karl Grill/Deutsches Tanzarchiv Köln
© Karl Grill/Deutsches Tanzarchiv Köln

Autor Frank-Manuel Peter zeigt anhand von Zeitungsausschnitten detailliert die skeptischen bis abwertenden Kritiken, mit welcher Schlemmers Kunst bisweilen konfrontiert wurde.
So gab es gewagte Neuinterpretationen des bekannten Nussknacker-Balletts, die Ellen Petz neu gestaltete und in die Gegenwart der Moderne katapultierte. Kandinskys gelber Klang wie eben auch Oskar Schlemmer, der sich des Interdisziplinären bediente und es zu einem Gesamtkonzept zusammenfügte.
Form, Charakter und die Bewegung sind in neuer Art entstanden und fordern von den Tänzer:innen eine Sensibilität, die sich auf die Kostüme, den Raum und die Umsetzung in der Bewegung gleichermaßen bezieht. Mit jener enormen Brisanz beschäftigen sich auch Choreograph:innen und Tänzer:innen unserer Gegenwart wie Colleen Scott und Ivan Liska, die sich auch auf Gerhard Bohner beziehen und damit beweisen, wie sehr hier eine Weiterentwicklung lohnenswert ist und noch einmal eine enorme Erweiterung choreographischer Möglichkeiten offenlegt. Eine sich stetig erweiternde Poesie wird sichtbar.

Die Musik unterstreicht hier die Genauigkeit der Bewegungen und verlangt ein extrem intensives Hören, um jene Übersetzung zwischen Tönen und Bewegungen herauszustellen. Es geht eben darum, jene Tongebung auf die Bewegung in den Kostümen zu transformieren. Kostüme sind hier keine „Kostümierung“, die etwas verbirgt, sondern obwohl so imposant, doch das Körperliche der Tänzer:innen ins Licht rückt, um ein völlig neues Gebiet zu erkunden. Der Prozess des Tanzes ist damit noch lang nicht beendet - Oskar Schlemmer sah dies voraus.

Frank-Manuel Peter klärt in seinem vorliegenden Werk viele Ungereimtheiten um das Kunstschaffen Oskar Schlemmers auf. Gezielt spricht er die Problematik der bewegten Skulptur an und erläutert den Begriff des Puppenhaften, welcher von Schlemmer selbst behandelt wurde. Letztendlich soll jenes triadischeTanzen eine Entmaterialisierung alles Körperlichen erstreben, um dennoch in keinerlei Okkultismus verstrickt zu sein. Der Eigenwert des Triadischen Tanzes steht hier außer Frage und bietet den Leser:innen tiefe Einblicke in die Epoche des beginnenden 20. Jahrhunderts und repräsentiert ein Zeitgeschehen voller Aufbruch. Somit hält das umfangreiche Werk Frank-Manuel Peters auch für bereits in der Tanzkunst Belesene eine wahre Fundgrube neuer Erkenntnisse bereit.

Titel: Oskar Schlemmer und der Tanz
Autor: Frank-Manuel Peter
Herausgeber: Deutsches Tanzarchiv Köln
Erschienen: Wienand Verlag Köln 2023
Umfang: 640 Seiten
Abbildungen: 301 farbige und schwarz-weiß Abbildungen
Hardcover
ISBN 978-3-86832-628-4

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